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66. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS), 12. Jahreskongress der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V. (TMF)

26. - 30.09.2021, online

Entwicklung und Evaluierung einer Leitstellenoberfläche zur Unterstützung des Hautnotrufdienstes bei Notfällen mit außerklinisch beatmeten Patienten

Meeting Abstract

  • Beatrice Coldewey - Institut für Medizinische Informatik, Medizinische Fakultät der RWTH Aachen, Aachen, Germany; Abteilung für Medizinische Informatik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Oldenburg (Old), Germany
  • Rainer Röhrig - Institut für Medizinische Informatik, Medizinische Fakultät der RWTH Aachen, Aachen, Germany; Abteilung für Medizinische Informatik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Oldenburg (Old), Germany
  • Stephanie Raudies - Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. - Landesverband Niedersachsen/Bremen, Elsfleth, Germany
  • Myriam Lipprandt - Institut für Medizinische Informatik, Medizinische Fakultät der RWTH Aachen, Aachen, Germany; Abteilung für Medizinische Informatik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Oldenburg (Old), Germany

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 66. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS), 12. Jahreskongress der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V. (TMF). sine loco [digital], 26.-30.09.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. DocAbstr. 6

doi: 10.3205/21gmds041, urn:nbn:de:0183-21gmds0417

Veröffentlicht: 24. September 2021

© 2021 Coldewey et al.
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Gliederung

Text

Einführung: Die ambulante Intensivpflege ermöglicht langzeitbeatmeten Patient*innen in das vertraute häusliche Umfeld zurückzukehren und trägt so zu deren Lebensqualität und Autonomie bei. In dem BMBF-geförderten Projekt "MeSiB - Mehr Sicherheit für die häusliche Beatmungspflege" (http://www.mesib.de, Fkz: 16SV772xx) analysiert ein interdisziplinäres und interprofessionelles Team die Risiken der Heimbeatmung und entwickelt ein System (SafetyBox), welches mithilfe ambienter Sensorik und Schnittstellen zur Medizintechnik kritische Situationen erkennen und darauf mit unterschiedlichen Eskalationsszenarien reagieren kann (lokale Information, Hausnotrufdienst, Telemedizin) [1]. Zu der SafetyBox wurde ein High-Fidelity-Mockup eines Leitstellensystems für die Hausnotrufdienstzentrale entwickelt. Dieses verfügt über eine Kombination aus Anrufsteuerung, einer Wissensdatenbank für die Kund*nnen (CRM), entscheidungsunterstützenden Systemen (CDSS) mit Prozessunterstützung, einer unterschiedlich aggregierten und bereits interpretierten Darstellung der Vitaldaten, Geräte- und Raumsensorikdaten sowie eine integrierte Dokumentationsfunktion. Das Ziel der hier vorgestellten Arbeit war die Evaluation der Gebrauchstauglichkeit und Anwenderakzeptanz des prototypischen Leitstellensystems.

Methoden: Nach Beratung der Studie durch die Medizinischen Ethikkommission der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (Votum-Nr. 2018-144) wurde ein Usability-Test mit Hausnotruf-Disponent*innen (Proband*innen) in Form eines simulierten Notrufs durchgeführt. Die realitätsnahe Simulation umfasste die Kontaktaufnahme und Einschätzung der Vorortsituation, Alarmierung weiterer Hilfskräfte bei Bedarf sowie die Dokumentation. Vor Beginn des Tests erfolgte eine kurze Einweisung in die Komponenten des neuentwickelten Leitstellensystems. Die Interaktion der Proband*innen wurde mit einem HeadMounted Eyetracker (Tobii Glasses Pro II) aufgezeichnet. Die Videos mit den Markierungen der Blickrichtung (s. Abbildung 1 [Abb. 1]) wurden unmittelbar nach den Durchläufen angesehen und von den Proband*innen wie bei einem Thinking Aloud Test kommentiert.

Die Video-Aufzeichnungen und Äußerungen der Proband*innen wurden qualitativ auf die Anwenderakzeptanz und Probleme ebenso wie positive Befunde hinsichtlich der Gebrauchstauglichkeit analysiert. Zusätzlich erfolgte eine quantitative Auswertung von Aufgabenerfüllung (Effektivität) und Bearbeitungszeit (Effizienz) sowie eines standardisierten Usability-Fragebogens (System Usability Scale) [2], [3].

Ergebnisse: Alle acht Proband*innen, erfahrene Hausnotruf-Disponent*innen, konnten das Szenario erfolgreich von im Median von 07:24 Minuten (Range 04:24 - 08:51 Minuten) bearbeiten. Die Proband*innen mussten sich während der Aufgabenbearbeitung einen Überblick über die Funktionsweise verschaffen. Probleme bei der Interaktion lagen beispielsweise in der neuartigen Darstellung eingehender Anrufe im Gegensatz zur Erfahrung mit dem bisherigen System. Feedbackfunktionen in Form von Pop-Up Benachrichtigungen wirkten störend. Die Farbkodierung vom Anrufstatus (z.B. Rot=aktiver Anruf) war missverständlich, die Verwendung geeigneter Symbole wurde gewünscht. Allgemein waren das CDSS und die Prozessunterstützung nicht immer ausreichend selbstbeschreibungsfähig und wurden nicht als Hauptbedienfunktion des Systems wahrgenommen. Die neuen MeSiB-spezifischen Komponenten wurden sofort verstanden und als nützlich angesehen sowie die Unterstützung in der Dokumentation als hilfreich. Interessanterweise gab es bedenken bei der Abarbeitungsgeschwindigkeit, Parallelisierung mehrerer Anrufe sowie der Dokumentationsunterstützung. Hier bestand Sorge, dass das System die bisher bestehende Team-Interaktion ersetzt und das Selbstverständnis verändert.

Schlussfolgerungen: Die Integration aller benötigten Komponenten zusammen mit dem CDSS und der automatischen Dokumentation vereinfachen den Prozess. Eine Einarbeitungsphase wäre notwendig, um das gesamte System kennenzulernen. Für eine hohe Anwenderakzeptanz ist die Stärkung des Bewusstseins für die relevanten Tätigkeiten - die Beurteilung der Situation und geeigneter Maßnahmen - weg von Nebentätigkeiten wie der Dokumentation notwendig. Das entwickelte System soll die Disponenten unterstützen und keineswegs ersetzen. Der Test zeigte, dass Digitalisierung das gesamte soziotechnische System betrifft.

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.

Der Beitrag wurde bereits publiziert: Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Intensiv- und Notfallmedizin


Literatur

1.
Lipprandt  M, Gacek S, Röhrig R; MeSiB Research Group. MeSiB – More safety for ventilated patients in intensive home care. In: 63. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Osnabrück, 02.-06.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. DocAbstr. 4. DOI: 10.3205/18gmds149 Externer Link
2.
Bangor A, Kortum PT, Miller JT. An Empirical Evaluation of the System Usability Scale. International Journal of Human-Computer Interaction. 2008;24(6):574-594
3.
Lewis JR. The System Usability Scale: Past, Present, and Future. International Journal of Human–Computer Interaction. 2018;34(7):577-590. DOI: 10.1080/10447318.2018.1455307 Externer Link