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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Graphentheoretische Analyse von Vernetzungsstrukturen im vertragsärztlichen Sektor einer Region der kassenärztlichen Vereinigung

Meeting Abstract

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  • Reinhard Schuster - MDK Nord, Lübeck, Deutschland
  • Martin Schuster - Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 202

doi: 10.3205/15gmds077, urn:nbn:de:0183-15gmds0771

Veröffentlicht: 27. August 2015

© 2015 Schuster et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Werden von verschiedenen Ärzten in zeitlicher Nähe Arzneimittel für den gleichen Patienten verordnet, so findet dazu eine nicht notwendigerweise patientenspezifische Kommunikation statt oder wäre wünschenswert. Persönliche Kommunikation ist ressourcenbeschränkt, aber ein schneller Informationsfluss erfordert hohe Konnektivitätseigenschaften. Durch regionale Qualitätszirkel, themengebundene Newsletter und arztindividuelle Pharmakotherapieberatungen gibt es eine Vielzahl vorrangig nicht patientenindividueller Fachkommunikation (vgl. [13],[12]). Eine schnelle und effektive Informationsverbreitung ist mit dem von Stanley Milgram 1967 eingeführten sozialpsychologischen Begriffs des „kleine-Welt-Phänomen“ (vgl. [9]) verwandt. Speziell geht es hier darum, innerhalb der spezifischen sozialen Vernetzung kurze Wege zur Informationsausbreitung zu finden. In einem graphentheoretischen Ansatz können die Ärzte als Knoten betrachtet werden. Knoten sind dann adjazent (durch Kante verbunden), wenn die Ärzte eine über einem Schwellenwerte liegende Anzahl gemeinsamer Rezeptpatienten haben, damit ist auch eine Kantenbewertung möglich. Von Interesse sind Teilgraphen und durch Äquivalenzklassen von Knoten induzierte Graphen mit bestimmten Eigenschaften (z.B. zusammenhängend, eulersch, hamilonisch) und Parametern (z.B. Knotenzahl, Kantenzahl, Durchmesser, Radius, Zentrum, chromatische Zahl, Cliquenzahl, isoperimetrische Konstante). Eine schnelle und effektive Informationsausbreitung im Graphen hängt mit dessen Spektraleigenschaften zusammen (Eigenschaften der Eigenwerte der Adjazenzmatrix des Graphen, vgl. [3], [6], [5]). Die Konstruktion einer aus dem Betrachtungszweck resultierenden optimalen Netzwerkstruktur unter spezifischen Nebenbedingungen wurde in der Literatur in Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie Informatik aus verschiedener Sichtweise untersucht (vgl. [1], [2], [8], [11]).

Material und Methoden: Auf der Basis der GKV-Arzneimittel-Routinedaten einer Region kann ein Graph betrachtet werden, dessen Knoten die Ärzte (genauer Hauptbetriebsstätten) sind. Der mit G0 bezeichneten Graph entsteht, wenn Knoten durch eine Kanten verbunden sind, wenn die Ärzte eine über einem Schwellenwert (z.B. 10) liegende Anzahl gemeinsamer Rezeptpatienten haben, diese Anzahl kann als Kantengewicht verwendet werden.

Wir können auch gerichtete Kanten definieren, die von einem Knoten zu den Knoten mit den meisten gemeinsamen Rezeptpatienten führen (absteigend geordnet für den Startknoten, aber über dem Schwellenwert liegend, als Top-n-G bezeichnet). Der zugehörige ungerichtete Graph sei Top-n-U.

Praktische Ressourcenbeschränkungen in Bezug auf Kommunikationen motivieren, einen Teilgraphen G1(k1, k2) zu suchen, der möglichst viele Knoten aus G0 enthält (wenige Ärzte ausschließt), aber eine durch k1 nach unten und k2 nach oben beschränkte Ordnung (Anzahl der adjazenten Knoten) hat. Zusätzlich kann auf Teilgraphen des Top-n-U eingeschränkt werden: G1(k1, k2, n).

G1(3,3) ist ein kubischer regulärer Graph (d.h. jeder Knoten hat drei adjazente Kanten), dessen Spektraleigenschaften vielfältig untersucht wurden (vgl. [3], [6], [5]. Die Suche regulärer Teilgraphen ist NP-vollständig (vgl. [7]), schnelle exponentielle Algorithmen wurden in [4] untersucht. Untersucht wurden auch Approximationen zu regulären Graphen [10]. Wir verwenden ein Algorithmus mit einer stochastischen Komponente, der iterativ aus Top-3-G zu einem Knoten A gerichtete Kanten mit Startknoten A entfernt werden, wenn gerichtete Kanten mit Endknoten A vorliegen, so dass im zugehörigen ungerichteten Graphen zu jedem Knoten noch mindestens drei adjazente Kanten existieren. Aus den Top-n-U-Graphen können durch fachgruppenspezifische Äquivalenzklassen von Ärzten induzierte Graphen von geringerer Komplexität gebildet werden.

Ergebnisse: Der Graph Top-3-U der Analyseregion besteht aus 2046 Knoten und 4828 Kanten und besteht aus drei Zusammenhangskomponenten, von denen die beiden kleineren die Knotenzahl von 4 haben. Die größte Komponente hat einen Durchmesser von 25 und einen Radius von 13. In diesem Graphen lassen sich geographische Strukturen wie Kreise im Bundesland durch Abstandsbetrachtungen gut lokalisieren. Für ein Regionalcluster daraus lässt sich analog zu isoperimetrischen Konstanten insgesamt (die ein Maß für eine Konnektivitätseigenschaft ist) das Verhältnis der Anzahl von Kanten zwischen dem Cluster und seinem Komplement zur Anzahl der Kanten innerhalb des Clustern als Isoliertheitsmaß betrachten.

Der Graph Top-2-U mit 1965 Ecken und 3223 Kanten hat neben einer großen Zusammenhangskomponente 15 kleine Zusammenhangskomponenten. Durchmesser und Radius betragen 24 und 12 und unterscheiden sich bei diesen Parametern wenig vom zuvor betrachteten Graphen. Hier liegen noch große Differenzen zur eingangs betrachteten „kleine-Welt-Hypothese“, doch dieser liegen keine Schwellenwerte zugrunde. Ohne diese Schwellenwerte wird diese Größenordnung zwar auch erreicht, doch auf Grund der der datentechnischen Unsicherheiten, die z.B. durch Fehler beim Einscannen der Rezepte bei der Generierung der GKV-Routinedaten entstehen, ist dies von geringer Aussagekraft.

Eine qualitativ andere Situation entsteht, wenn wir den Graphen Top-1-U betrachten. Hier liegt im Gegensatz zu den davor betrachteten Fällen in allen 313 Komponenten eine Baumstruktur vor. Die drei größten Komponenten haben 75, 57 und 56 Ecken. Sie bilden gut die vorhandenen Regionalstrukturen von Orten und Gemeinden ab. Die Durchmesser sind im ersten und zweiten Fall 4, im dritten Fall 6. Betrachtet man die hier gebildeten Cluster innerhalb des Top-3-U, so lassen sich wie oben betrachtet Isoliertheitsmaße dieser kleinräumigeren Regionalstrukturen beschreiben.

Diskussion: Bei den betrachteten Clustern ist von Interesse, welche davon mit bestehenden Ärztenetzen oder regionalen Qualitätszirkeln eine hohe Übereinstimmung aufweisen oder einen Hinweis auf die Notwendigkeit zusätzlicher Kommunikationsstrukturen geben.

Wir können einen abgeleiteten Graphen konstruieren, der als Knoten die betrachteten Regionalcluster hat. Zwei Knoten sind sind durch eine Kante verbunden, wenn im Ursprungsgraphen eine über einem Schwellenwert liegende Anzahl von Kanten zwischen den Clustern existieren. Der entstehende Graph hängt dann eng mit geographischen Nachbarschaftbeziehungen zusammen.

Ein weiterer induzierter Graph gibt Informationen zu Beziehungen zwischen den ärztlichen Fachgruppen: Die Knoten sollen die Äquivalenzklassen der Ärzte einer Fachgruppen sein (also Hausärzte, Kinderärzte, Frauenärzte,…), die dann durch eine Kante verbunden sind, wenn es zwischen den Repräsentanten zweier Äquivalenzklassen mindestens n Kanten gibt, als Schwellenwert kann wieder n=10 verwendet werden. Schlaufen werden entfernt.

Aus dem Top-3-U-Graphen entsteht ein induzierter Graph F-3-U mit 13 Ecken. Nur der Knoten der Hausärzte ist mit allen anderen Fachgruppen durch eine Kante verbunden, also eine Sternstruktur. HNO-Ärzte und Hautärzte haben 4 adjazente Kanten, zwei adjazente Kanten haben Augenärzte, Frauenärzte, Pneumologen und Kinderärzte.

Es gibt 4 Cliquen aus drei Fachgruppen: Hausärzte – Pneumologen – HNO-Ärzte, Hausärzte – HNO-Ärzte – Kinderärzte, Hausärzte – Hautärzte – Frauenärzte und Hausärzte – Hautärzte – Augenärzte.

Vorhandene ärztliche Qualitätszirkel sind wesentlich entweder durch geographische Regionalstrukturen oder Fachgruppen bestimmt und damit Knoten in den induzierten Graphen. Die Kanten der induzierten Graphen können Hinweise auf die potentielle Notwendigkeit ergänzender Kommunikationsstrukturen geben.

Die Zentren der Cluster geben Hinweise darauf, bei welchen Ärzten/Betriebsstätten Informationen mit notwendiger persönlicher Kommunikation dazu platziert werden sollten, um eine schnelle (persönliche) Verbreitung mit möglichst geringem Ressourcenaufwand zu erreichen.

Neben themengebundenen Newslettern sind Newsletter für Untergruppen von Ärzte vorstellbar, die sich aus den beschriebenen Cliquen der Fachgruppen ergeben.


Literatur

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Schuster R, von Arnstedt E. Medizinisch-technischer Fortschritt und demografischer Wandel bei den GKV-Arzneimittelausgaben im Vertragsärztlichen Bereich.In: Mainz//2011. 56. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 6. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi). Mainz, 26.-29.09.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11gmds007. DOI: 10.3205/11gmds007 Externer Link