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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Zeitreihenanalysen für vermeidbare Krankenhausaufnahmen bei Herzinsuffizienz: Differenzierungen nach Schweregrad und Bundesländern

Meeting Abstract

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  • Johannes Pollmanns - Hochschule Niederrhein, Krefeld, Deutschland
  • Maria Weyermann - Hochschule Niederrhein, Krefeld, Deutschland
  • Saskia Drösler - Hochschule Niederrhein, Krefeld, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 067

doi: 10.3205/15gmds183, urn:nbn:de:0183-15gmds1831

Veröffentlicht: 27. August 2015

© 2015 Pollmanns et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Herzinsuffizienz wird den sogenannten ambulant-sensitiven Erkrankungen zugerechnet, für welche eine Krankenhausaufnahme durch zeitgerechte und effektive ambulante Therapie potentiell vermieden werden kann [1]. Bevölkerungsbezogene Raten dieser Erkrankungen werden international als inverse Indikatoren für den Zugang zur ambulanten Versorgung und die Qualität derselben verwendet [2]. In einem Vergleich der Mitgliedsländer der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) weist Deutschland im Jahr 2007 überdurchschnittlich hohe Raten an Krankenhausaufnahmen mit Herzinsuffizienz auf [3]. Der Schweregrad der Erkrankung, welcher als wichtiger Erklärungsfaktor für die Variation des Indikators gilt [4], wurde in der Untersuchung der OECD allerdings nicht betrachtet. Ziel der vorliegenden Analyse war es daher, Krankenhausaufnahmen bei Linksherzinsuffizienz in Abhängigkeit vom Schweregrad zu beschreiben und die Entwicklung der Raten in Form von Zeitreihen darzustellen.

Material und Methoden: Die Analysen erfolgten anhand der vollständigen Abrechnungsdaten der Krankenhäuser nach § 21 KHEntgG, welche mittels kontrollierter Datenfernabfrage über die Forschungsdatenzentren des statistischen Bundesamtes genutzt werden können. Mittels der Hauptdiagnosen der Behandlungsfälle wurden drei Indikatoren ermittelt, welche sich anhand der Schweregrade nach der Klassifikation der New-York-Heart-Association (NYHA) definieren. Aufgrund kleiner Fallzahlen wurden die Stadien I und II zusammengefasst. Ein vierter Indikator beinhaltet Fälle, in denen die Herzinsuffizienz ohne nähere Bezeichnung des Schweregrades kodiert wurde. Die Studienpopulation umfasste alle Behandlungsfälle mit einem Alter größer 14 Jahre. Auf dieser Grundlage konnten bevölkerungsbezogene Raten, direkt altersstandardisiert und nach Geschlecht stratifiziert, ermittelt werden. Die Betrachtung erfolgte hierbei für den Zeitraum von 2005 bis 2012 auf Ebene der Bundesländer. Die Signifikanz der Entwicklung innerhalb dieses Zeitraumes wurde über einen Vergleich der 95%-Konfidenzintervalle der Jahre 2005 und 2012 eruiert.

Ergebnisse: Der Indikator Aufnahmen bei Herzinsuffizienz im NYHA-Stadium I oder II verringert sich im untersuchten Zeitraum deutschlandweit gesehen von 18,7 Aufnahmen auf 17,7 Aufnahmen pro 100.000 Einwohner bei Männern und bleibt mit 15,1 Aufnahmen pro 100.000 Einwohner bei Frauen unverändert. Über die Bundesländer hinweg gesehen ist keine einheitliche und stabile Entwicklung des Indikators erkennbar. Die Aufnahmeraten mit dem Schweregrad NYHA-Stadium III haben sich deutschlandweit insgesamt deutlich erhöht. Die Rate in der männlichen Population ist von 77 Aufnahmen pro 100.000 Einwohner im Jahr 2005 auf 113 Aufnahmen im Jahr 2012 gestiegen (Frauen: von 54 auf 80 Aufnahmen pro 100.000 Einwohner). Diese Entwicklung ist in nahezu allen Bundesländern zu erkennen. Lediglich die weibliche Population im Saarland weist einen statistisch signifikanten Rückgang von knapp 24% (von 70 auf 54 Aufnahmen pro 100.000 Einwohner) auf. Die größten Zunahmen bei diesem Indikator sind in Schleswig-Holstein zu erkennen, wo die Rate geschlechtsübergreifend um 154% (von 29 auf 74 Aufnahmen) gestiegen ist. Bei diesem Indikator ist ebenfalls auffällig, dass die Raten in den ostdeutschen Bundesländern (ohne Berlin) im Jahr 2005 durchschnittlich um 65% höher lagen als die Raten in den westdeutschen Bundesländern. Dieser Unterschied hat sich bis zum Jahr 2012 auf 81% erhöht. Die Aufnahmen bei Herzinsuffizienz mit Schweregrad NYHA-Stadium IV haben sich im untersuchten Zeitraum deutschlandweit gesehen nicht wesentlich verändert. Die höchsten Raten sind bei den Frauen in allen Jahren, sowie bei den Männern in nahezu allen Jahren im Saarland zu finden. Die Raten zu Krankenhausaufnahmen bei nicht näher bezeichnetem Schweregrad haben sich in allen Bundesländern deutlich verringert. Im Durchschnitt ist die Rate von 17,1 auf 2,3 Aufnahmen (Männer) bzw. 13,0 auf 2,2 Aufnahmen (Frauen) pro 100.000 Einwohner gefallen.

Diskussion: Die Raten zu potentiell vermeidbaren Krankenhausaufnahmen in den NYHA-Stadien I und II haben sich über alle Bundesländer betrachtet kaum verändert. Gerade diese Aufnahmen erscheinen in hohem Maße ambulant-sensitiv, da eine Behandlung von Symptomen und Risikofaktoren bei geringem Schweregrad häufig ambulant erfolgen kann. Hierzu wird allerdings angemerkt, dass nicht alle als ambulant-sensitiv klassifizierten Erkrankungen auch auf eine vermeidbare Krankenhausaufnahme bei jedem betroffenen Patienten schließen lassen [4]. Gerade bei der Herzinsuffizienz kann eine stationäre Behandlung zur kausalen Therapie, beispielsweise von Herzklappenfehlern, auch bei bisher nur geringer Symptomatik indiziert sein. Die hohe Variation der Raten auf Bundeslandebene lässt jedoch Versorgungsdefizite oder unzureichende Inanspruchnahme der vorhandenen ambulanten Versorgungsstrukturen in einigen Bundesländern vermuten. Möglicherweise ist die hohe Zunahme in den Raten des NYHA-Stadiums III zum Teil durch den Rückgang der nicht näher bezeichneten Fälle in Folge einer Verbesserung der Kodierqualität im beobachteten Zeitraum erklärbar. Ein potentieller Anstieg der Prävalenz der Herzinsuffizienz kann als erklärender Faktor ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Aufgrund der Methode der Altersstandardisierung, sowie im Hinblick auf die Natur der Herzinsuffizienz als Alterskrankheit, wird dieser aber ebenfalls nicht als primäre Determinante angesehen. Dies wird auch durch nahezu gleichbleibende Aufnahmeraten mit Herzinsuffizienz im höchsten Schweregrad gestützt. Qualitäts- oder Zugangsdefizite in der ambulanten Versorgung, die eine Progression von niedrigen in den dritten Schweregrad begünstigen, sind daher denkbar, müssen aber in zukünftigen Analysen einer näheren Betrachtung unterzogen werden.


Literatur

1.
Faisst C, Sundmacher L. Ambulant-sensitive Krankenhausfälle: Eine internationale Übersicht mit Schlussfolgerungen für einen deutschen Katalog. Gesundheitswesen. 2015 Mar;77(3):168-77
2.
Ansari Z. The Concept and Usefulness of Ambulatory Care Sensitive Conditions as Indicators of Quality and Access to Primary Health Care. Aust J Prim Health. 2007 Dec;13(3):91-110
3.
Organization for Economic Co-operation and Development OECD. Health at a Glance 2009: OECD Indicators. 2009 [cited 2015 Mar 25]. Available from: http://www.oecd.org/health/health-systems/44117530.pdf Externer Link
4.
Yuen EJ. Severity of illness and ambulatory care-sensitive conditions. Med Care Res Rev. 2004 Sep;61(3):376-91