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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Verbesserung der Betäubungsmitteldokumentation durch eStandards zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit

Meeting Abstract

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  • Heike Dewenter - Hochschule Niederrhein, Krefeld, Deutschland
  • Sylvia Thun - Hochschule Niederrhein, Krefeld, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 152

doi: 10.3205/15gmds196, urn:nbn:de:0183-15gmds1963

Veröffentlicht: 27. August 2015

© 2015 Dewenter et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Der Umgang mit Arzneistoffen, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen eine Abhängigkeit hervorrufen können und z.B. zur Behandlung starker Schmerzen eingesetzt werden, erfor-dert besondere Sorgfalt. Dies gilt insbesondere für die Einhaltung der gesetzlich vorgegebe-nen Dokumentationspflichten im Zusammenhang mit der Verabreichung von verschrei-bungspflichtigen Präparaten, die unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) fallen [1]. Die korrekte Erfassung der relevanten Daten spielt eine elementare Rolle innerhalb der Arznei-mitteltherapiesicherheit (AMTS) und dem rechtlichen Schutz der Berufsgruppen, die an der Verordnung und Verabreichung von Betäubungsmitteln beteiligt sind (z.B. Ärzte, Apotheker, Gesundheits- und Krankenpflegepersonal etc.).

Nach den Vorgaben des BtMG müssen Betäubungsmittel gesondert aufbewahrt und gegen unbefugtes Entfernen gesichert werden. In Krankenhäusern oder Apotheken erfolgt die Auf-bewahrung regulär in zertifizierten Wertschutzschränken. Jeder am Betäubungsmittelverkehr beteiligte Standort ist verpflichtet, alle dort befindlichen Präparate sowie Arzneimittelzugänge und Verabreichungen an Patienten in Betäubungsmittelbüchern handschriftlich zu dokumen-tieren. Diese Art der Aufzeichnung birgt allerdings diverse Risiken wie eine unvollständige, unleserliche oder zeitverzögerte Datenerfassung. In diesem Zusammenhang besteht eine potentielle Gefährdung der Arzneimitteltherapiesicherheit. Als Beispiel sind an dieser Stelle Medikamentenüberdosierungen auf der Grundlage fehlerhafter Dokumentation zu nennen.

Ein möglicher Ansatz zur Verbesserung der Betäubungsmitteldokumentation ist die Nutzung moderner informations- und kommunikationstechnologischer Methoden in Form von eStan-dards. Aktuell sind standardisierte Schemata verfügbar, die sich potentiell auf die hier darge-stellte Problematik übertragen lassen, wie der von HL7 Deutschland e.V. herausgegebene, auf HL7 Clinical Document Architecture (CDA) basierende Implementierungsleitfaden „Pati-entenbezogener Medikationsplan“. In der zum IHE-Profil „Pharmacy“ zugehörigen Ergän-zung „Pharmacy Dispense“ wird ebenfalls HL7 CDA eingesetzt.

Eine interoperable elektronische Dokumentations- und Kommunikationsgrundlage wird durch das Zusammenwirken semantischer und syntaktischer Standards ermöglicht. Wird HL7 CDA für den hier beschriebenen Anwendungsfall als Informationsmodell verwendet, werden ge-eignete semantische Komponenten benötigt um konkrete Informationen in Bezug auf Betäu-bungsmittel zu beschreiben. Eine grundlegende Komponente ist dabei die korrekte ma-schinenlesbare Repräsentierung des Arzneimittelwirkstoffes.

In dieser Arbeit wird untersucht, inwieweit national und international eingesetzte seman-tische Standards, die in Kombination mit HL7 CDA zum Einsatz kommen, in der Lage sind, unter das BtMG fallende Arzneimittelwirkstoffe eindeutig zu kodieren.

Material und Methoden: Als Untersuchungsgegenstand dienen die International Nonpropietary Names (INN) derjeni-gen Wirkstoffbezeichnungen, welche nach Anlage III des BtMG als „verkehrsfähige und ver-schreibungsfähige Betäubungsmittel“ aufgeführt sind. Diese INN werden im Weiteren als Konzepte bezeichnet.

Die semantische Kodierung der Wirkstoffbezeichnungen erfolgt in zwei Varianten. In der ers-ten Variante wird die deutsche Fassung der Anatomisch-Therapeutisch-Chemische Klassifi-kation (ATC) in der Version 2015 verwendet [2]. Bei ATC handelt es sich um eine amtliche Klassifikation pharmakologischer Wirkstoffe, der definierte Tagesdosen (DDD) zugeordnet werden. In der zweiten Variante wird die medizinische Terminologie SNOMED CT, Version SctIntl_20150131 zur semantischen Kodierung eingesetzt. SNOMED CT setzt sich momen-tan auf internationaler Ebene als favorisierter Terminologiestandard durch [3].

Als Ergebnisse werden lediglich die Konzepte berücksichtigt, die in den beiden eStandards semantisch sicher kodiert werden können. Als sichere semantische Kodierung wird hierbei eine 1:1 Abbildung definiert, d.h. es besteht eine wörtliche Übereinstimmung zwischen Quell- und Zielkonzept (z. B. Alfentanil (INN) → Alfentanil (ATC/DDD bzw. SNOMED CT)).

Ergebnisse: Absatz III des BtMG beinhaltet 74 verschiedene International Nonpropietary Names.

Mit ATC/DDD können 69 von 74 INN sicher semantisch kodiert werden. Bei den nicht ko-dierbaren INN handelt es sich um Delorazepam, Etorphin, Fenproporex, Haloxazolam und Nimetazepam.

Mit SNOMED CT können 64 von 74 INN semantisch sicher kodiert werden. Dabei sind alle Wirkstoffe in der SNOMED CT- Achse „substance“ repräsentiert. Bei den nicht kodierbaren INN handelt es sich um Camazepam, Cloxazolam, Delorazepam, Ethylloflazepat, Etizolam, Fludiazepam, Haloxazolam, Levomethadon, Nimetazepam und Normethadon.

Diskussion: Die Ergebnisse zeigen, dass mit der deutschen Fassung der ATC/DDD, Version 2015 die INN der verkehrsfähigen und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel zu 93,24% seman-tisch sicher kodiert werden können. In der Variante SNOMED CT können dieselben INN zu 86,49 % semantisch sicher kodiert werden.

Eine differenzierte Literaturrecherche zu den nicht kodierbaren INN in ATC/DDD und SNO-MED CT ergibt, dass der Wirkstoff Etorphin in Deutschland ausschließlich für den veterinär-medizinischen Bereich zugelassen ist. Bei Delorazepam, Fenproporex, Haloxazolam und Nimetazepam handelt es sich um in Deutschland nicht erhältliche Präparate.

Aus diesen Erkenntnissen lässt sich der Schluss ziehen, dass mit ATC/DDD die verkehrsfä-higen und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel nach Art. III BtMG, die sich in Deutsch-land im Handel befinden und für den humanmedizinischen Bereich zugelassen sind, zu 100% semantisch sicher kodiert werden können (n=69). Unter denselben Kriterien können in SNOMED CT 91,3 % der INN abgebildet werden.

Anhand der Untersuchungsergebnisse wird deutlich, dass der Klassifikationsstandard ATC/DDD besonders geeignet ist um Arzneimittelwirkstoffe, die unter das BtMG fallen, in maschinenlesbarer Form wiederzugeben. Die Nutzung von ATC/DDD zur Repräsentierung von Arzneimittelwirkstoffen wird bereits an anderer Stelle standardkonform eingesetzt, wie in dem HL7-Implementierungsleitfaden „Patientenbezogener Medikationsplan“. Eine Übertra-gung der relevanten Inhalte auf den Use Case „Elektronisches Management von Dokumen-tationspflichten nach BtMG“ kann theoretisch erfolgen. Zu beachten ist allerdings, dass es sich bei der ATC/DDD-Klassifikation um urheberrechtlich geschütztes Eigentum des Wissen-schaftlichen Instituts der AOK (WIdO) im AOK-Bundesverband handelt. Eine Nutzung dieser Klassifikation innerhalb eines zu erstellenden HL7 CDA Dokumentes zur elektronischen Do-kumentation und Kommunikation des Betäubungsmittelverkehrs, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des AOK-Bundesverbandes.

Der Einsatz von SNOMED CT für die Kodierung von INN nach Abs. III BtMG zeigt im Ver-gleich zu ATC/DDD ein geringeres Potential im Sinne der semantisch sicheren Abbildung. Eine mögliche Erklärung ist, dass SNOMED CT als hochdifferenzierte medizinische Termino-logie nicht primär auf den pharmakologischen Bereich abzielt. Ein Antrag zur Aufnahme feh-lender INN-Bezeichnungen in SNOMED CT ist allerdings durch jede Person über eine per-sönliche Kontaktaufnahme mit der International Health Terminology Standards Development Organisation (IHTSDO) möglich. Die Nutzung von SNOMED CT-Codes ist für jeden Anwen-der in Deutschland lizenz- und kostenpflichtig [3].

Zur Verbesserung der Betäubungsmitteldokumentation durch elektronische Lösungen bietet HL7 CDA im Zusammenhang mit potenten semantischen Standards einen vielversprechen-den Lösungsansatz. Neben den elementaren Arzneimittelwirkstoffen können weitere gesetz-lich erforderliche Daten wie z.B. Applikationsform und – menge, verabreichende Person so-wie der Patientenname als Empfänger der Medikation dokumentiert und semantisch in-teroperabel kommuniziert werden.

Eine weitere Herausforderung ist die Einbindung der hier beschriebenen eStandards in pra-xistaugliche und wirtschaftliche Hardwarelösungen. Ein Medikationsmanagement über elekt-ronische Betäubungsmittelschränke erscheint primär als kostenintensive Insellösung und flächendeckend wenig geeignet. An dieser Stelle bietet sich z. B. der Einsatz von Scannern und Barcodes oder Apps zur Erfassung von Daten zu Betäubungsmitteln, Verordnenden, Verabreichenden und Empfängern an.


Literatur

1.
Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) [Internet]. 2015 [zitiert am 11.02.2015]. URL: http://www.gesetze-im-internet.de/btmg_1981/ Externer Link
2.
DIMDI, Hrsg. ATC-Klassifikation mit definierten Tagesdosen DDD [Internet]. 2013 Nov [zitiert am 22.03.2015]. URL: http://www.dimdi.de/static/de/klassi/atcddd/index.htm Externer Link
3.
Lee D, Cornet R, Lau F, de Keyzer N. A survey of SNOMED CT implementations. Journal of Biomedical Informatics. 2013;46:87–96
4.
HL7 e.V. Deutschland. Implementierungsleitfaden Patientenbezogener Medikationsplan (0.97) [Internet]. 2015 Mar [zitiert am 22.03.2015]. URL: http://wiki.hl7.de/index.php/IG:Patientenbezogener_Medikationsplan Externer Link
5.
IHE Pharmacy Technical Framework Supplement. Pharmacy Dispense (DIS) [Internet]. 2010 [zitiert am 22.03.2015]. URL: http://www.ihe.net/Technical_Framework/upload/IHE_Pharmacy_Suppl_DIS_Rev1-1_TI_2010-12-30.pdf Externer Link