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Gesundheit – gemeinsam. Kooperationstagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS), Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP), Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi), Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS) und der Deutschen Gesellschaft für Public Health (DGPH)

08.09. - 13.09.2024, Dresden

Gemeinsam forschen – welchen Nutzen haben partizipative Ansätze bei der Entwicklung klinischer (Absetz-)Studien?

Meeting Abstract

  • Karen Voigt - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Bereich Allgemeinmedizin, Dresden, Germany
  • Sandy Scheibe - Bereich Allgemeinmedizin der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden, Dresden, Germany
  • Melanie Rennert - Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Institut für Allgemeinmedizin, Leipzig, Germany
  • Annika Rettich - Technische Universität Dresden, Dresden, Germany
  • Markus Bleckwenn - Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Institut für Allgemeinmedizin, Leipzig, Germany
  • Stefan Hager - TU Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Bereich Allgemeinmedizin, Dresden, Germany
  • Tobias Deutsch - Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Institut für Allgemeinmedizin, Leipzig, Germany
  • Jeannine Schübel - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Dresden, Bereich Allgemeinmedizin, Dresden, Germany

Gesundheit – gemeinsam. Kooperationstagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS), Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP), Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi), Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS) und der Deutschen Gesellschaft für Public Health (DGPH). Dresden, 08.-13.09.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. DocAbstr. 547

doi: 10.3205/24gmds403, urn:nbn:de:0183-24gmds4030

Veröffentlicht: 6. September 2024

© 2024 Voigt et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Unnötige Arzneimittelverschreibungen schaden Patient:innen, gefährden deren Arzneimitteltherapiesicherheit und binden finanzielle Ressourcen im Gesundheitssystem, die an anderer Stelle gebraucht werden. Es ist für alle Beteiligten herausfordernd etablierte Medikationen abzusetzen. Ein Beispiel medikamentöser Überversorgung stellt die Verordnung von Levothyroxin (LTX) bei Patient:innen mit latenter Hypothyreose. Laut DEGAM-Leitlinie „Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis“ [1] kann bei Vorliegen einer latenten Hypothyreose ein Absetzversuch erwogen werden. Bisher existiert dafür kein etabliertes Absetzverfahren im hausärztlichen Kontext. Eine Absetzstrategie muss sowohl für Verordner:innen, als auch für Patient:innen akzeptabel und umsetzbar sein, um diese erfolgreich in der Versorgung zu implementieren. Reflektiert wird, ob ein partizipativer Ansatz einen (relevanten) Mehrwert für die Entwicklung eines Absetzverfahrens und einer anschließenden klinischen Wirksamkeitsstudie bietet.

Methoden: Im Forschungsprojekt „Deprescribing of levothyroxine in subclinical hypothyroidism - a participatory intervention approach“ (DELTA-PIA) werden an zwei Universitätsstandorten (Leipzig & Dresden) mit einem qualitativ-partizipativen Ansatz von März-September 2024 Fokusgruppen und Workshops mit Hausärzt:innen und Patient:innen durchgeführt (homogen und gemischt). In den Fokusgruppen werden die zentralen Barrieren und fördernden Faktoren beim Absetzen von LTX exploriert und anschließend priorisiert. Darauf aufbauend sollen mit beiden Zielgruppen in Vorbereitung auf eine sich anschließende klinische Wirksamkeitsstudie eine passende Absetzstrategie, ein umsetzbares Studiendesign sowie relevante patientenbezogene Endpunkte entwickelt werden.

Ergebnisse: Die Rekrutierung von Hausärzt:innen und betroffenen Patient:innen war herausfordernd. Zu den am häufigsten genannten Gründen für Nichtteilnahme zählten Zeitmangel bei Hausärzt:innen sowie fehlendes thematisches Interesse beider Zielgruppen. Bis April 2024 wurden drei Fokusgruppen mit Hausärzt:innen & MFA (N=17) sowie eine Fokusgruppe mit Patient:innen (N=5) durchgeführt. In den 1-2stündigen Fokusgruppen gelang ein intensiver Diskussionsaustausch, an dem sich alle Teilnehmer:innen beteiligten. Es wurden Motivationen und Barrieren für das LTX-Absetzen ermittelt, die emotional (Ängste, Hoffnungen, Unsicherheiten), kognitiv [(Nicht-)Wissen, z.B. zu LTX-Neben-/Wechselwirkungen] oder gesundheitssystem-immanent (ökonomisch) begründet waren. Priorisierte Absetz-Motivationen beider Zielgruppen umfassten die Reduktion der Nebenwirkungen und Tablettenlast, Hausärzt:innen benannten zusätzlich noch die Entpathologisierung der Patient:innen. Zentrale Absetz-Barrieren bestanden im zeitlichen Mehraufwand für Praxen (inkl. Patientenaufklärung) und Patientenwiderstand. Patient:innen äußerten eine grundsätzliche Absetzbereitschaft, reflektierten aber auch ihre Sorgen zu möglichen Symptomzunahmen und Verunsicherungen, warum eine Medikationsstrategie verändert wird ohne von Patient:innen spürbaren Bedarf.

Schlussfolgerung: Für die Planung der klinischen Studie erweist sich der partizipative Ansatz als Gewinn, da auf den Erkenntnissen aufbauend eine bedarfsorientierte Entwicklung des Studiendesigns erfolgen kann: z.B. bei der Entwicklung der Intervention, der Auswahl der Studienpopulation oder der Gestaltung der Aufklärungsmaterialien für Patient:innen und Hausärzt:innen. Das Thema „Absetzen“ ist ein ambivalentes Thema, dem sensitiv begegnet werden muss. Wichtig bleibt deswegen der weitere Einbezug der Zielgruppen. Die zu entwickelnde Absetzstrategie sollte auch auf die Stärkung der Gesundheitskompetenz abzielen; dem Gesundheitskompetenz-Konstrukt von Sørensen et al. [2] folgend besonders auf das Verständnis der Relevanz des Absetzens und die Motivation zum Anwenden der Absetzstrategie.

Interessenkonflikte: J. Schübel und K. Voigt sind Autorinnen der zitierten Leitlinie, die Empfehlungen zum kontrollierten Absetzen von Levothyroxin für definierte Patientengruppen ausspricht. M. Bleckwenn und J. Schuebel sind niedergelassene Hausärzt:innen, die Patient:innen mit latenter Hypothyreose versorgen.

Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.


Literatur

1.
Schuebel J, Voigt K, Uebel T. Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis. S2k-Leitlinie. AWMF-Register-Nr. 053-046. DEGAM-Leitlinie Nr. 18. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin; 2023 [last access: 25.4.2024]. Available from: https://www.degam.de/files/Inhalte/Leitlinien-Inhalte/Dokumente/DEGAM-S2-Leitlinien/053-046_Erhoehter%20TSH-Wert%20in%20der%20Hausarztpraxis/oeffentlich/S2k%20LL%20TSH%20ver%C3%B6ffentlicht%202023/degam_ll_tsh_2023_s2k_rz_010723.pdf Externer Link
2.
Sørensen K, Van den Broucke S, Fullam J, Doyle G, Pelikan J, Slonska Z, Brand H; (HLS-EU) Consortium Health Literacy Project European. Health literacy and public health: a systematic review and integration of definitions and models. BMC Public Health. 2012 Jan 25;12:80. DOI: 10.1186/1471-2458-12-80 Externer Link