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Innovative Hilfsmittel zum Glukosemanagement: Versorgungsrelevante Erkenntnisse aus der personbezogenen sozialmedizinischen Begutachtung
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Veröffentlicht: | 6. September 2024 |
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Einleitung: Einen äußerst innovationsgetriebenen und kostenintensiven Bereich im Hilfsmittelsektor bilden die vielfältigen teilautomatischen Insulin-Dosierungssysteme aus einem algorithmusgesteuerten Regelkreis-Kombination von Glukosesensoren und Insulinpumpen zum Glukosemanagement bei Diabetes mellitus (DM) Typ 1 („automated insulin delivery“ – AID) [1], [2]. Im Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes wurde zum 01.06.2023 die neue Produktgruppe 30 „Hilfsmittel zum Glukosemanagement“ eingeführt [3]. Deren Einsatz bedarf einer differenzierten nachvollziehbaren Indikationsstellung. Wesentlicher Bestandteil der Sicherstellung diesbezüglicher versorgungsgerechter Behandlungspfade ist die sozialmedizinisch-gutachterlich begleitete einzelfallorientierte Steuerung durch den Medizinischen Dienst (MD) [4]. Untersucht werden sollte, wie sich auf der Grundlage internationaler Expertenstandards, der S3-Leitlinien der AWMF und der G-BA-Richtlinien die vertragsärztlichen Verordnungen zur differenzierten Versorgung mittels der AID-Systeme gestaltete.
Methode: Sekundärdatenanalyse auf der Grundlage einer 10-Prozent-Stichprobe der durch spezialisierte Gutachter erstatteten, bundesweit standarisiert qualitätsgesicherten Gutachten des MD Hessen zum Anlassschlüssel „Hilfsmittel zum Glukosemanagement“ im Beauftragungszeitraum vom 01.06.2023-29.02.2024 im Hinblick auf die sachgerechte Verordnung von AID-Systemen bei an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankten Versicherten.
Ergebnisse: Insgesamt wurden im o. g. Zeitraum wurden 1183 Gutachten zur Frage der Verodnung eines AID-Systems bei Diabetes mellitus Typ 1 erstattet. Die Stichprobe umfasste 118 Gutachten, entsprechend der Positionsnummer des Hilfsmittelverzeichnisses wie folgt:
30.29.05 (Insulin-Pumpentherapie-Systeme): 4 (3 %)
30.29.06 (Insulin-Patch-Pumpentherapie-Systeme): 114 (97 %)
?Tabelle 1 [Tab. 1] zeigt die sozialmedizinischen Ergebnisse der gutachterlichen Beurteilung bzgl. der medizinischen Voraussetzungen.
Diskussion: Neben der Beurteilung personbezogener medizinischer Parameter, kognitiver Fähigkeiten, somatischer Barrieren, psychosozialer Aspekte und realistischer Therapieziele sind darüber hinaus aus Gründen der Patientensicherheit (z. B. Gefahr lebensbedrohlicher Hypoglykämien) der Nachweis einer fachlich versierten technischen Einweisung und AID-systemspezifischen Therapieschulung zu fordern [2], [5]. Die in Hessen, einem Flächenland mit zwei wirtschaftlich starken Metropolregionen und mit mehr als 7 % aller GKV-Versicherten, bundeseinheitlich standardisiert erhobenen Daten können als auf die Versorgungssituation in ganz Deutschland übertragbar betrachtet werden. Eine gutachterlich nachvollziehbare Indikation ist an eine korrekte Verordnung, an vollständige Angaben zur vom Verordner vorgegebenen (bisherigen) Therapie und zum Nichterreichen individueller Therapieziele trotz zuverlässiger Therapiedurchführung durch den Versicherten gebunden. Auf der Grundlage der stichprobenartigen Analyse kann folgendes konstatiert werden:
- 1.
- Gutachterlich nachvollziehbare Indikationen liegen in mehr als 50 Prozent der Fälle zum Begutachtungszeitpunkt nicht vor, so dass gutachterlicherseits weitere Ermittlungen als erforderlich beurteilt wurden.
- 2.
- Folgerichtig bedarf es bei der Konsultation des MD im Rahmen des elektronisch gestützten Beauftragungsverfahrens zum Begutachtungszeitpunkt einer sorgfältigen Vorbereitung mit aussagekräftigen vollständigen Unterlagen.
- 3.
- Eine Verzögerung der Begutachtung kann im Einzelfall zu Lasten einer leistungsgerechten Versorgung des Versicherten bzw. der Patientensicherheit gehen
- 4.
- Die Verzögerung der Begutachtung hat im Hinblick auf die solidarische Finanzierung der GKV-Leistungen sozial-ökonomische Implikationen.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.
Literatur
- 1.
- Thomas A, Kolassa R. Systeme zur automatisierten Insulinabgabe (AID-Systeme). Fast schon am Ziel? DiabetesAktuell. 2022;20(02):83-87.
- 2.
- Biester T, Gehr B. Closed-Loop-Systeme – AID (automatische Insulindosierung) – Realität und Zukunft.Diabetologie. 2024. DOI: 10.1007/s11428-024-01151-7
- 3.
- GKV-Spitzenverband. Dokumente zur Erstellung der Produktgruppe 30 „Hilfsmittel zum Glukosemanagement“ vom 01.06.2023. Verfügbar unter: http://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/hilfsmittel/fortschreibungen_aktuell/06_2023/20230601_Dokumente_zur_Erstellung_der_Produktgruppe_30_Hilfsmittel_zum_Glukosemanagement.pdf
- 4.
- Schunda P, Gaertner T. Sozialmedizinische Begutachtung und Beratung zur Hilfsmittelverordnung. In: Gostomzyk JG, Hollederer A, Hrsg. Angewandte Sozialmedizin. Handbuch für Weiterbildung und Praxis. Landsberg/Lech: ecomed MEDIZIN; 2024: VII – 1.3.5.
- 5.
- Karges B, Tittel SR, Bey A, Freiberg C, Klinkert C, Kordonouri O, Thiele-Schmitz S, Schroder C, Steigleder-SchweigerC, Holl RW. Continuous glucose monitoring versus blood glucose monitoring for risk of severe hypoglycaemia and diabetic ketoacidosis in children, adolescents, and young adults with type 1 diabetes: a population-based study. Lancet Diabetes Endocrinol. 2023;11(5):314-323.