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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Eine Analyse der Krankheitslast durch vorzeitiges Versterben aufgrund von ischämischen Herzerkrankungen in den Kreisen und kreisfreien Städten in Nordrhein-Westfalen

Meeting Abstract

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  • Martina Minnwegen - Universität Bielefeld, Bielefeld, Deutschland
  • Dietrich Plaß - Umweltbundesamt, Fachgebiet Expositionsschätzung, gesundheitsbezogene Indikatoren, Berlin, Deutschland
  • Alexander Krämer - Universität Bielefeld, Bielefeld, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 239

doi: 10.3205/15gmds155, urn:nbn:de:0183-15gmds1558

Veröffentlicht: 27. August 2015

© 2015 Minnwegen et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Global betrachtet stehen alle Hocheinkommensländer vor einer ähnlichen Herausforderung: dem demographischen und epidemiologischen Wandel. Dies bewirkt massive Verschiebungen in der Altersstruktur der Bevölkerung sowie eine Veränderung des Krankheitspanoramas. Infolgedessen werden zunehmend gesundheitspolitische Entscheidungen bei der Allokation von Ressourcen von Bedeutung. Für bedarfsgerechte Allokationsentscheidungen sind evidenzbasierte Informationen zwingend notwendig.

Als Antwort auf diese Herausforderungen initiierte die WHO in Kooperation mit der Weltbank und der Harvard School of Public Health die „Global Burden of Disease“-Studie (GBD), um die Krankheitslast einer Bevölkerung umfassend quantifizieren zu können [1].

Die Berechnung der Krankheitslast kann dazu genutzt werden, Prioritäten und Forschungsschwerpunkte zu setzen, aber auch um benachteiligte Gruppen zu identifizieren [2]. Zudem ermöglicht das Konzept der Krankheitslasten ein Vergleich der gesundheitlichen Situationen verschiedener geografischer Regionen sowie den Vergleich über die Zeit [3].

Zu den weltweit häufigsten nicht-übertragbaren Erkrankungen zählen die kardiovaskulären Erkrankungen. Die ischämischen Herzkrankheiten (IHK) führen global als auch national für Deutschland die Todesursachenstatistiken an.

Die vorliegende Studie zielt darauf ab, die durch IHK verursachte mortalitätsbedingte Krankheitslast für die Kreise und kreisfreien Städte Nordrhein-Westfalens (NRW) zu ermitteln.

Material und Methoden: Ausgehend von den Methoden der GBD Studie 2010 [4] wurde die mortalitätsbedingte Krankheitslast durch die Teilkomponente der verlorenen Lebensjahre (Standard Expected Years of Life lost, SEYLL) des Disability-Adjusted Life Year (DALY) Summenmaßes für die 54 Kreise und kreisfreien Städte NRWs auf Basis der amtlichen Todesursachenstatistik für das Jahr 2012 berechnet. Um die Krankheitslast in den Kontext von siedlungsstrukturellen Merkmalen als auch der wirtschaftlichen und sozialen Lage zu setzen, wurden die siedlungsstrukturellen Kreistypen [5] sowie die sozialräumlichen Cluster [6] analysiert. Desweiteren wurde eine Zeitreihenanalyse der Krankheitslast für die Jahre 1998-2012 zur Identifikation von zeitlichen Trends durchgeführt.

Ergebnisse: Im Jahr 2012 verursacht die IHK insgesamt 526.995 verlorene Lebensjahre in NRW, bei einer Mittleren Jahresbevölkerung von 17.549.634. Das Geschlechterverhältnis ist dabei relativ ausgeglichen. So gehen 52,5% (276.664,7 SEYLLs) der absolut verlorenen Lebensjahre auf Kosten der männlichen Bevölkerung und 47,5% (250.330,7 SEYLLs) auf Kosten der weiblichen Bevölkerung.

Die altersstandardisierten SEYLL-Raten der Regierungsbezirke für 2012 zeigen signifikante Unterschiede für beide Geschlechter (Kruskal-Wallis-Test: Männer (p=0,02); Frauen (p=0,008)). Die höchsten altersstandardisierten SEYLL-Raten sind für die männliche (1.817 SEYLLs/100.000 Einw.) als auch für die weibliche (964 SEYLLs/100.000 Einw.) Bevölkerung im Regierungsbezirk Arnsberg feststellbar. Die niedrigsten Raten für Männer wurden für die Regierungsbezirke Köln (1.499 SEYLLs/100.000 Einw.) und für Frauen in Detmold (801 SEYLLs/100.000 Einw.) geschätzt.

Auf Kreisebene weisen die höchsten Raten für Männer die Kreise Hagen (2.260 SEYLLs/100.000 Einw.) und Gelsenkirchen (2.126 SEYLLs/100.000 Einw.) auf. Eine ebenfalls hohe Krankheitslast konnte in Teilen des Ruhrgebiets für die männliche Bevölkerung nachgewiesen werden. Die höchsten Werte für Frauen erreichen die kreisfreien Städte Gelsenkirchen (1.168 SEYLLs/100.000 Einw.) und Dortmund (1.112 SEYLLs/100.000 Einw.).

Dagegen weist die kreisfreie Stadt Remscheid (Männer: 780 SEYLLs/100.000 Einw.; Frauen: 493 SEYLLs/100.000 Einw.) die geringsten Raten für beide Geschlechter auf.

Im Zeitverlauf der Jahre 1998-2012 sind alle altersstandardisierten Raten rückläufig. Die stärksten Rückgänge konnten bei der männlichen Bevölkerung die kreisfreien Städte Remscheid (-73,70%) und Mettmann (-68,92%), sowie bei der weiblichen Bevölkerung die kreisfreien Städte Remscheid (-74,73%) und Leverkusen (-70%) verzeichnet werden. Die geringste prozentuale Reduzierung der Raten konnte für Männer in den Kreisen Hagen (-35,64%) und Höxter (-38,26%) sowie für Frauen in Höxter (-30,94%) und Herford (-36,78%) nachgewiesen werden.

Betrachtet man die altersstandardisierten SEYLL-Raten stratifiziert nach dem siedlungsstrukturellen Kreistypen im Jahr 2012, verzeichnen die ländlichen Kreise mit Verdichtungsansätzen bei beiden Geschlechtern die höchsten Werte.

Im Jahr 1998 ist neben den allgemein höheren Werten auffällig, dass die ländlichen Kreise mit Verdichtungsansätzen die niedrigsten Werte aufweisen.

Die prozentuale Veränderung von 1998-2012 zeigt die deutlichste Reduzierung der altersstandardisierten SEYLL-Raten in den städtischen Kreisen für die männliche Bevölkerung (-55,7%) und in den kreisfreien Großstädten für die weibliche Bevölkerung (-53,7%). Die ländlichen Kreise mit Verdichtungsansätzen weisen bei beiden Geschlechtern (Männer: -48,6%; Frauen: -39,9%) deutlich geringere Reduzierungen auf.

Auf Ebene der Cluster stellen sich die Raten für Männer (1.833 SEYLLs/100.000 Einw.) wie auch für Frauen (923 SEYLLs/100.000 Einw.) im Cluster der armen Städte und Kreise im strukturellen Wandel im Jahr 2012 am größten dar. Die geringsten Werte weist das Cluster der wohlhabenden, schrumpfenden und alternden Städte und suburbanen Regionen für Männer (1.451 SEYLLs/100.000 Einw.) und das Cluster der wachsenden Familienzone für Frauen (803 SEYLLs/100.000 Einw.) auf.

Ein statistisch signifikanter Unterschied (Kruskal-Wallis-Test: p=0,002) zwischen den sozialräumlichen Clustern kann nur für die männliche Bevölkerung festgestellt werden.

Diskussion: Insgesamt folgt die Krankheitslast durch IHK dem allgemeinen Trend der Hocheinkommensländer, wo eine Reduktion dieser Last zu beobachten ist.

Die männliche Bevölkerung NRWs weist eine fast doppelt so hohe mortalitätsbedingte Krankheitslast durch IHK auf als die weibliche. Bei der gesamten weiblichen Bevölkerung Deutschlands sind jedoch geringere Raten feststellbar als bei der weiblichen Bevölkerung von NRW. Somit ist eine überdurchschnittliche Krankheitslast der weiblichen Bevölkerung durch IHK auf Landesebene feststellbar.

Eine erhöhte Krankheitslast durch IHK konnte im hochurbanisierten Raum des Ruhrgebietes beobachtet werden.

Eine sich weiter verstärkende regionale Heterogenität ist denkbar, da die Kreise, die von einer erhöhten IHK-Krankheitslast betroffen sind, prognostisch mit Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung rechnen müssen, insbesondere die Kreise Remscheid, Hagen und Höxter.

Ein Zusammenhang zwischen der geographischen Lage und den SEYLL-Raten kann nicht statistisch signifikant attestiert werden. In ländlichen Gegenden wurden jedoch erhöhte Raten festgestellt. Dieser Zusammenhang scheint angesichts der Tatsache einer besonders hohen Letalität eines akuten Herzinfarktes vor dem Eintreffen in einer Klinik besonders schlüssig, da sich der Zugang zur Akutversorgung in ländlichen Regionen schwieriger und langwieriger gestaltet.

Die Verteilung der unterschiedlichen räumlichen Cluster verdeutlicht die Komplexität der in NRW vorherrschenden Lebensbedingungen und der wirtschaftlichen Voraussetzungen. Für beide Geschlechter konnten die höchsten altersstandardisierten SEYLL-Raten im Cluster, der die armen Städte und Kreise im strukturellen Wandel umfasst, festgestellt werden. Die zweithöchsten Ergebnisse lieferte das Cluster, das die familiengeprägten Kreise mit Tendenz zur Alterung und Schrumpfung repräsentiert.

Dabei sind das Ruhrgebiet und der Kreis Höxter hervorzuheben. Das Ruhrgebiet verzeichnet allgemein eine höhere Krankheitslast als der Landesdurchschnitt, zudem gehören fast alle Städte dem Cluster der armen Städte und Kreise im strukturellen Wandel an. Der Kreis Höxter steht zudem vor weiteren Herausforderungen, da diesem Kreis zukünftig wird eine überdurchschnittliche Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung prognostiziert wird.


Literatur

1.
Murray CJL, Lopez AD. The global burden of disease and injury series, volume 1: a comprehensive assessment of mortality and disability from diseases, injuries, and risk factors in 1990 and projected to 2020. Cambridge, MA: 1996.
2.
Murray CJ. Quantifying the burden of disease: the technical basis for disability-adjusted life years. Bulletin of the World Health Organization. 1994; 72(3): 429.
3.
Plaß D, Vos T, Hornberg C, Scheidt-Nave C, Zeeb H, Krämer A. Trends in disease burden in Germany – Results, implications/opportunities and limitations of the Global burden of Disease-Study. Dtsch Arztebl Int. 2014; 111:629–638.
4.
Murray CJ. GBD 2010: design, definitions, and metrics. The Lancet. 2013; 380(9859): 2063-2066.
5.
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Laufende Raumbeobachtung - Raumabgrenzungen. Siedlungsstrukturelle Kreistypen. 2013.
6.
Osliso S, Annuss R, Borrmann B. Regionale Cluster auf Basis von Sozialstrukturdaten für die Kreise und kreisfreien Städte in NRW. NRW kurz und informativ, LZG.NRW. 2013; 11/2013.