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Brustkrebs als Risiko der beruflichen Teilhabe – eine Analyse soziodemographischer und klinischer Determinanten aus Routinedaten des Medizinischen Dienstes Nordrhein
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Veröffentlicht: | 6. September 2024 |
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Hintergrund und Ziele: Jede zweite Brustkrebserkrankung wird in Deutschland im Alter zwischen 20 und 64 Jahren neu diagnostiziert, – somit sind jedes Jahr über 36.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter betroffen (Robert Koch Institut, 2024). Funktionelle Gesundheitseinschränkungen durch die Krebserkrankung oder die onkologische Therapie können die Lebensqualität der Betroffenen beeinträchtigen und darüber hinaus auch die Erwerbsfähigkeit und die berufliche Teilhabe bedrohen. Der vorliegende Beitrag untersucht, wie häufig bei Betroffenen mit diagnostizierter Brustkrebserkrankung eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch den Medizinischen Dienst Nordrhein gutachtlich bestätigt wird und inwieweit soziodemographische und klinische Determinanten das Risiko beeinflussen können.
Methoden: Verwendet werden Routinedaten aus Aufträgen der Krankenversicherung zur Beurteilung der Erwerbsprognose im Rahmen einer Arbeitsunfähigkeitsbegutachtung durch den Medizinischen Dienst Nordrhein. Die Auswertung berücksichtigt alle im Beobachtungszeitraum 01.01.2022-19.11.2023 zu dieser Frage begutachteten Versicherten im erwerbsfähigen Alter (20-64 Jahre) mit diagnostizierter bösartiger Neubildung der Brustdrüse (ICD-10 C50) als vorrangiger Arbeitsunfähigkeitsdiagnose. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist primäres Zielkriterium (dichotomisiert) und wird aus den Gutachten erhoben. Neben deskriptiven Verfahren zur Beschreibung der Studienpopulation werden multivariate regressionsanalytische Verfahren für binäre Variablen eingesetzt mit der gutachtlich festgestellten Minderung der Erwerbsfähigkeit als abhängiger Variablen. Als Einflussfaktoren werden soziodemographische Determinanten (z. B. Alter, Geschlecht, Berufstätigkeit, berufliche Kontextfaktoren) sowie klinische Charakteristika (z. B. Fatigue, Pflegebedürftigkeit, psychiatrische Komorbidität, neurotoxische unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) wie Polyneuropathie, Krankheitsdauer, Größe und Ausbreitung des Tumors (TNM)) in einem explorativen Ansatz untersucht. Die Berechnungen wurden seitens des Medizinischen Dienstes Nordrhein mit SPSS 27 und RStudio 12.1 durchgeführt.
Ergebnisse: Im Beobachtungszeitraum wurden 443 Beurteilungen der Erwerbsprognose bei Versicherten (99,5% Frauen) mit Brustkrebserkrankung im Alter 20-64 Jahre vollständig abgeschlossen. Die Diagnose Brustkrebs war bei Frauen im Erwerbsalter mit 33,2% der häufigste onkologische Anlass einer solchen Begutachtung. Die Mehrheit (89,1%) der im Mittel 53,5 ± 8,1 Jahre alten Versicherten befand sich zum Begutachtungszeitpunkt in einem bestehenden Arbeitsverhältnis. Die Begutachtung bestätigte eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in insgesamt 15,1% der Fälle. Höhere Anteile fanden sich bei Begutachteten mit Fernmetastasierung (39,4%), Pflegebedürftigkeit (43,9%), Fatigue (25,2%), neurotoxischen UAW (24,2%) und negativen beruflichen Kontextfaktoren (26,7%). Die Unterschiede zeigen sich auch in den Ergebnissen der multivariaten logistischen Regressionsanalyse: die Odds Ratio liegen im Falle von Fernmetastasen bei 5,5 (KI 95 %: 2,8–10,9), für Pflegebedürftigkeit bei 3,9 (KI 95%: 1,8–8,9), für negative berufliche Kontextfaktoren bei 2,7 (KI 95%: 1,1-6,2), für UAW bei 2,1 (KI 95%: 1,1–4,2), für die Krankheitsdauer bei 1,7 (KI 95%: 1,2–2,3) und für Fatigue bei 1,4 (KI 95%: 0,7–2,6, n.s.).
Schlussfolgerung: an Brustkrebs Erkrankte im Erwerbsalter sind vielfach von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit betroffen. Entscheidend hierfür sind neben dem Ausmaß der Erkrankung weitere Faktoren wie Pflegebedürftigkeit, therapieassoziierte Nebenwirkungen sowie die beruflichen Kontextfaktoren. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren kann durch gezielte medizinische und berufliche rehabilitative Maßnahmen der Erhalt der Erwerbsfähigkeit und somit der beruflichen Teilhabe unterstützt werden. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und dem bestehenden Fachkräftemangel stellt die zielgerichtete Unterstützung der Betroffenen eine wesentliche Aufgabe sowohl für involvierte Leistungserbringende als auch für Arbeitgeber und Politik dar.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.