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Beginn und Dauer von Rente. Oder: Besser rechnen mit Daten der Deutschen Rentenversicherung Bund
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Veröffentlicht: | 6. September 2024 |
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Hintergrund: Das gesetzliche Rentenalter wird derzeit von 65 auf 67 Jahre angehoben. Dieser Prozess erstreckt sich über die Jahre 2012 bis 2031 bzw. auf die Geburtsjahrgänge (Kohorten) von 1947 an.
Jährlich erscheinen umfangreiche Statistiken der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) sowie Berichte der Bundesregierung, von denen man hofft, sie würden Beginn und Dauer von Rente im Zeitvergleich beschreiben, damit erkennen kann, ob und wie stark die Anhebung des gesetzlichen Rentenalters wirkt.
Leider sind die dort berichteten Kennzahlen (durchschnittliches Rentenzugangsalter [1], [2] und durchschnittliche Rentenbezugsdauer [2]) fehlerhaft konstruiert. Beide Kennzahlen basieren auf Ereignisdaten (Statistik des Rentenzugangs, des Rentenwegfalls), ohne die jeweils zensierten Fälle in Betracht zu ziehen. Dadurch werden (gegen die Methoden der Ereignisdatenanalyse) die abgeschlossenen Fälle (mit Ereignis) verallgemeinert auf die nicht abgeschlossenen Fälle (ohne Ereignis). Überdies sind beide Kennzahlen von der Altersstruktur beeinflusst. Das macht sie insbesondere für den Zeitvergleich nutzlos [3]. Dass sie dennoch regelmäßig so verwendet werden, ist für Wissenschaft, Politik und Medien irreführend. Abhilfe könnten kohortenbezogene Kennzahlen [4] schaffen, und es wäre zu wünschen, dass diese routinemäßig zur Verfügung gestellt werden. Eine andere Möglichkeit ergibt sich durch Auswertung periodenbezogener Daten mittels Sullivan-Methode [3], [5]. Die Erfahrungen mit Letzterem sollen hier geteilt werden.
Daten und Methode: Betrachtet wird die Altersrente (AR) in den Jahren 2012 bis 2022 in Deutschland. Die Sullivan-Methode kombiniert Sterbetafeln und altersspezifische AR-Prävalenz miteinander. Perioden-Sterbetafeln und Bevölkerungsstand wurde DESTATIS entnommen. Der Zähler der AR-Prävalenz entstammt der Statistik des Rentenbestandes der DRV (Sonderauswertung mit Wohnort Deutschland). Die Sullivan-Tafeln wurden auf den Abschnitt 60 Jahre bis 85 Jahre und älter gekürzt.
Es ist bisher nicht üblich, DRV-Daten mit der Bevölkerungsstatistik zu verknüpfen. Das Problem hierbei ist, dass nicht alle, die in Deutschland wohnen, eine AR der DRV zu erwarten haben. Die AR-Prävalenz etwa im Alter 70 beträgt in den betrachteten Jahren zwischen 90% und 95%. Aus dieser „Abdeckung“ im Alter 70 (nach Berichtsjahr und Geschlecht) ergibt sich jedoch eine Idee, wie man die AR-Prävalenz innerhalb der Sullivan-Methode adjustieren könnte, nämlich durch Multiplikation des Nenners (Bevölkerung) mit der Abdeckung. Dabei wird, ohne die altersspezifisch ansteigende AR-Prävalenz strukturell zu verzerren, diese künstlich erhöht bis zu einer „AR-Lebenszeitprävalenz“ von 100%.
Ergebnisse (adjustiert): Die Sullivan-Methode teilt die Lebenserwartung in einen Abschnitt ohne AR und einen Abschnitt mit AR, die sich als Beginn und Dauer von AR interpretieren lassen. 60-jährige Männer (Frauen) im Jahr 2012 hatten 3,86 (3,50) Jahre ohne AR und 17,41 (21,51) Jahre mit AR zu erwarten. 60-jährige Männer (Frauen) im Jahr 2022 hatten 4,86 (4,94) Jahre ohne AR und 16,59 (20,22) Jahre mit AR zu erwarten.
Diskussion: Sullivan-basierte Kennzahlen zeigen, in 10 Jahren hat sich der Beginn von AR in Deutschland um 1,0 Jahre bei Männern und 1,4 Jahre bei Frauen in ein höheres Alter verschoben. Wegen der nahezu stagnierenden Lebenserwartung resultiert daraus eine kürzere Dauer der AR um 0,8 Jahre bei Männern und 1,3 Jahre bei Frauen. Die Kennzahlen sind adjustiert, um spezifisch den Teil der Bevölkerung zu beschreiben, der tatsächlich in eine Altersrente der DRV eintritt. Für eine korrekte Information von Wissenschaft, Politik und Medien sollten Sullivan-basierte (ebenso wie kohortenbasierte) Kennzahlen konkret und dringlich dazu genutzt werden, die nicht interpretierbaren Kennzahlen der Rentenberichterstattung abzulösen.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.
Literatur
- 1.
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Rentenversicherungsbericht 2023. 2023. Verfügbar unter: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Rente/rentenversicherungsbericht-2023.html
- 2.
- Bundesregierung. Vierter Bericht der Bundesregierung gemäß § 154 Abs. 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch zur Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre. 2022. Verfügbar unter: https://sozialbeirat.de/media/vierter_bericht_zur_anhebung_der_regelaltersgrenze_auf_67_jahre.pdf.
- 3.
- Pattloch D. Altersrente: Innovative Kennzahlen zur Beschreibung von Beginn und Dauer von Rente 2012–2018. Sozialer Fortschritt. 2021;70(9):549–568. DOI: 10.3790/sfo.2021.00.0000.8SxWKN
- 4.
- Mika T, Krickl T. Entwicklung des Übergangs in die Altersrente bei den Geburtsjahrgängen 1936 bis 1952. Deutsche Rentenversicherung. 2020;75(4):522-551. https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Zeitschriften/DRV_Hefte_deutsch/2020/artikel_heft_4_mika_krickl.pdf?__blob=publicationFile&v=1
- 5.
- Réseau Espérance de Vie en Santé [REVES]. Sullivan Manual. 2007. Verfügbar unter: https://reves.site.ined.fr/fichier/s_rubrique/20182/sullivan_manual_jun2007.en.xls