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67. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS), 13. Jahreskongress der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V. (TMF)

21.08. - 25.08.2022, online

HIV-Infektion als Risikofaktor für einen schweren Verlauf von COVID-19 – Kosten und Krankheitslast

Meeting Abstract

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  • Christian Richter - Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal, Germany
  • Karen Seer - Universität zu Köln, Köln, Germany
  • Helmut Brunner - Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal, Germany

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 67. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS), 13. Jahreskongress der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V. (TMF). sine loco [digital], 21.-25.08.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. DocAbstr. 79

doi: 10.3205/22gmds095, urn:nbn:de:0183-22gmds0955

Veröffentlicht: 19. August 2022

© 2022 Richter et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Einleitung: Risikogruppen für einen schweren Verlauf von COVID-19 bilden Personen ab 50 Jahren mit Vorerkrankungen und Abwehrschwäche. Die gleichzeitige Infektion mit HIV und SARS-CoV-2 stellt daher eine erhebliche medizinische und ökonomische Belastung des Gesundheitswesens dar. Ziel unserer Untersuchungen war die Identifikation von Risikofaktoren für HIV-Patient*innen mit einer simultanen SARS-CoV-2-Infektion. Die Analyse wurde auf Westeuropa begrenzt und schloss die gesundheitsökonomische Evaluation von COVID-19 anhand publizierter Studien für Deutschland ein.

Methodik: In einem Scoping-Review wurden die Ergebnisse von sieben in MEDLINE (PubMed) gelisteten Studien zur Erkennung von Risikofaktoren für HIV-Patient*innen bei einer SARS-CoV-2-Infektion analysiert, publikationsübergreifend verglichen und bewertet [1], [2], [3], [4], [5], [6], [7]. Zudem sollte eine Stratifizierung nach Altersgruppen Unterschiede in der Sterberate erfassen. Der Vergleich von HIV-Infizierten unter antiretroviraler Therapie (ART), die noch nicht an AIDS erkrankt waren, mit der übrigen Bevölkerung sollten Unterschiede in der Häufigkeit von Risikofaktoren in fünf europäischen Ländern aufzeigen. Die COVID-19-Auswirkungen auf die Behandlungskosten und die Krankheitslast in Deutschland bildeten den gesundheitsökonomischen Rahmen. Die Berichtsqualität der Studien wurde mit der STROBE-Statement Checkliste durch zwei Gutachter*innen evaluiert. Die Konkordanzanalyse diente als Maß für die Übereinstimmung der Gutachter*innen. Dabei war eine Gewichtung der Fragen notwendig, um die Bedingung der Approximation an die Normalverteilung zu erfüllen.

Ergebnisse: Menschen mit HIV wiesen auch unter ART ein hohes Risiko auf, schwer an COVID-19 zu erkranken und zu versterben, wenn sie adipös, männlich und/oder von afrikanisch-ethnischer-Herkunft waren, eine niedrige CD4-Zellzahl (< 200 /μL Blut) und weitere Begleitkrankheiten aufwiesen. In der Häufigkeit der Komorbiditäten und bei Adipositas war aber kein wesentlicher Unterschied für einen schweren COVID-Verlauf zwischen HIV-Patient*innen und der Allgemeinbevölkerung zu beobachten. Die Altersstratifizierung zeigte einen signifikanten Anstieg des Anteils der Verstorbenen auf knapp 40% bei den 50- bis 59-Jährigen, der trotz der stark sinkenden Infektionszahlen mit steigendem Alter zwischen 20 und 40% schwankte. Der Median der Behandlungskosten von COVID-19 schwankte zwischen 900 und 53.000 Euro pro Patient*in, abhängig von den Diagnosekategorien und dem klinischen Schweregrad [8]. Die Krankheitslast von COVID-19 konnte zu 99,3% den „Years of Life Lost, YLL“ und nur zu 0,7% den „Years Lived with Disability, YLD“ zugeordnet werden. Männer verloren im Schnitt 11, Frauen 8,1 Lebensjahre [9]. Die Berichtsqualität der Publikationen konnte mit mindestens ausreichend bewertet werden. Die Konkordanzanalyse ergab mit einer Interrater-Reliabilität von mindestens 0,61 eine gute Übereinstimmung der Gutachter*innen.

Diskussion: Die Ergebnisse der Studien sind aufgrund von Unterschieden bei den statistischen Analysemethoden, den Berichtszeiträumen, den Einschlusskriterien sowie bei der korrekten Diagnose von SARS-CoV-2-Positiven nur bedingt vergleichbar. Die Entwicklung einer einheitlichen Methodik (Datenerhebung und -verarbeitung) zur Untersuchung von Infektionskrankheiten wäre daher zu empfehlen. Außerdem sind weitere Untersuchungen notwendig, um die Kosten von COVID-19 besser einschätzen zu können. Der Anteil der YLD an der Krankheitslast könnte sich durch Long-COVID erhöhen. Eine weitere Beobachtung ist daher obligatorisch.

Schlussfolgerung: HIV ist nicht als unabhängiger Faktor zu betrachten. Ein hoher BMI, die afrikanisch-ethnische-Herkunft, das männliche Geschlecht, das Alter sowie Komorbiditäten sind erwartungsgemäß Prädiktoren für schwerere COVID-19-Verläufe bei HIV-Patient*innen. Eine geringe CD4-Zellzahl kann unter ART nicht eindeutig als Risikofaktor bestätigt werden. Die Kosten von COVID-19 variieren sehr stark, die Krankheitslast wird durch die YLL bestimmt.

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.


Literatur

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