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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Analyse zeitlicher und regionaler Variation der Inanspruchnahme von Rehabilitationsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg

Meeting Abstract

  • Silke Jankowiak - Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm, Bad Buchau, Deutschland
  • Julia Dannenmaier - Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm, Bad Buchau, Deutschland
  • Rainer Kaluscha - Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm, Bad Buchau, Deutschland
  • Gert Krischak - Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm, Bad Buchau, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 142

doi: 10.3205/15gmds185, urn:nbn:de:0183-15gmds1858

Veröffentlicht: 27. August 2015

© 2015 Jankowiak et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: In den letzten Jahren ist eine deutliche Zunahme der chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter zu verzeichnen [1]. Diese haben aufgrund ihres langen Verlaufs einen nachhaltigen Einfluss auf die gesamte Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und können - vorausschauend betrachtet - die Erwerbsfähigkeit im Erwachsenenalter beeinträchtigen. Die medizinische Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen stellt im Rahmen der Behandlung ein wichtiges Instrument zur Sicherung der Leistungsfähigkeit sowie zur späteren Eingliederung in das Erwerbsleben dar [2].

Während die zunehmende Prävalenz einen wachsenden Rehabilitationsbedarf nahe legt, ging in den vergangenen fünf Jahren die Antragszahl bei Rehabilitationsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche deutlich zurück [3]. Angesichts dieser Diskrepanz wird vermutet, dass keine bedarfsgerechte Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen vorliegt. Um einer möglichen Unterversorgung entgegen zu wirken, wurden bereits verschiedene Strategien durch die Deutsche Rentenversicherung entwickelt, die eine bedarfsgerechte Inanspruchnahme sicherstellen sollen. Damit diese Programme möglichst effektiv sind, müssen Faktoren identifiziert werden, die einen Einfluss auf den Rehabilitationszugang haben. Neben individuellen Faktoren können Umweltfaktoren im Sinne regionaler Rahmenbedingungen unterschiedliche Zugangswege und damit eine unterschiedliche Rehabilitationsinanspruchnahme bedingen.

Ziel der Untersuchung war es daher, Kenntnisse über regionale Besonderheiten und zeitliche Trends der Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen in Baden-Württemberg zu gewinnen. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, ob sich dabei der in den Studien berichtete zeitliche Wandel des alters- und geschlechtsspezifischen Morbiditätsspektrums unter Kindern und Jugendlichen widerspiegelt. Hieraus ergeben sich Hinweise auf eine bedarfsgerechte Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen sowie auf Veränderungen beim Zugang zu Rehabilitationsleistungen im Zeitverlauf. Ferner wurden Strukturmerkmale der Regionen der Rehabilitandenrate gegenübergestellt, um Hinweise auf solche Lebensverhältnisse zu gewinnen, die den Rehabilitationszugang erleichtern bzw. behindern. Dabei werden Regionen bzw. Rahmenbedingungen identifiziert, die einer besonderen Berücksichtigung bei der Implementierung von Interventionen zur Verbesserung der Zugangswege bedürfen.

Material und Methoden: Mit Hilfe der Rehabilitations-Statistik-Datenbasis (RSD) der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg (DRV-BW), die Informationen zu durchgeführten Rehabilitationsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen umfasst, sowie Angaben des Statistisches Landesamtes Baden-Württemberg zur Bevölkerung im Alter zwischen 0 und 15 Jahren, wurde die Inanspruchnahme von Rehabilitation für jede der 12 Regionen in Baden-Württemberg jeweils für die Jahre 2005 bis 2012 bestimmt. Dabei wurde die Anzahl an Rehabilitanden in einer Altersgruppe bezogen auf 100.000 Kinder und Jugendliche in derselben Altersgruppe differenziert für Jungen und Mädchen berechnet. Eingeschlossen wurden Kinder und Jugendliche, die aufgrund einer endokrinen, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheit, einer psychischen Störung und Verhaltensstörung bzw. einer Krankheit des Atmungssystems eine Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt haben. Im Zuge der Auswertungen wurde geprüft, ob sich die Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen im Zeitverlauf bzw. zwischen den Regionen unterscheidet.

Um regionale Gegebenheiten zu identifizieren, die mit dem Rehabilitationszugang assoziiert sind, wurden Informationen des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg zur Bevölkerungsdichte, Siedlungs- und Verkehrsfläche sowie zu Anteilen sozialversicherungspflichtig Beschäftigter und Arbeitsloser betrachtet. Dabei dient letzteres zur Einschätzung des sozioökonomischen Status der Bevölkerung in einer Region. Da Kinderärzte sowie Allgemeinmediziner eine wesentliche Bedeutung bei der Initiierung von Rehabilitationsleistungen zukommt, wurde anhand der Angaben zu niedergelassenen Kinderärzten und Allgemeinmedizinern die Arztrate (Anzahl der Ärzte pro 100.000 Einwohner) für jede der 12 Regionen in Baden-Württemberg bestimmt. Entsprechende Angaben zu den ausgewählten Strukturmerkmalen wurden aus dem Jahr 2012 herangezogen und der Rehabilitandenrate im selben Jahr gegenüber gestellt.

Ergebnisse: Die über den Zeitraum von 2005 bis 2012 berechnete durchschnittliche Rate an Rehabilitanden reichte von 63 pro 100.000 in der Region Hochrhein-Bodensee bis 124 pro 100.000 in der Region Heilbronn-Franken. Während die Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen im Beobachtungszeitraum in der Region Hochrhein-Bodensee am geringsten variierte, zeigte sich in der Region Nord-Schwarzwald die größte Varianz.

Die über alle 12 Regionen hinweg berechnete mittlere Rehabilitandenrate bei endokrinen, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten war über den gesamten Beobachtungszeitraum und alle Altersgruppen hinweg bei Mädchen höher als bei Jungen, wobei die Inanspruchnahme mit zunehmendem Alter anstieg. Dabei lag bei 12- bis 15-jährigen Jungen im Jahr 2009 und bei Mädchen der gleichen Altersgruppe im Jahr 2008 die höchste regionale Schwankung der Inanspruchnahme vor. Bei Betrachtung der mittleren Rehabilitandenrate bei psychischen Störungen und Verhaltensstörungen zeigte sich eine Interaktion zwischen Alter und Geschlecht. Während bei unter 11-jährigen Kindern die Inanspruchnahme über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg bei Jungen höher war, nahmen in der Altersgruppe der über 12-jährigen Kinder/Jugendlichen häufiger Mädchen eine Rehabilitation in Anspruch. Die höchste regionale Variation der Inanspruchnahme lag bei 6- bis 11-jährigen Jungen im Jahr 2008 und bei 12- bis 15-jährigen Mädchen zwischen 2006 und 2008 vor. Die mittlere Rehabilitandenrate bei Krankheiten des Atmungssystems zeigte einen anderen Trend. Hier nahm die Inanspruchnahme mit zunehmendem Alter ab. Dabei lag bei 0- bis 5-jährigen Jungen über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg eine hohe regionale Schwankung vor, wogegen eine ausgeprägte regionale Variation bei Mädchen der gleichen Altersgruppe lediglich in den Jahren 2008 und 2009 vorzufinden war. Insgesamt war bei keiner der ausgewählten Indikationen ein eindeutiger zeitlicher Trend ersichtlich.

Von den ausgewählten Strukturmerkmalen korrelierten die Bevölkerungsdichte, der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche sowie die Arztrate negativ mit der Rehabilitandenrate. Die Anteile sozialversicherungspflichtig Beschäftigter und Arbeitsloser korrelierten demgegenüber positiv mit der Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen. Dabei war jedoch keine der Assoziationen signifikant.

Diskussion: Bei der Inanspruchnahme von Rehabilitationsmaßnahmen im Kindes- und Jugendalter zeigten sich erhebliche Unterschiede zwischen den Regionen in Baden-Württemberg. Es ist zu bezweifeln, dass sich diese Abweichungen alleine durch regionale Differenzen bei der Erkrankungslast erklären lassen. Zudem konnte in keiner der Regionen ein eindeutiger Trend bei den zeitlichen Verläufen der Rehabilitandenraten festgestellt werden. Die Entwicklung der Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen korrespondiert damit nicht mit der in Studien berichteten Zunahme der chronischen Erkrankungen in der Zielgruppe. Dies stützt die Hypothese, dass keine bedarfsgerechte Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen vorliegt. Um den tatsächlichen Rehabilitationsbedarf unter Kindern und Jugendlichen zu ermitteln, bedarf es allerdings einer systematischen Erfassung der Krankheitslast unter Kindern und Jugendlichen.

Bei der Gegenüberstellung der mittleren Rehabilitandenrate mit den ausgewählten Strukturmerkmalen ergaben sich keine statistisch signifikanten Zusammenhänge, d.h. die Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen scheint nicht von den ausgewählten regionalen Rahmenbedingungen abhängig zu sein. Hier sind weitere Studien zu Prädiktoren des Rehabilitationszugangs seitens der regionalen Lebensverhältnisse und des Individuums notwendig, um regionale und zeitliche Schwankungen der Inanspruchnahme aufzuklären und damit zu einer bedarfsgerechten Versorgung beizutragen.


Literatur

1.
Schubert I, Horch K, Kahl H, Köster I, Meyer Ch, Reiter S. Schwerpunktbericht der Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Berlin: Robert Koch-Institut; 2004.
2.
Deutsche Rentenversicherung Bund, Hrsg. Positionspapier der gesetzlichen Rentenversicherung zur Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen. 2012.
3.
Laudien K, Werner-Müller R. Rehabilitation für Kinder – die beste „Investition“ in die Zukunft. Spektrum 1. 2014;62-64.