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Fischen mit dem Netz: Erforschung des Gesundheitsinformationsverhaltens vernachlässigter Populationen mit der Ego-Netznetzwerkmethode
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Veröffentlicht: | 6. September 2024 |
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Vernächlassigte Bevölkerungsgruppen in sozialepidemiologischen Studien sind oft zugleich auch jene Personen, die eher vulnerabel und sozial benachteiligt sind. Dabei ist es für eine effektive und chancengleiche Gesundheitsversorgung wesentlich zu verstehen, wie diese Bevölkerungsgruppen bspw. Gesundheitsinformationen finden, verstehen, im Kontext ihrer Erfahrungen und Wertehorizonte einordnen und diese anwenden. Dabei gilt es auch deren besondere Ressourcen zu identifizieren, die häufig in klassischen Fragebogenstudien, die sich am Durchschnitt der „leicht erreichbaren“ Bevölkerung orientieren, unberücksichtigt bleiben (d.h. obwohl vorhanden nicht erhoben werden). Dies gilt für ganz unterschiedlichen Minderheitspopulationen, seien es Personen mit eigener Migrationserfahrung, psychisch belastete Männer oder Personen mit geringer Gesundheitskompetenz.
Als Gründe für die Vernachlässigung dieser Bevölkerungsgruppen (und damit auch dieser Determinanten) werden ethische, motivationale, finanzielle oder organisationale Barrieren, Selbst-Stigmatisierung, sowie sprachliche und kulturelle Verständigungsprobleme auf Seiten der Forschenden wie der Beforschten genannt. Dieser Beitrag möchte daher anhand bereits durchgeführter Studien aus drei verschiedenen Projekten zum Informationsverhalten vernachlässigter Bevölkerungsgruppen die Ego-Netzwerkmethode vorstellen. Diese Erhebungsmethode hat sich als besonders nützlich erwiesen, um Daten zu vernachlässigten Bevölkerungsgruppen zu erhalten und zugleich ihre spezifischen Ressourcen sichtbar zu machen.
Am ersten Beispiel einer Studie zur Krebsprävention von Personen aus Herkunftsländern des Mittleren und Nahen Ostens wird aufgezeigt, wie Ego-Netzwerke Zugang zu Daten über für Forschende wenig gut zu erreichende Personen bieten. Um deren relevante interpersonale Bezugs- und Kontaktpersonen und ihr Informationsnetzwerk zu identifizieren, wurde jede dieser Person gebeten, Personen zu nennen, die diese in gesundheitlichen Fragen kontaktiert hat oder kontaktieren würde oder die eine Mittlerperson zwischen Gesundheitssystem und ihr darstellt. Auf diese Weise konnten intensive Einblicke in den Zugang, das Verständnis und die Beurteilung von Gesundheitsinformationen in dieser Bevölkerungsgruppe (weit über die Teilnehmenden hinaus) ermöglicht werden. Bei einem detaillierten Blick auf die Merkmale der Informationskontakte wird bspw. deutlich, dass diese nicht nur über bessere Deutschkenntnisse, sondern vor allem über bessere Gesundheitskompetenz, insbesondere Kenntnisse des deutschen Gesundheitssystems als die Teilnehmenden verfügen.
Eine zweite Studie zur Suizidprävention für Männer macht deutlich, inwieweit die Netzwerkmethode in Kombination mit der Vignettentechnik und zirkulärem Fragetechniken dazu dienen kann, die relevanten sozialen Kontakte von psychisch belasteten Männer zu identifizieren (ohne diese selbst zu diesem Tabuthema befragen zu müssen).
Im dritten Projekt ging es darum Personen zu identifizieren, die Informationen zur Gesundheit anderer Personen recherchieren. Sie fungieren dann bspw. als Gatekeeper oder Vermittler für Personen mit geringerer Medien- oder Gesundheitskomptenz oder unzureichenden Sprachkenntnissen. Zusammen mit der Ego-Netzwerkmethode wurden hier zudem quantitative und qualitative Erhebungen in Kombination genutzt, um via Ego-Netzwerkmethode Daten über die Personen hinaus zu erheben.
Der Netzwerkansatz schafft damit nicht nur Zugang zu vernachlässigten Populationen und zeigt deren spezifische Ressourcen auf, sondern zeigt auch wichtige Potenziale für die Verbesserung der Chancengleichheit im Gesundheitssystem sichtbar. Neben der Präsentation der Ergebnisse der jeweiligen Projekte möchten wir auch forschungspraktische Erkenntnisse aus der Feldarbeit der verschiedenen Projekte vorstellen und Ideen und Erfahrungen für die Einbindung weiterer vernachlässigter Gruppen und intersektionaler Zusammenhänge diskutieren.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.