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Gesundheit – gemeinsam. Kooperationstagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS), Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP), Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi), Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS) und der Deutschen Gesellschaft für Public Health (DGPH)

08.09. - 13.09.2024, Dresden

Re-Analyse einer retrospektiven Kohortenstudie zur Mortalität von Arbeitern Titandioxid-produzierender Fabriken in Deutschland

Meeting Abstract

  • Jannis Hansa - Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI), Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Germany
  • Hiltrud Merzenich - Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI), Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Germany
  • Ingo Langner - Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS, Bremen, Germany
  • Stefanie J. Klug - TUM School of Medicine and Health, Technische Universität München, München, Germany
  • Maria Blettner - Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI), Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Germany
  • Emilio Gianicolo - Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI), Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Germany

Gesundheit – gemeinsam. Kooperationstagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS), Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP), Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi), Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS) und der Deutschen Gesellschaft für Public Health (DGPH). Dresden, 08.-13.09.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. DocAbstr. 612

doi: 10.3205/24gmds118, urn:nbn:de:0183-24gmds1187

Veröffentlicht: 6. September 2024

© 2024 Hansa et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Titandioxid (TiO2) ist ein weißer anorganischer Stoff, der u.a. in der Produktion von Farben, Lebensmitteln oder Sonnenschutz zur Anwendung kommt. Höheren Expositionen sind vor allem Arbeiter in TiO2-verarbeitenden Fabriken ausgesetzt, die die Substanz als Staub einatmen können, was mit einem erhöhten Lungenkrebsrisiko verbunden sein könnte. Die IARC bewertete 2010 die verfügbare Evidenz bezüglich des krebserregenden Potenzials von TiO2 als nicht ausreichend. In epidemiologischen Studien fehlt insbesondere die Berücksichtigung wichtiger Confounder wie des Rauchverhaltens. Daher wurde TiO2 als „möglicherweise krebserregend für Menschen“ eingestuft [1]. Neuere epidemiologische Studien haben die mögliche Lungenkanzerogenität von TiO2 untersucht und erneut zur Diskussion gestellt. Aktuelle rechtliche Debatten auf Ebene der Europäischen Union zur Kennzeichnungspflicht von TiO2 verdeutlichen die umstrittene Evidenzlage und politische Brisanz des Themas [2].

Gegenstand dieses Beitrages ist die Re-Analyse zur Lungenkrebsmortalität einer deutschen Arbeiterkohorte unter Berücksichtigung vorhandener Daten zum Rauchverhalten. Diese Kohorte war Bestandteil einer internationalen retrospektiven Studie [3], in welcher der Rauchstatus nicht berücksichtigt wurde.

Methoden: Zur Kohorte gehörten 7.411 Personen aus drei TiO2-Produktionsstandorten mit mindestens einem Jahr Beschäftigungszeit und einem Beschäftigungsbeginn vor dem 01.01.1990. Ausgeschlossen wurden Personen, die nur in Beschäftigungen ohne TiO2-Exposition gearbeitet haben. Aufgrund der geringen Zahl von Frauen wurden diese nicht in der Analyse berücksichtigt. Basierend auf einem Mortalitäts-Follow-up der Studie von Boffetta et al. [3] lagen der Vitalstatus sowie die Todesursachen verstorbener Arbeiter bis zum 31.12.1999 für die Re-Analyse vor.

Für die Re-Analyse wurde ein externer Vergleich durchgeführt und das Standardized Mortality Ratio (SMR) berechnet. Als Referenz wurden WHO-Mortalitätsdaten für Westdeutschland bzw. ab 1990 für die gesamte Bundesrepublik verwendet. Um eine Unterschätzung der SMR durch fehlende Todesursachen zu vermeiden, wurden Analysen für spezifische Todesursachen nach den Methoden von Rittgen & Becker [4] durchgeführt. Informationen zum Rauchstatus lagen aus betriebsärztlichen Unterlagen vor und wurden für die Re-Analyse der deutschen Arbeiterkohorte verwendet.

Ergebnisse: 4.678 Männer mit insgesamt 129.263 Personenjahren (PJ) wurden nach Anwendung der beschriebenen Kriterien in der Analyse berücksichtigt mit einer Verteilung nach Produktionsstandort von 590 Personen (14.463 PJ) aus Fabrik A, 2.271 (65.526 PJ) aus Fabrik B und 1.817 (49.274 PJ) aus Fabrik C.

Insgesamt traten 986 Todesfälle auf, wobei für 87% die Todesursache ermittelt werden konnte. Im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung betrug das SMR 0,88 (95% CI: 0,83-0,94) für alle Todesursachen und 1,59 (95% CI: 1,24-2,01) für Lungenkrebs.

Für 2.594 Personen der Kohorte (55,5%) lagen Daten zum Rauchverhalten vor, wobei deren Vollständigkeit zwischen den drei Fabriken stark variiert (19%, 47% und 78%).

Ergebnisse zur Lungenkrebsmortalität unter Berücksichtigung des Rauchstatus sollen im Rahmen der Jahrestagung erstmals präsentiert werden.

Diskussion: Im Einklang mit internationalen Studien zeigt sich für die deutsche Kohorte eine geringere Gesamtmortalität im Vergleich mit der altersentsprechenden Allgemeinbevölkerung, was auf einen Healthy-Worker-Effekt hindeutet. Zur Interpretation der erhöhten Lungenkrebsmortalität von Arbeitern in der TiO2-Produktion ist die Berücksichtigung von Confoundern erforderlich. Die Verwendung von Verfahren der indirekten Adjustierung wird diskutiert.

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.


Literatur

1.
IARC Working Group on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans; International Agency for Research on Cancer; World Health Organization, editors. Carbon black, titanium dioxide, and talc. Lyon, Geneva: International Agency for Research on Cancer, Distributed by WHO Press; 2010.
2.
Hansa J, Merzenich H, Cascant Ortolano L, Klug SJ, Blettner M, Gianicolo E. Health risks of titanium dioxide (TiO2) dust exposure in occupational settings - A scoping review. Int J Hyg Environ Health. Jul 2023;252:114212.
3.
Boffetta P, Soutar A, Cherrie JW, Granath F, Andersen A, Anttila A, et al. Mortality among workers employed in the titanium dioxide production industry in Europe. Cancer Causes Control. Sep 2004;15(7):697–706.
4.
Rittgen W, Becker N. SMR Analysis of Historical Follow-Up Studies with Missing Death Certificates. Biometrics. Dec 2000;56(4):1164–9.