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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Evaluation von Rehabilitationsmaßnahmen mittels Kombination von Befragungsdaten und Routinedaten der Rentenversicherung

Meeting Abstract

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  • Silke Jankowiak - Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm, Bad Buchau, Deutschland
  • Rainer Kaluscha - Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm, Bad Buchau, Deutschland
  • Gert Krischak - Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm, Bad Buchau, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 137

doi: 10.3205/15gmds115, urn:nbn:de:0183-15gmds1151

Veröffentlicht: 27. August 2015

© 2015 Jankowiak et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Soll das Versorgungsgeschehen evaluiert werden, können zum einen bei Kliniken und/oder Patienten Daten prospektiv erhoben werden. Zum anderen können vorhandene Routinedaten der Kliniken oder Sozialversicherung genutzt werden. Ersteres hat den Vorteil, dass Art, Umfang und Detailtiefe der Daten an die Erfordernisse der Studie angepasst werden können, während man sich bei letzterem auf vorhandene Daten, die i.d.R. für andere Zwecke erhoben wurden, beschränken muss. Während die prospektive Datenerhebung hinsichtlich großer Fallzahlen und/oder langer Beobachtungszeiträume sehr aufwändig ist, stehen bei den Sozialversicherungsträgern sehr große Datensätze mit mehrjähriger Beobachtungsdauer zur Verfügung. Zudem stellen diese Daten im Gegensatz zu Befragungen mit unvollständigem Rücklauf eine Vollerhebung dar, so dass kein Selektionsbias zu befürchten ist. Die hohen Fallzahlen erlauben die Nutzung komplexer mathematischer Modelle wie generalisierter linearer Modelle (GLM).

Eine prospektive Datenerhebung und die Nutzung von Routinedaten für die Forschung sind kein unüberbrückbarer Gegensatz; sie lassen sich verknüpfen, so dass die Vorteile beider Ansätze genutzt werden können. Dies setzt die Unterstützung durch den Sozialversicherungsträger, ein entsprechendes Datenschutzkonzept sowie ein adäquates Datenmanagement voraus.

Das Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung an der Universität Ulm praktiziert zusammen mit der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg (DRV-BW) erfolgreich diese Kombination beider Ansätze bei der Evaluation von Rehabilitationsmaßnahmen. So wurden im Rahmen eines Modellprojekts, bei dem eine intensivierte Einbindung des Hausarztes in die Rehabilitationsnachsorge angestrebt wird, drei Datenquellen zusammengeführt: einerseits schätzen Hausärzte und Rehabilitanden das Rehabilitationsergebnis aus ihrer Sicht ein. Andererseits liegen anhand von Routinedaten der DRV-BW objektive Daten zur beruflichen Teilhabe vor. Dabei wurde in Zusammenarbeit mit der DRV-BW ein Verfahren zur datenschutzgerechten Verknüpfung der Fragebogendaten mit den Routinedaten über Pseudonyme entwickelt. So kann der Nutzen von Rehabilitationsleistungen sowohl anhand subjektiver Einschätzungen als auch anhand objektiver Kriterien untersucht werden. Zudem kann geprüft werden, inwiefern die jeweilige subjektive Einschätzung des Gesundheitszustandes mit objektiven Informationen zum Erwerbsstatus korrespondiert.

Material und Methoden: Im Rahmen des Projektes wurden die Hausärzte direkt im Anschluss an die Rehabilitation u.a. zum Erfolg der Rehabilitationsmaßnahme befragt („Wie beurteilen Sie insgesamt den Erfolg der Rehabilitationsleistung für Ihren Patienten?“). Eine Befragung der Rehabilitanden zu deren subjektiver Einschätzung des Rehabilitationsergebnisses erfolgte ca. ein Jahr nach der Rehabilitation („Wenn Sie noch einmal auf Ihren Aufenthalt in der Reha-Klinik zurückblicken, wie sehr hat Ihnen die Rehabilitationsmaßnahme geholfen?“).

Die erhobenen Angaben wurden gemeinsam mit der Rehabilitations-Statistik-Datenbasis (RSD) der DRV-BW anonymisiert ausgewertet. Diese enthalten monatsweise Angaben zu Sozialversicherungsbeiträgen, so dass der Erwerbsstatus der Rehabilitanden eingeschätzt werden kann. Für die Analysen erfolgte eine Gewichtung der Beiträge nach Beitragsart:

  • Gewicht 1: Beiträge aufgrund von Beschäftigung, freiwillige Beiträge
  • Gewicht 0,5: Beschäftigung in der Gleitzone (Einkommen zw. 401€ und 800€)
  • Gewicht 0,25: geringfügige Beschäftigung („400€-Jobs“)
  • Gewicht 0: keine Beiträge, Übergangs-/Kranken-/ Arbeitslosengeld, Rente

Aus den monatlich vorliegenden Gewichten wurde für das Vor- sowie das Folgejahr der Rehabilitation jeweils der Durchschnitt berechnet. Ein Durchschnittswert von 1 bedeutet, dass der Versicherte durchgehend sozialversicherungspflichtig beschäftigt war; ein Wert von 0 bedeutet hingegen durchgehend keine Beiträge. Die Veränderung des Erwerbsstatus wurde anhand der Differenz der Durchschnittswerte aus Vor- und Folgejahr der Rehabilitation bestimmt. Die Beitragsdifferenz wurde den subjektiven Einschätzungen des Rehabilitationserfolgs gegenüber gestellt.

In die Analysen wurden Rehabilitanden im erwerbsfähigen Alter, die im Jahr 2010 bzw. 2011 ein medizinisches Heilverfahren durchgeführt haben, eingeschlossen.

Ergebnisse: Für die Auswertungen lagen 1.016 Hausarztbögen sowie 1.768 Rehabilitandenfragebögen vor. Unmittelbar nach der Rehabilitation beurteilen ¾ der Hausärzte das Rehabilitationsergebnis als ausgezeichnet bis gut. Von den Rehabilitanden gaben 12 Monate nach der Rehabilitation 57% an, die Maßnahme habe ihnen viel bis sehr viel geholfen.

Sowohl im Vor- als auch im Folgejahr der Rehabilitation waren die Rehabilitanden nahezu durchgehend beschäftigt. Allerdings sinkt der mittlere gewichtete Sozialversicherungsbeitrag in diesem Zeitraum von 0,84 auf 0,74 leicht ab. Beitragseinbußen können darauf zurückgeführt werden, dass im Anschluss an die Rehabilitation eine stufenweise Wiedereingliederung oder eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben erfolgt ist oder Lohnfortzahlungen auslaufen. Darüber hinaus handelt es sich bei Rehabilitanden um eine hoch belastete Gruppe („erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit“ ist Voraussetzung für Rehabilitation), bei der das Risiko für Arbeitslosigkeit bzw. Berentung besonders hoch ist. Da zuvor fast durchgehend Beiträge geleistet wurden, ist eine Verschlechterung wahrscheinlicher als eine Verbesserung („Regression to the mean“).

Bei Betrachtung der Veränderung der mittleren gewichteten Beiträge zeigt sich allerdings, dass der Rückgang umso stärker ausfällt, je schlechter der Hausarzt bzw. der Rehabilitand das Rehabilitationsergebnis einschätzt (p<.0001). Wird vom Hausarzt der Rehabilitationserfolg als ausgezeichnet, sehr gut bzw. gut eingeschätzt, beträgt die Beitragsdifferenz lediglich -0,02, -0,06 bzw. -0,07. Demgegenüber reduziert sich der mittlere gewichtete Sozialversicherungsbeitrag bereits um 0,18, wenn der Hausarzt den Maßnahmenerfolgt als mittelmäßig beurteilt. Eine besonders ausgeprägte Beitragsreduktion liegt vor (-0,31), wenn der Hausarzt das Rehabilitationsergebnis schlecht einstuft. Bei den Rehabilitanden zeigt sich ein vergleichbarer Zusammenhang. Geben diese an, dass die Rehabilitation viel bzw. sehr viel geholfen hat, beträgt die Beitragsdifferenz lediglich -0,07 bzw. -0,06. Demgegenüber reduziert sich der mittlere gewichtete Sozialversicherungsbeitrag bereits um 0,13 bzw. 0,15, wenn die Rehabilitanden zu der Einschätzung gelangen, die Maßnahme hätte mittelmäßig bzw. ein wenig geholfen. Die Beitragsreduktion fällt am stärksten aus (-0,24), wenn die Rehabilitanden angeben, dass die Rehabilitation gar nicht geholfen hat.

Diskussion: Sowohl die unmittelbar nach der Rehabilitation erfolgte Beurteilung des Rehabilitationsergebnisses durch den Hausarzt als auch die retrospektive Beurteilung des Ergebnisses durch den Rehabilitanden spiegeln sich in den objektiven Daten, d.h. im Erwerbsstatus wider. Bemerkenswert ist, dass die bereits unmittelbar nach der Rehabilitationsmaßnahme erfolgte hausärztliche Beurteilung des Rehabilitationsergebnisses sich in der erst ein Jahr später bekannten Beitragsdifferenz widerspiegelt. Dies stützt unsere Vermutung, dass die Hausärzte intuitiv eine Prognose des ohne Rehabilitation zu erwartenden Krankheitsverlaufs stellen und auf dieser Grundlage das Rehabilitationsergebnis bewerten. Da sie ihre Patienten üblicherweise schon länger betreuen und somit einen spezifischen Blick auf die zu erwartenden Verläufe chronischer Erkrankungen haben, dürften sie zu einer fundierten Einschätzung kommen. Insofern bildet die hier beobachtete positive Bewertung der Rehabilitationsergebnisse durch die Hausärzte unseres Erachtens einen Beleg für den Nutzen der Rehabilitation.

Die entwickelten Konzepte zur datenschutzgerechten Zusammenführung von Befragungs- und Routinedaten über Pseudonyme dürften sich auf andere Forschungsprojekte übertragen lassen. So können die Vorteile der Nutzung von prospektiven Daten mit denen der Nutzung von Routinedaten kombiniert werden.