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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Krankheitslast durch vorzeitige Sterblichkeit in Nordrhein-Westfalen, 1998-2012

Meeting Abstract

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  • Florian Fischer - Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Bielefeld, Deutschland
  • Kerstin Lange - Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Bielefeld, Deutschland
  • Alexander Krämer - Universität Bielefeld, Bielefeld, Deutschland
  • Dietrich Plaß - Umweltbundesamt, Fachgebiet Expositionsschätzung, gesundheitsbezogene Indikatoren, Berlin, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 092

doi: 10.3205/15gmds154, urn:nbn:de:0183-15gmds1545

Veröffentlicht: 27. August 2015

© 2015 Fischer et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Die Methode zur Quantifizierung der Krankheitslast aus der Global Burden of Disease (GBD) Studie soll dazu beitragen, den Gesundheitszustand einer Bevölkerung umfassend und vergleichbar darzustellen. Die in der Studie verwendete Maßzahl der Disability-Adjusted Life Years (DALYs) setzt sich aus zwei komplementären Einzelbestandteilen zusammen: den „Standard Expected Years of Life Lost“ (Mortalitätskomponente; SEYLL) und den „Years of life Lost due to Disability“ (Morbiditätskomponente; YLD). Sowohl SEYLL als auch YLD können in Untersuchungen getrennt voneinander berechnet und interpretiert werden. Auf Grund der steigenden Verfügbarkeit und Qualität von Mortalitätsdaten werden SEYLL und ähnliche Summenmaße, vermehrt auch eigenständig zur Berechnung der verlorenen Lebensjahre, die durch vorzeitige Sterblichkeit verursacht werden, eingesetzt. Neben nationalen und regionalen Anwendungen der SEYLL finden zunehmend kleinräumige Untersuchungen der mortalitätsbedingten Krankheitslast statt [1], [2], [3]. In der vorliegenden Untersuchung wird die mortalitätsbedingte Krankheitslast in Nordrhein-Westfalen (NRW) unter Nutzung des SEYLL-Konzepts für den Zeitraum von 1998 bis 2012 ermittelt.

Methodisches Vorgehen: Als Grundlage für die Berechnung der Krankheitslast wurde auf die Todesursachenstatistik des Landes NRW zurückgegriffen. Diese Daten lagen auf Basis der 54 Regierungsbezirke stratifiziert nach Alter, Geschlecht und Diagnosegruppen (ICD 10) vor [4]. Gemäß eines Umverteilungsalgorithmus wurden diese Daten in das Klassifikationssystem der GBD 2010-Studie übertragen [5]. Die Klassifikation der GBD 2010-Studie besteht aus einer hierarchischen Struktur von 291 Krankheitsentitäten. Die erste Ebene der Klassifikation ist dabei in drei Hauptgruppen differenziert: 1) übertragbare Erkrankungen, Erkrankungen, die Neugeborene betreffen, schwangerschafts- und mutterschaftsassoziierte Gesundheitsstörungen sowie ernährungsbedingte Störungen (Gruppe I), 2) nicht-übertragbare Krankheiten (Gruppe II) sowie 3) Verletzungen (Gruppe III). Im weiteren Verlauf wird die Krankheitslast gemäß der hierarchischen Struktur in 21 Obergruppen (Ebene 2) sowie in einzelne Krankheitsendpunkte (Ebene 3-5) je nach benötigter Detailstufe differenziert.

Todesursachen mit unspezifischen ICD-Codes(„Garbage Codes“) wurden nach einem ebenfalls aus der GBD-Studie vorliegenden Umverteilungsalgorithmus auf andere ICD-Codes prozentual umverteilt [5]. Die Berechnung der SEYLL erfolgte durch die Multiplikation der Anzahl der Verstorbenen in einer Altersgruppe mit der ferneren Lebenserwartung zum Zeitpunkt des Todes. In der GBD Studie 2010 wurde die Lebenserwartung bei Geburt, auf Basis der niedrigsten beobachteten globalen Sterberaten, für Männer und Frauen auf 86 Jahre gesetzt [6]. Um die für NRW ermittelten Daten vergleichbar zu machen, wurde eine direkte Altersstandardisierung gemäß der von der WHO für das Jahr 2001 bereitgestellten Daten zur Standardweltbevölkerung [7] vorgenommen. Auf eine Diskontierung und Altersgewichtung wurde verzichtet [6].

Ergebnisse: Insgesamt wurden 199.932 Todesfälle in NRW im Jahr 2012 erfasst. Dabei entfielen 103.690 Todesfälle (51,9%) auf Frauen und 96.242 (48,1%) auf Männer. Gemäß der Berechnung der SEYLL wurden 3.509.992 vorzeitig verlorene Lebensjahre in NRW für das Jahr 2012 festgestellt. 53,7% der SEYLL entfielen auf Männer, 46,3% auf Frauen. Die SEYLL waren in allen drei Krankheitsgruppen der ersten Hierarchieebene höher bei Männern als bei Frauen. Bei Betrachtung der absoluten SEYLL waren 83,9% der vorzeitig verlorenen Lebensjahre Gruppe II-Erkrankungen, 10,0% Gruppe III-Erkrankungen und 6,1% Gruppe I-Erkrankungen zuzuordnen. Während ein vergleichbarer Anteil an Gruppe I-Erkrankungen zwischen den Geschlechtern festgestellt werden konnte (Männer 6,1%; Frauen 6,3%), war der Anteil an Gruppe III-Erkrankungen bei Männern (12,1%) deutlich höher als bei Frauen (7,4%). Dies lässt sich insbesondere auf selbstverletzendes Verhalten, interpersonelle Gewalt und Verkehrsunfälle zurückführen, die zu deutlich mehr SEYLL bei Männern als bei Frauen führen.

Die Betrachtung der altersstandardisierten Werte hinsichtlich der Gruppe I-Erkrankungen zeigte 971 SEYLL je 100.000 Einwohner bei Männern und 675 SEYLL je 100.000 Einwohner bei Frauen. Für die Gruppe II-Erkrankungen zeigten sich 9.894 SEYLL je 100.000 bei Männern und 6.446 je 100.000 bei Frauen. Für die Gruppe III-Erkrankungen entfielen bei den Männern 2.099 SEYLL auf 100.000 Einwohner und bei den Frauen 816 SEYLL auf 100.000 Einwohner.

Die häufigste Todesursache stellten sowohl bei Männern als auch bei Frauen ischämische Herzkrankheiten dar. Obwohl diese Krankheitsentität in NRW bei beiden Geschlechtern das Ranking in dem betrachteten Zeitraum von 1998 bis 2012 anführt, sind die durch ischämische Herzkrankheiten verursachten vorzeitig verlorenen Lebensjahre deutlich zurückgegangen (Männer: 49.8%; Frauen: 47,0%). So wurden bei Männern 3.922 SEYLL je 100.000 im Jahre 1998 und 1.969 SEYLL je 100.000 im Jahre 2012 festgestellt. Bei Frauen entfielen 2.035 SEYLL je 100.000 im Jahr 1998 auf ischämische Herzkrankheiten und 1.080 SEYLL je 100.000 im Jahr 2012. Ein deutlicher Anstieg der altersstandardisierten SEYLL um mehr als 30% ließ sich bei beiden Geschlechtern für Erkrankungen der unteren Atemwege erkennen. Bei Männern nahmen die SEYLL bedingt durch Krebserkrankungen der Luftröhre, Bronchien und Lunge im betrachteten Zeitraum von 1998 (1.433 SEYLL je 100.000) bis 2012 (1.066 SEYLL je 100.000) um 25,6% ab. Bei Frauen waren die SEYLL für die Krebserkrankungen des Respirationstraktes zwar auf einem niedrigeren Niveau als bei Männern, nahmen aber um 30,9% zu (1998: 421 je 100.000; 2012: 552 je 100.000). Mit 771 je 100.000 SEYLL und dem damit verbundenen dritten Rang in der Liste der Krankheitsentitäten mit den höchsten SEYLL wiesen Selbstverletzungen bei Männern im Jahr 2012 eine hohe Relevanz auf.

Diskussion: Die Ergebnisse weisen für NRW ein Profil der Krankheitslast auf, welches vergleichbar mit anderen Ländern oder Regionen mit hohem Einkommenslevel ist. Bedingt durch den epidemiologischen und demografischen Wandel nimmt vor allem der Anteil nicht-übertragbarer und chronischer Erkrankungen zu. Dennoch nimmt die absolute Anzahl der vorzeitig verlorenen Lebensjahre im Zeitverlauf ab. Insgesamt zeigen sich deutlich höhere SEYLL bei Männern als bei Frauen. Da Selbstverletzungen bereits in jungen Altersjahren häufig sind, führen diese auch zu einer hohen Krankheitslast bedingt durch vorzeitige Sterblichkeit. SEYLL stellen ein wertvolles Instrument zur Darstellung der Krankheitslast dar. Es können somit über die reine Anzahl an Todesfällen hinausgehende Informationen bereitgestellt werden, indem auch die potentiell noch zu verbleibenden Lebensjahre zum Zeitpunkt des Todes berücksichtigt werden. In einem weiteren Schritt werden in einem folgenden Schritt weiteren auch auf kleinräumiger Ebene (Kreise und kreisfreie Städte) durchgeführt. Die Analysen und Zeitvergleiche zur Krankheitslast der Bevölkerung soll dazu beitragen, die wesentlichen gesundheitlichen Entwicklungen darstellen zu können, darauf basierend Potenziale für mögliche Interventionsmaßnahmen zu erkennen und entsprechende Handlungsempfehlungen abzuleiten.


Literatur

1.
Plass D, Chau PYK, Thach TQ, Jahn HJ, Lai PC, Wong CM, Kraemer A. Quantifying the burden of disease due to premature mortality in Hong Kong using standard expected years of life lost. BMC Public Health. 2013;13:863.
2.
Catalá-López F, Gènova-Maleras R, Ridao M et al. Burden of disease assessment with summary measures of population health for the Region of Valencia, Spain: a population-based study. Medicina Clinica. 2013;149(8):343-350.
3.
Penner D, Pinheiro P, Krämer A. Measuring the Burden of Disease Due to Premature Mortality by Use of Standard Expected Years of Life Lost North-Rhine Westphalia, a Federal State of Germany in 2005. Journal of Public Health. 2010;18(4):319-325.
4.
Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen. GBEStat (CD-ROM) Daten für die Gesundheitsberichterstattung NRW 2014.
5.
Lozano R, Naghavi M, Foreman K, et al. Global and regional mortality from 235 causes of death for 20 age groups in 1990 and 2010: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2010. Lancet. 2012;380(9859):2095-2128.
6.
Murray CJ, Ezzati M, Flaxman AD, et al. GBD 2010: design, definitions, and metrics. Lancet. 2012;380(9859):2063-2066.
7.
Ahmad OB, Boschi-Pinto C, Lopez AD, Murray CJL, Lozano R, Inoue M. Age standardization of rates: A new WHO standard. GPE Discussion Paper Series, No. 31. Geneva: World Health Organization; 2001.