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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Analyse der Presseberichterstattung während der Influenza-Pandemie (H1N1) in Deutschland 2009/2010

Meeting Abstract

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  • Sabine Husemann - Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Bielefeld, Deutschland
  • Florian Fischer - Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Bielefeld, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 006

doi: 10.3205/15gmds191, urn:nbn:de:0183-15gmds1913

Veröffentlicht: 27. August 2015

© 2015 Husemann et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Da die Berichterstattung über Massenmedien Einfluss auf die Informiertheit und das Verhalten der Bevölkerung ausüben kann, ist eine adäquate Kommunikation von gesundheitlichen Risiken insbesondere in Krisensituationen von großer Bedeutung [1]. Die Gesundheitsberichterstattung während gesundheitlicher Krisensituationen wird dabei häufig unter dem Aspekt der Risikokommunikation gefasst [2]. Auch die Influenza (H1N1)-Pandemie 2009/2010, die zu 225.729 Erkrankungsfällen in Deutschland führte, wurde in den Medien aufgegriffen und stark diskutiert [3]. Der Ausruf der höchsten Pandemiestufe sowie die damit einhergehenden Impfempfehlungen und Massenproduktion von Impfstoffen führten zu Verunsicherungen in der Bevölkerung. In derartigen Situationen ist eine effektive Risikokommunikation essentiell: Zum einen, um neutrale und verständliche Informationen bereitzustellen und zum anderen, um die Bevölkerung zur Nutzung präventiver Maßnahmen zu ermutigen [4]. Unter der Annahme, dass die durch Medien vermittelten Botschaften die wahrgenommene Bedrohungseinschätzung beeinflussen, erfolgt ein direkter Einfluss von Medien auf die Verhaltensintention. Daher wird im Rahmen der Analyse die Berichterstattung der Presse, als einem zentralen Medium zur Information der Bevölkerung, während der Influenza (H1N1)-Pandemie 2009/2010 in Deutschland anhand inhaltlicher Kriterien und Botschaftsmerkmale untersucht.

Material und Methoden: Für die Analyse wurden Zeitungsartikel aus der Datenbank Nexis systematisch zusammengestellt und anschließend mit dem Statistikprogramm SPSS ausgewertet. Die Analyse der Zeitungsartikel erfolgte dabei in zwei Teilschritten: In der zeitlichen Analyse wurde der gesamte Zeitraum der H1N1-Pandemie (April 2009 – August 2010) betrachtet, indem alle Zeitungsartikel (n=15.353) mit den Erkrankungsfällen in Beziehung gesetzt wurden. Dazu wurde auf die Meldedaten der Influenzafälle beim Robert Koch-Institut (SurvStat-Datenbank) zurückgegriffen. Die inhaltliche Analyse basierend auf einem Kategoriensystem beschränkt sich auf die Zeitungsartikel an sieben Stichtagen in der Hauptphase der Pandemie (n=124; Juni/Juli 2009). Neben inhaltlichen Aspekten wurden auch Botschaftsmerkmale (Furchtappell, Bedrohlichkeit, Selbstwirksamkeit, Evidenzart) in Anlehnung an Ziegler et al. [5] und Hastall [1] erfasst. Darüber hinaus wurden Zeitungsartikel von drei weiteren Stichtage aus der Endphase der Pandemie (n=16; August 2010) berücksichtigt, um Veränderungen der Berichterstattung in Bezug auf Kritik an der Kommunikation bzw. Berichterstattung seitens öffentlicher Einrichtungen im Zeitverlauf darzustellen.

Ergebnisse: Der Vergleich der Anzahl erfasster Zeitungsartikel sowie Erkrankungsfälle im gesamten Pandemieverlauf zeigt eine grundlegende zeitliche Übereinstimmung. Zu Beginn der Pandemie, als die Zahl der Erkrankungsfälle noch relativ gering war, konnte jedoch ein hoher Anteil an Zeitungsartikeln beobachtet werden. Dies kann damit erklärt werden, dass die Pandemie zu diesem Zeitpunkt zunächst in anderen Ländern Erkrankungs- und Todesfälle verursachte. Zudem wird im zeitlichen Verlauf deutlich, dass die Anzahl der Zeitungsartikel nach Ausruf der höchsten Pandemiestufe am 11. Juni 2009 deutlich anstieg.

Nur in 17,1% (n=24) der in der Hauptphase erschienenen Artikel sind Informationen zum Krankheitsbild bzw. zum Erreger des neuen Influenza-Typs H1N1 enthalten. Hierbei ist zunächst im zeitlichen Verlauf ein leichter Anstieg zu erkennen. Angaben zum Verlauf der Pandemie sind in 51,4% (n=72) der Zeitungsartikel enthalten. Dies ist im Zeitverlauf weitestgehend stabil. In mehr als der Hälfte der Artikel (52,8%; n=74) finden sich Angaben zu Erkrankungs- und/oder Todesfällen. Während der beobachteten Phase der Pandemie lässt sich ein Anstieg von Artikeln mit nationalem Bezug feststellen, während der Anteil der international ausgerichteten Artikel im Zeitverlauf abnimmt. Insgesamt kommen mit 60,7% (n=85) am häufigsten Zeitungsartikel mit ausschließlich nationalem Bezug vor. Die Angaben zu Informationen über Impfungen oder Impfempfehlungen nehmen im Zeitverlauf deutlich zu (von 0% am ersten auf 38,9% am letzten betrachteten Stichtag). Häufig sind in den Artikeln Darstellungen von Einzelschicksalen zu erkennen (48,6%; n=68). Informationen zu politischen Entscheidungen kommen in etwa der Hälfte der Zeitungsartikel (51,4%; n=72) vor, während Aussagen zu ökonomischen Konsequenzen nur in 11,4% (n=16) getroffen werden. Kritik wird in fast keinem Artikel in der Hauptphase geäußert (7,3%), während in den Artikeln der drei Stichtage in der Endphase häufig Kritik (68,8%) zu finden ist.

Es lässt sich ein Zusammenhang zwischen dem Vorkommen von Furchtappellen und dem Botschaftsmerkmal „Bedrohlichkeit“ durch eine Korrelation darstellen (r=0,520, p<0.001). Sofern in den Artikeln Angaben zu Informations- und/oder Unterstützungsmöglichkeiten enthalten sind, ist häufig auch das Botschaftsmerkmal „Selbstwirksamkeit“ vorhanden (r=0,575; p<0.001). Ähnlich ist es auch bei dem Zusammenhang zwischen der Angabe von Schutzmöglichkeiten und dem Botschaftsmerkmal „Selbstwirksamkeit“ (r=0,579; p<0.001).

Diskussion: Die Analyse der Presseberichterstattung während der H1N1-Pandemie in Deutschland zeigt einen Zusammenhang zwischen dem Verlauf der Erkrankungszahlen und den Meldungen öffentlicher Institutionen (z.B. der Ausruf der höchsten Pandemiestufe). Durch den Einsatz von Furchtappellen sollte das Bedrohlichkeitsgefühl gestärkt [1] und die Bevölkerung somit zur Inanspruchnahme von Impfungen aktiviert werden. Angaben zu Unterstützungsmöglichkeiten sowie Informationen zu dem richtigen Verhalten können das Selbstwirksamkeitsgefühl stärken und somit ebenfalls dazu beitragen, dass die Nachfrage hinsichtlich Impfungen steigt. Vertrauen in die zuständigen Personen und Institutionen ist einer der wichtigsten Faktoren für eine effektive Risikokommunikation [4]. Vertrauen lässt sich nur erreichen, wenn ein Konsens in der Presseberichterstattung besteht, welcher der Bevölkerung das Gefühl von Glaubwürdigkeit und Seriosität vermittelt. Nur so kann Panik verhindert werden und ein bewusster Umgang mit dem Virus (z.B. in Bezug auf präventive Maßnahmen) gewährleistet werden. Bei der gesundheitsbezogenen Risikokommunikation ist deshalb eine zielgerichtete Interaktion und Kooperation zwischen den verantwortlichen Institutionen und der Presse erforderlich [4]. Die Berichterstattung während der Influenza (H1N1)-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig eine zielgerichtete Risikokommunikation ist, um die Bevölkerung auf den bevorstehenden Verlauf der Pandemie vorzubereiten und angemessen zu informieren und somit auch angemessene Verhaltensweisen zu fördern.


Literatur

1.
Hastall MR. Kommunikation von Gesundheitsrisiken in Massenmedien. Der Einfluss- von Informations- und Rezipientenmerkmalen auf die Botschaftszuwendung und -vermeidung. Baden-Baden: Nomos; 2011.
2.
Rossmann C, Brosius HB. Die Risiken der Risikokommunikation und die Rolle der Massenmedien. Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz. 2013;56(1):118-23.
3.
Buda S, Köpke K, Luchtenberg M, Schweiger B, Biere B, Duwe S, Fiebig L, Buchholz U, an der Heiden M, Haas W. Bericht zur Epidemiologie der Influenza in Deutschland Saison 2009/10. Berlin: Robert Koch-Institut; 2010.
4.
Petts J, Draper H, Ives J, Damery S. Risk Communication and pandemic influenza. In: Bennett P, Calman K, Curtis S, Fischbacher-Smith D, Hrsg. Risk Communication & Public Health. Oxford: Oxford University Press; 2010.
5.
Ziegler L, Pfister T, Rossmann C. Fallbeispiele und Furchtappelle in der Gesundheitskommunikation: Eine Inhaltsanalyse von Zeitschriften, Flyern und Internetportalen. Medien und Gesundheitskommunikation. Befunde Entwicklungen Herausforderungen. Baden-Baden: Nomos; 2013.