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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Stellenwert der IT-gestützten Erreichbarkeitsanalyse im Rahmen der gesundheitsbezogenen Versorgungsplanung

Meeting Abstract

  • Rolf Johl - Beuth Hochschule für Technik, Berlin, Deutschland
  • Beatrice Moreno - ID Information und Dokumentation im Gesundheitswesen GmbH & Co. KGaA, Deutschland; Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf, Deutschland
  • Claudia Heise - ID Information und Dokumentation im Gesundheitswesen GmbH & Co. KGaA, Deutschland
  • Boris Kauhl - Maastricht University, The Netherlands
  • Judith Michel - Beuth Hochschule für Technik, Berlin, Deutschland
  • Delphin Dombo - Institut Seeberg, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 195

doi: 10.3205/15gmds076, urn:nbn:de:0183-15gmds0764

Veröffentlicht: 27. August 2015

© 2015 Johl et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Nicht zuletzt aufgrund der demographischen Entwicklung steht die datengenerierte Versorgungsplanung im Gesundheitsbereich vor großen Herausforderungen. Für ihre zukünftige Durchführung ist die Darstellung des Zugangs zu gesundheitsbezogenen Leistungen durch räumliche Erreichbarkeitsanalysen von besonderer Bedeutung.

Geoinformationssysteme (GIS) bieten die Möglichkeit, Daten über den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen entlang der jeweiligen Versorgungskette zu erfassen, zu verwalten, zu analysieren und kartographisch darzustellen.

Auf der Grundlage der Space-Time-Aquarium-Konstruktion [1] werden im Rahmen des multidisziplinären Projektes Geovisualisierung der Versorgung in Deutschland (GeoViViD) neue Formen der Erreichbarkeitsanalysen und Visualisierungsmöglichkeiten entlang einer ausgewählten Versorgungskette erprobt. Ziel ist es, die Versorgungsrealität in ihrer räumlichen und zeitlichen Dimension darzustellen und ein strategisches Planungsinstrument für die Gesundheitsversorgung zu entwickeln.

Material und Methoden: Für die Umsetzung des Projektes spielt der Begriff „Zugang“ eine entscheidende Rolle, der in der wissenschaftlichen Literatur unterschiedlich bewertet wird. Nach einem empirisch nachgewiesenen Grundverständnis [2] werden fünf Dimensionen benannt. Die erste Dimension betrifft die Verfügbarkeit (availability) von Gesundheitsdienstleistungen und bezieht sich auf das Verhältnis von vorhandenen Angeboten oder Ressourcen und der Nachfrage der Patienten. Die zweite Dimension betrifft die Erreichbarkeit (accessibility) von Gesundheitseinrichtungen und basiert auf der Lagebeziehung zwischen den Standorten der medizinischen Einrichtungen und der der Patienten. Beide Dimensionen sind auf einer räumlichen Ebene zu betrachten. Für die dritte Dimension wird die Kompatibilität (accommodation) herangezogen, die in verschiedene Aspekte untergliedert ist. Sie beinhaltet die Organisation der Leistungserbringung, z.B. Öffnungszeiten und Terminvergabesysteme, die Möglichkeit der Patienten, sich auf das System einzustellen und die Bewertung der Leistungs- und Anpassungsfähigkeit des Systems aus Sicht der Patienten. Als viertes wird die Dimension der Erschwinglichkeit (affordability) angesprochen. Sie bezieht sich auf die Kosten der medizinischen Dienstleistungen und die Möglichkeiten der Patienten für diese Kosten aufzukommen. Die fünfte Dimension ist die der Akzeptanz (acceptance) der medizinischen Versorgungseinrichtung und beinhaltet sozio-kulturell geprägte Faktoren, die das Verhältnis zwischen Arzt und Patient beeinflussen.

Es werden am Beispiel der Endoprothetik relevante Dimensionen des Zugangs berücksichtigt und neue IT-gestützte Formen der Visualisierung erprobt. Komplexe Versorgungsketten werden nach den Kriterien des Health Technology Assessments (HTA) [3] bewertet und anschließend kartographisch dargestellt. Die Modellierung der Versorgungspfade richtet sich nach den verschiedenen Versorgungsphasen des Krankheitsbildes [4] und den eingebundenen Akteuren sowie den möglichen Entscheidungsprozessen für unterschiedliche Szenarien. Es werden räumliche und zeitliche Prozesse in die Erreichbarkeitsanalyse integriert.

Als Datengrundlage dienen das Straßennetz und die Flugplätze des Digitalen Basis-Landschaftsmodells (ATKIS-BASIS-DLM). Sie enthalten beispielsweise Informationen über die Funktion, die Fahrbahnbreite, den Zustand, das Oberflächenmaterial und die Befestigung der Verkehrswege. Zusätzlich werden Standorte der Leistungserbringer benötigt, um die Distanzen zwischen den Akteuren darzustellen und die konkreten Versorgungswege zu berechnen.

Ergebnisse: Im Rahmen des Projektes GeoViViD ist ein Analysemodell für regionale Versorgungsunterschiede auf der Basis von Raum und Zeit entstanden. Das Modell besteht aus drei synergistisch aufgebauten Komponenten, die unterschiedliche Aspekte der Versorgungskette beleuchten. Die erste Komponente besteht aus einem Prozessmodell, das für Entscheidungsalgorithmen in der Behandlungskette eingesetzt wird. Diese werden sowohl vom Patienten selbst als auch von dem behandelnden Arzt beeinflusst und sind nach dem Case-Management-Prinzip zu betrachten. Das Strukturmodell stellt die unterschiedlichen Versorgungsphasen und die Akteure in den Vordergrund. In diesem Modell ist auch die zeitliche Dimension abgebildet, um den zeitlichen Verlauf des Behandlungspfades darzustellen. Das dritte Modell ist ein Raummodell, welches die Akteure sowohl in der räumlichen als auch in der zeitlichen Dimension darstellt. Die Distanzen der zurückgelegten Patientenwege werden in diesem Modell gemessen und geovisualisiert und variieren für jeden einzelnen Fall. Das Ergebnis ist eine dreidimensionale kartographische Darstellung der Patientenwege mit einer räumlichen und zeitlichen Lokalisation der Ereignisse im Behandlungspfad.

Diskussion: Es kann nachgewiesen werden, dass die Messung der Erreichbarkeit über die Dimensionen Distanz und Zeit bei der zu betrachtenden Versorgungskette eine übergeordnete Rolle spielt. Personen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu einer gesundheitlichen Einrichtung fahren, müssen zum Teil viel Zeit aufwenden, was der Einhaltung einer leitliniengerechten Versorgungskette entgegensteht. Zusätzlich werden menschliche Aktivitäten in Raum und Zeit von weiteren Dimensionen beeinflusst. So sollten beispielsweise das soziale und berufliche Umfeld sowie Familien- und ethnischer Status berücksichtigt werden. Für die Versorgungsplanung sollten darüber hinaus zukünftig verschiedene Verkehrsmittel einbezogen und an die Raumzeitaktivitäten der Menschen angepasst werden.


Literatur

1.
Guaglardio MF. Spatial accessibility of primary care: concepts, methods and challenges. International journal of health geographics. 2004;3(1):4.
2.
Penchansky R, Thomas JW. The concept of access: definition and relationship to consumer satisfaction. Medical care. 1981;19(2):127-140.
3.
DCZ Health Technology Assessment (HTA). Das Deutsche Cochrane Zentrum [cited 2015 Mar 26] Available from: URL: http://www.cochrane.de/de/hta Externer Link
4.
AQUA. Allgemeine Methoden im Rahmen der sektorenübergreifenden Qualitätssicherung im Gesundheitswesen nach § 137a SGB V – Version 3.0, 2013. Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH [cited 2015 Mar 26]. Available from: http://www.sqg.de/sqg/upload/CONTENT/Hintergrund/Methodenpapier/AQUA_AllgemeineMAllgeme_Version_3-0.pdf Externer Link