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Gesundheit – gemeinsam. Kooperationstagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS), Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP), Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi), Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS) und der Deutschen Gesellschaft für Public Health (DGPH)

08.09. - 13.09.2024, Dresden

Wirksamkeit eines Ü45-Checks zur Identifizierung von Präventions- und Rehabilitationsbedarf in Hausarztpraxen bei Patient:innen zwischen 45 und 59 Jahren

Meeting Abstract

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  • Jennifer Marie Burchardi - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, Berlin, Germany
  • Susanne Rossek - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, Berlin, Germany
  • Martin Brünger - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, Berlin, Germany

Gesundheit – gemeinsam. Kooperationstagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS), Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP), Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi), Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS) und der Deutschen Gesellschaft für Public Health (DGPH). Dresden, 08.-13.09.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. DocAbstr. 276

doi: 10.3205/24gmds547, urn:nbn:de:0183-24gmds5470

Veröffentlicht: 6. September 2024

© 2024 Burchardi et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Präventions- und Rehabilitationsbedarf bei Personen im erwerbsfähigen Alter wird bislang vielfach zu spät erkannt. So erhielt etwa die Hälfte der Erwerbsminderungsrentenbeziehenden zuvor keine medizinische Rehabilitation [1]. Der Gesetzgeber sieht daher gemäß § 14 SGB VI die modellhafte Erprobung mehrerer sogenannter Ü45-Checks in unterschiedlichen Settings vor, welche sich an Personen im erwerbsfähigen Alter ab 45 Jahren im Zuständigkeitsbereich der Deutschen Rentenversicherung richten und die zum Ziel haben, Präventions- und Rehabilitationsbedarf zu identifizieren.

Hausarztpraxen werden als zentrale Anlaufstation für Rehabilitation und Prävention durch die Bevölkerung erachtet [2]. Allerdings wird in Hausarztpraxen bislang nicht systematisch und strukturiert auf Rehabilitations- und Präventionsbedarf gescreent, zudem bestehen Unsicherheiten hinsichtlich des Antragverfahrens [3].

Dieser Beitrag untersucht daher die Wirksamkeit eines Ü45-Checks zur Identifikation von Präventions- und Rehabilitationsbedarf in Hausarztpraxen, operationalisiert anhand der Anzahl an Anträgen (primäres Outcome) und Bewilligungen (sekundäres Outcome) von Präventionsleistungen (RV Fit) und von medizinischer Rehabilitation im Zuständigkeitsbereich der Deutschen Rentenversicherung.

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Methoden: Eine pragmatische, 1:1 randomisierte kontrollierte Studie wurde in 26 Hausarztpraxen in Berlin und Brandenburg bei Patient:innen zwischen 45 und 59 Jahren durchgeführt (DRKS00028303) [4]. Die Kontrollgruppe (n=695) erhielt neben usual care einen Fragebogen zu soziodemografischen und gesundheits- bzw. erwerbsbezogenen Merkmalen. Die Interventionsgruppe (n=706) füllte im Rahmen des Ü45-Checks zusätzlich das zweiseitige psychometrisch validierte „Ü45-Screening“ im Wartezimmer aus, das Rehabilitations- und Präventionsbedarf in fünf Dimensionen erfasst [5]. Nach der direkt anschließenden algorithmusbasierten Auswertung durch das Praxispersonal konnte die Arztpraxis basierend auf über die Patient:innen vorhandenen Informationen (z. B. Diagnosen, soziale Lage) die Handlungsempfehlung modifizieren. Bei bestehendem Bedarf wurden Antrags- und Informationsunterlagen ausgehändigt. Zudem wurde im Rahmen der Studie das Antragsverfahren auf medizinische Rehabilitation vereinfacht. Anträge und Bewilligungen wurden mithilfe von Routinedaten der Deutschen Rentenversicherung erfasst. Unterschiede zwischen den Studiengruppen wurden mithilfe von zweiseitigen exakten Fisher-Tests auf einem Signifikanzniveau von α=0,05 statistisch geprüft.

Ergebnisse: Der Frauenanteil lag in der Interventionsgruppe bei 64,2%, in der Kontrollgruppe bei 63,0%. Das mittlere Alter betrug 52,1 Jahre (SD: 4,3) bzw. 52,5 Jahre (SD: 4,4). Die Prävalenz von Rehabilitationsbedarf laut Ü45-Screening betrug 8,2%, die von Präventionsleistungsbedarf (RV Fit) 28,1%. In 83,6% der Fälle folgten die Hausarztpraxen dieser Bewertung, bei 15,2% der Patient:innen wurde ein höherer und bei 1,3% ein niedrigerer Bedarf postuliert. Final ergab sich eine Prävalenz in Hausarztpraxen von 17,7% für Rehabilitationsbedarf und von 26,3% für Präventionsleistungsbedarf. In der Interventionsgruppe wurden bei 12,0% (n=85) aller Studienteilnehmenden ein Antrag auf medizinische Rehabilitation oder Präventionsleistung im Zeitraum zwei Monate nach Intervention gestellt, in der Kontrollgruppe waren es 2,9% (n=20) (p<0.001). Bei den Bewilligungen dieser Leistungen lag der Anteil bei 8,4% (n=59) in der Interventionsgruppe bzw. 2,4% (n=17) in der Kontrollgruppe (p<0.001).

Schlussfolgerung: Gemäß der a priori definierten primären und sekundären Outcomes konnte die Wirksamkeit des Ü45-Checks in der hausärztlichen Versorgung gezeigt werden. Die Antragsquote von DRV-Teilhabeleistungen lag in der Interventionsgruppe erheblich höher im Vergleich zu der die Regelversorgung abbildenden Kontrollgruppe mit einer relativen Risikodifferenz um den Faktor 4 und einer absoluten Risikodifferenz von 9,1% Prozentpunkten.

Der Ü45-Check kann somit Hausärzt:innen dabei unterstützen, Rehabilitations- und Präventionsbedarf bei ihren Patient:innen strukturiert zu erkennen und eine bedarfsgerechte Antragstellung einzuleiten.

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.


Literatur

1.
Mittag O, Reese C, Meffert C. (Keine) Reha vor Rente: Analyse der Zugänge zur Erwerbsminderungsrente 2005-2009. WSI-Mitteilungen. 2014;67(2):149-55.
2.
Golla A, Saal S, Meyer G, Frese T, Mikolajczyk R, Richter M, et al. Verständnis und Bedürfnis medizinischer Rehabilitation in der Bevölkerung – Ergebnisse einer Online-Befragung. Rehabilitation. 2023;62(4):197-206.
3.
Pohontsch N, Träder JM, Scherer M, Deck R. Empfehlungen zur Überwindung von Schnittstellenproblemen in der medizinischen Rehabilitation der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung. Rehabilitation. 2013;52(5):322-8.
4.
Burchardi JM, Spyra K, Brünger M. Effectiveness of a screening tool to assess prevention and rehabilitation needs of 45 to 59 years old in primary care – study protocol of a pragmatic randomized controlled trial (PReHa45). BMC Health Serv Res. 2023;23(1):382.
5.
Brünger M, Bernert S, Graf A, Spyra K. Validierung eines Fragebogens zur Erfassung des Rehabilitations- und Präventionsbedarfs von Über-45-Jährigen (Ü45-Screening II). Abschlussbericht. Zenodo; 2021. DOI: 105281/zenodo4568918 Externer Link