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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

QS-Messung mit GKV-Routinedaten bei akuter Leukämie: Differenzierung der klin. Behandlungspfade in Abhängigkeit vom erstbehandelnden Krankenhaus anhand des Merkmals „Krankenhausfachabteilung“

Meeting Abstract

  • Dirk Horenkamp-Sonntag - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG), Hamburg, Deutschland
  • Roland Linder - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG), Hamburg, Deutschland
  • Susanne Engel - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG), Hamburg, Deutschland
  • Udo Schneider - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG), Hamburg, Deutschland
  • Matthias Dettloff - GKV-Spitzenverband, Berlin, Deutschland
  • Axel Heyll - Kompetenz Centrum Onkologie der MDK-Gemeinschaft, Düsseldorf, Deutschland
  • Jochen Seidel - Gemeinsame Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin, Deutschland
  • Frank Verheyen - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG), hamburg, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 235

doi: 10.3205/15gmds205, urn:nbn:de:0183-15gmds2051

Veröffentlicht: 27. August 2015

© 2015 Horenkamp-Sonntag et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Bei der Behandlung der akuten Leukämie gibt es Hinweise auf erhebliche Qualitätsmängel in nicht aus-reichend spezialisierten Krankenhäusern, welche die Heilungschancen maßgeblich beeinträchtigen. Hierzu gehören u. a. eine verzögerte Diagnose, die verzögerte Einleitung einer Spendersuche und das Verpassen des optimalen Zeitpunkts für die Stammzelltransplantation mit entsprechenden Folgen für Komplikationsrate, Überleben und Lebensqualität. Vor diesem Hintergrund wurde untersucht, ob und inwiefern sich die Krankenhausauswahl bei der Erstbehandlung von Patienten mit akuter Leukämie auf Art und Umfang der Therapie sowie den Krankheitsverlauf auswirken.

Über die inhaltliche Fragestellung hinausgehend exemplifiziert die vorliegende Analyse methodische Herausforderungen, die zu lösen mit der zunehmenden Dynamik in der sektorenübergreifenden Quali-tätsmessung – u.a ablesbar an der Gründung des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) im Januar 2015 – zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dabei kommt der Nutzung von GKV-Routinedaten als Sekundärdatenquelle eine zentrale Rolle zu. Um etwa QS-Aspekte in GKV-Routinedaten kausal zuordnen zu können, besteht im ambulanten Bereich die Möglichkeit, über die lebenslange Arztnummer sehr detailliert die ambulanten Leistungserbringer (ca. 150.000 Vertragsärzte) zu differenzieren, so dass sehr genaue Aussagen zu Art und Umfang der fachärztlichen Leis-tungserbringung möglich sind. Im stationären Bereich (ca. 2.000 Krankenhäuser) ist dies in den Routi-nedaten nicht auf Einzelarztebene möglich, sehr wohl aber innerhalb des Krankenhauses über eine Differenzierung auf Fachabteilungsebene. In der Datenübermittlung nach § 301 Abs. 3 SGB V wird die Verschlüsselung der Fachabteilungen gemäß Anhang 1 der BPflV einheitlich vorgegeben. So wird bei-spielsweise die Herzchirurgie mit Schwerpunkt Thoraxchirurgie als 4-Steller (2120) verschlüsselt. Damit lassen sich stationäre Einrichtungen indirekt hinsichtlich Ihrer Strukturqualität differenzieren, da be-stimmte Abteilungen (z.B. Herzchirurgie) besondere Leistungen (z.B. Herz-Lungen-Maschine) vorhalten müssen. Damit lassen sich beispielweise bei der aktuellen Diskussion zur unkritischen Indikation von neuen Aortenklappenersatzverfahren (TAVI = Transkatheter-Aortenklappen-Implantation) in den GKV-Routinedaten besonders qualifizierte Leistungserbringer (Krankenhäuser mit Herzchirurgie) von weniger qualifizierten unterscheiden.

Material und Methoden: Datengrundlage sind GKV-Routinedaten der Techniker Krankenkasse im Zeitraum 01.01.2009 bis 25.03.2015. Um gezielt Patienten mit kurativer Therapieoption zu analysieren, wurden nur Fälle ausge-wählt, bei denen eine autologe oder allogene Stammzelltransplantation zur Anwendung kam. Eine Gruppenzuordnung der Patienten erfolgte in einem ersten Schritt nach Art der initial behandelnden Krankenhäuser: mit (KH+) und ohne hämato-onkologische Fachabteilung (KH-). Dabei wurden die Fachabteilungsschlüssel „0500“ (Hämatologie und internistische Onkologie), „0510“ (Hämatologie und internistische Onkologie/Schwerpunkt Pädiatrie), „0524“ (Hämatologie und internistische Onkolo-gie/Schwerpunkt Frauenheilkunde) und „0533“ (Hämatologie und internistische Onkologie/Schwerpunkt Strahlenheilkunde) berücksichtigt.

In einem zweiten Schritt wurde alternativ über Angaben aus dem Deutschen Register für Stammzell-transplantationen (DRST) operationalisiert. In diesem werden unabhängig von Alter und Diagnose der Patienten Daten über alle ab dem 01.01.1998 in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführten Über-tragungen von hämatopoetischen Stammzellen (u.a. Knochenmark und periphere Blutstammzellen) erfasst und ausgewertet. Dazu dokumentieren die Transplantationseinheiten ihre Daten entweder online oder mittels entsprechender Papierformulare, die zentral gesammelt werden. Mit diesen systematisch erhobenen Primärdokumentationen kann ausgewertet werden, wie sich Deutschland als Standort für allogene und autologe Transplantationen von blutbildenden Stammzellen im Zeitverlauf entwickelt hat, wobei für die allogenen und autologen Transplantationen zwischen Erst-, Re und zusätzlichen Trans-plantationen unterschieden werden kann.

Ergebnisse: Im TK-Versichertenkollektiv (n = 9 Millionen) wurden 8.159 prävalente Fälle von akuter Leukämie (ope-rationalisiert mit den ICD-Codes C91.0, C91.8, C92.0, C92.3, C92.4, C92.5, C92.6, C92.8, C93.0, C93.1, C94.0, C94.2, C94.3, C94.4, C94.8, C95.0, C96.2 und D46.2) identifiziert, von denen bei Opera-tionalisierung mit einer diagnosefreien Vorlaufzeit von mind. zwei Jahren im Untersuchungszeitraum 2012 bis 2013 insgesamt 3.442 inzident waren. Bei Fokussierung auf stationäre ICD-Fälle mit Stamm-zelltransplantation und Ausschluss von Leukämie-Mischformen (n = 1.598) konnten 167 Versicherte als homogenes Untersuchungskollektiv selektiert werden. Das Durchschnittsalter dieser Versicherten liegt bei 51,0 Jahren und das Verhältnis von akuter lymphatische Leukämie (ALL) zu akuter myeloischer Leu-kämie (AML) liegt bei 1:3.

Bei Differenzierung mittels Fachabteilungsschlüssel für Hämato-Onkologie hatten 69,6% der Versicher-ten ihren ersten leukämie-spezifischen Krankenhausaufenthalt in KH- (30,4% in KH+). In der Gruppe KH- dauerte es 144 Tage (Median) von der ersten stationären Leukämie-ICD bis zur Stammzelltrans-plantation, in KH+ 125 Tage. Die Durchführung der ersten Stammzelltherapie erfolgte in 69,0% in KH- und in 31,0% in KH+.

Bei alternativer Operationalisierung mittels DRST-Angaben hatten 54,8% der Versicherten Ihren ersten leukämie-spezifischen Krankenhausaufenthalt in KH+, 45,2% in KH-. In der Gruppe KH- dauerte es 142 Tage (Median) von der ersten stationären Leukämie-ICD bis zur Stammzelltransplantation, in KH+ 129 Tage. Die Durchführung der ersten Stammzelltherapie erfolgte zu 99,4% in KH+ und zu 0,4% in KH-.

Diskussion: Behandlungspfade von Patienten mit akuter Leukämie lassen sich mit GKV-Routinedaten transparent darstellen. Unabhängig von der Art der Operationalisierung bei der Krankenhausgruppenzuordnung (KH+ vs. KH-) ist ein dezenter Trend erkennbar, dass bei Erstbehandlung in einem „spezialisierteren“ Krankenhaus die Zeit von der ersten stationären Leukämie-ICD bis zur Stammzelltransplantation etwas geringer ausfällt.

Bei der Differenzierung von KH+ und KH- auf Basis des Fachabteilungsschlüssels erfolgt die Stamm-zelltransplantation überwiegend in Einrichtungen, deren Fachabteilungsdefinitionen nicht kompatibel mit der komplexen Leukämieleistungserbringung, operationalisiert über die OPS-Codes „5-411“ (Transplan-tation von hämatopoetischen Stammzellen aus dem Knochenmark) und „8-805“ (Transfusion von peri-pher gewonnenen hämatopoetischen Stammzellen), ist. Von daher ist für die Indikation „akute Leukämie“ das Kennzeichen Krankenhausfachabteilung für Sekundärdatenanalysen von deutlich reduzierter Validität und damit für die QS-Messung auf Basis von GKV-Routinedaten ungeeignet. Inwiefern diese Erkenntnisse auch auf andere Indikationen (z.B. TAVI) übertragbar sind, ist mit separaten Analysen zu verifizieren.

Um dieses Problem bei anderen Krankheitsentitäten a priori zu umgehen, sind alternative Operationali-sierungen zur Differenzierung der stationären Leistungserbringer möglich. Dies kann entweder über die Erbringung spezifischer Leistungen erfolgen, z.B. durch Operationalisierung mittels bestimmter DRGs, deren Abrechnung an den Einsatz spezifischer Leistungen (z.B. Herz-Lungen-Maschine) gekoppelt ist. Alternativ kann auch durch Angaben aus externen Registern, in denen bestimmte QS-Informationen als Klartext hinterlegt sind, operationalisiert werden. Für die Zuordnung der registerbezogenen Primärda-tenangaben zu den in den GKV-Routinedaten hinterlegten Informationen kann das Institutionskennzei-chen (IK), das gemäß § 293 SGB V von Leistungserbringern zur Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen eingesetzt wird, als eindeutige Identifikationsnummer verwendet werden. Dieses geht allerdings mit Informationsverlusten einher, da bei größeren Einrichtungen (z.B. Universitäten) dann nicht mehr zwischen verschiedenen Standorten der Leistungserbringung differenziert werden kann. Somit sind beispielsweise für Stammzelltransplantationen keine Differenzierungen mehr zwischen hämato-onkologischen Einrichtungen für Erwachsene und Kinder möglich.