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Genesungsbegleitung im Kontext akuter psychiatrischer Krisen – Ergebnisse einer qualitativen Erhebung
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Veröffentlicht: | 6. September 2024 |
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Einleitung: Im Kontext akuter psychiatrischer Kriseneinsätze lässt sich in den vergangenen Jahren ein stetiger Anstieg von Zwangseinweisungen in Deutschland verzeichnen. Ein mögliches Mittel zur Vermeidung von Zwangseinweisungen kann Genesungsbegleitung sein. Genesungsbegleitung bedeutet den Einsatz von Menschen, die selbst Erfahrung mit der Genesung von schweren psychischen Krisen haben und ausgebildet sind, diese Expertise zu nutzen, um andere Menschen in Krisen zu begleiten. Studien zeigen, dass Genesungsbegleitung durch sog. Peers bei Betroffenen zu einer erhöhten Selbstwirksamkeit [1], zu einer verbesserten Genesung und Lebensqualität [2], zu weniger stationären Einweisungen [3] und zu einer Reduktion von Zwangsmaßnahmen führen kann [4]. Bisher gibt es in Deutschland keine Erfahrungen, wie Genesungsbegleitung in außerklinischen akuten psychiatrischen Kriseneinsätzen wirken kann. Ziel der Studie „PeerIntervent“ ist es herauszufinden, ob die Versorgung von Menschen in diesem Setting durch den Einsatz von Peers verbessert und die Anzahl von Zwangseinweisungen reduziert werden kann. Die Studie, finanziell gefördert durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), ist Teil der Ausschreibung zur Stärkung zukunftsfähiger Strukturen im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), welche eine nachhaltige Zusammenarbeit zwischen ÖGD und Public Health in den Mittelpunkt stellt.
Methode: Im Rahmen der explorativen, cluster-randomisierten, kontrollierten Studie wurden in zwei von insgesamt fünf regionalen Teams des bremischen Sozialpsychiatrischen Dienstes (SpsD) geschulte Peers eingesetzt. Als fester Bestandteil der Teams begleiteten sie Kriseneinsätze und boten im weiteren Verlauf Gesprächs- und Unterstützungsangebote für Betroffene an. Der Anteil an Zwangseinweisungen an den Kriseneinsätzen wurde zwischen Interventions- und Kontrollregionen verglichen. Die Prozessevaluation erfolgte mittels qualitativer Interviews mit den Peers zu zwei Zeitpunkten (t1: nach Einarbeitung und t2: nach Interventionsende), um die Erfahrungen hinsichtlich ihrer Arbeit in den Kriseneinsätzen und darüber hinaus zu erfassen. Ebenso wurde die Sichtweise der Teams des SpsD auf die Zusammenarbeit mit den Peers in Fokusgruppen erhoben. Ziel war es herauszufinden, ob und wie der Einsatz von Genesungsbegleitenden im Kontext psychiatrischer Kriseneinsätze gelingen kann und was mögliche hemmende Faktoren in der Umsetzung sind. Die Auswertung der Interviews und Fokusgruppen erfolgte mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz [5].
Ergebnisse: Die Ergebnisse der Interviews aus t1 sind bereits ausgewertet, zur Präsentation im September liegen die Ergebnisse aller Interviews und der Fokusgruppen mit den Teams vor. Die Ergebnisse der Interviews zum Zeitpunkt t1 zeigen mögliches Potential von Genesungsbegleitung in akuten psychiatrischen Kriseneinsätzen. So könnten laut der Peers durch kontinuierliche Begleitung von Betroffen Zwangseinweisungen vermieden werden, indem frühzeitig unterstützt wird. Dies könnte die Lebensqualität der Betroffenen verbessern. Ein Peer berichtet, dass durch sein Engagement Einweisungen ohne Zwang möglich wurden, was einen Hinweis darauf gibt, dass Peers den Ablauf verbessern und möglichen Traumatisierungen vorbeugen könnten. Die Ergebnisse aus t1 zeigen aber auch, dass trotz sorgfältiger Vorbereitung der Intervention Schwierigkeiten bei der Rollenfindung der Peers bestanden. Außerdem berichteten die Peers, dass ihnen ihr Aufgabenprofil nicht klar war und sie teils Skepsis im Team erlebten.
Schlussfolgerung: Erste Ergebnisse zeigen Potential, Peers in Krisendiensten einzusetzen, jedoch auch, dass es trotz intensiver Vorbereitung des Einsatzes Schwierigkeiten geben kann. Der Einsatz sollte durch intensive und verpflichtende Schulungen vorbereitet werden, damit alle Teammitglieder erreicht werden, um gemeinsam am Rollen- und Aufgabenprofil und am Abbau von Vorurteilen zu arbeiten.
Interessenkonflikte: DB und MS sind im Krankenhaus Bremen-Ost, GENO, beschäftigt. Die SpsD werden von GENO im Auftrag des Gesundheitsamtes Bremen organisiert und durchgeführt.
KB und JP sind bei der Gesundheitsbehörde Bremen angestellt. Im Rahmen des Forschungsprojekts berät und betreut das Gesundheitsressort und begleitet GENO im Rahmen des Forschungsprojekts bei der Implementierung von Peer Support beim SpsD. JU ist in der Behörde für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz in Bremen beschäftigt. In seiner Funktion als Leiter der Abteilung Psychische Gesundheit und Sucht hat er die Fachaufsicht des SpsD. Die anderen Autoren erklären, dass sie keine Interessenskonflikte haben.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.
Literatur
- 1.
- Mahlke C, Priebe S, Heumann K, Daubmann A, Wegscheider K, Bock T. Effectiveness of one-to-one peer support for patients with severe mental illness - a randomised controlled trial. Eur Psychiatry. 2017;42:103–10.
- 2.
- Corrigan PW, Kraus DJ, Pickett SA, Schmidt A, Stellon E, Hantke E et al. Using Peer Navigators to Address the Integrated Health Care Needs of Homeless African Americans With Serious Mental Illness. Psychiatr Serv. 2017;68(3):264–70.
- 3.
- Ash D, Suetani S, Nair J, Halpin M. Recovery-based services in a psychiatric intensive care unit - the consumer perspective. Australas Psychiatry. 2015;23(5):524–7.
- 4.
- Ibrahim N, Thompson D, Nixdorf R, Kalha J, Mpango R, Moran G et al. A systematic review of influences on implementation of peer support work for adults with mental health problems. Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol 2020; 55(3):285–93.
- 5.
- Kuckartz U. Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. 3., überarbeitete Aufl. Weinheim: Beltz Verlagsgruppe; 2016. (Grundlagentexte Methoden).