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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Nutzungskontextanalyse für die benutzerzentrierte Entwicklung einer Android Applikation für Parkinson-Patienten

Meeting Abstract

  • Evelyn Hafner - Hochschule Ulm, Ulm, Deutschland
  • Alice Bollenmiller - Hochschule Ulm, Ulm, Deutschland
  • Neltje E. Piro - Hochschule Ulm, Ulm, Deutschland
  • Ronald Blechschmidt-Trapp - Hochschule Ulm, Ulm, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 221

doi: 10.3205/15gmds043, urn:nbn:de:0183-15gmds0431

Veröffentlicht: 27. August 2015

© 2015 Hafner et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: In dem Forschungsprojekt "Therapiekontrolle bei Morbus Parkinson" [1] wird ein Telemonitoring-System entwickelt, in dem motorische Symptome von Parkinson-Patienten in häuslicher Umgebung mit Hilfe von Inertialsensoren erfasst werden. Das System soll die Lebensqualität der Patienten durch eine besser angepasste Therapie erhöhen. Eine Android-Applikation empfängt die Bewegungsdaten der Patienten per Bluetooth und bietet diesen eine Benutzerschnittstelle zur Dokumentation weiterer relevanter Daten. Für die Entwicklung der Smartphone Anwendung wurde ein benutzerzentrierter Entwicklungsansatz gewählt, bei dem die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Erwartungen der Patienten im Mittelpunkt stehen [2]. Die Entwicklung findet in Iterationen statt, die jeweils in die Phasen Analyse des Nutzungskontextes, Definition der Anforderungen, prototypische Implementierung und Evaluierung eingeteilt sind [3]. Dieser Beitrag stellt die Nutzungskontextanalyse in Parkinson-Selbsthilfegruppen und die daraus abgeleiteten Anforderungen vor.

Material und Methoden: In ersten Iterationen wurden einzelne Personen aller Anwendergruppen des Gesamtsystems einbezogen. In Gesprächen mit Neurologen, Physiotherapeuten und Parkinson-Patienten konnte ein Eindruck über die aktuelle Behandlungssituation bei M. Parkinson gewonnen werden. Daraus wurde eine Systemarchitektur skizziert, die sowohl die von Ärzten als notwendig beschriebenen Funktionen als auch die Wünsche und Anregungen der Patienten und Physiotherapeuten berücksichtigt. Der Entwurf wurde Stück für Stück prototypisch umgesetzt und am Ende jeder Iteration mit einer kleinen Anwendergruppe evaluiert. Ziel der hier vorgestellten Iteration war es, die Situation eines möglichst großen Patientenkollektivs, den Endanwendern der mobilen Applikation, zu erfassen. Dafür wurde, wie auch von Jia et al. [4], die Methode der Umfrage mit Fragebögen gewählt. Es wurde jeweils ein papierbasierter Fragebogen für Patienten und einer für die Angehörigen entwickelt, mit denen die Lebensumstände und Bedürfnisse der Patienten und Angehörigen in interessierten Parkinson-Selbsthilfegruppen erfasst werden sollten. Die Fragebogen wurden mit einem kleinen Kollektiv der späteren Zielgruppe auf Verständlichkeit geprüft und inhaltlich diskutiert. Bei der eigentlichen Befragungsdurchführung wurde den Teilnehmern zunächst das Projekt mit Zielen und dem erhofften Nutzen für Patienten und Neurologen vorgestellt. Beim Ausfüllen der Fragebögen stand stets ein Projektmitarbeiter zur Verfügung, um schnell auf Fragen einzugehen und somit möglichst vollständige Datensätze zu erhalten. Auch Angehörige wurden in die Umfrage eingeschlossen, um zu erkennen, inwiefern diese in Erkrankung und Pflege eingebunden sind und welche Unterstützung sie sich durch das System erhoffen würden.

Ergebnisse: Insgesamt konnten in sechs Selbsthilfegruppen 108 Datensätze von 77 Parkinson-Patienten und 31 Angehörigen erhoben werden. Es wurde ein Fragebogen für Parkinson-Patienten mit 30 Fragen und ein Fragebogen für Angehörige mit 18 Fragen eingesetzt. 51 männliche und 42 weibliche Probanden (15 ohne Angabe), die im Durchschnitt zwischen 60 und 70 Jahre alt waren, haben sich an der Umfrage beteiligt. Die aus dem Fragebogen gewonnenen Erkenntnisse zu den Lebensumständen bei M. Parkinson konnten für die Weiterentwicklung der Anwendung in Anforderungen umgewandelt werden. Im Einzelnen wurden folgende Funktionen anhand der statistischen Auswertungen des Fragebogens implementiert:

Nur 23 % der Patienten nutzen ein Smartphone und die Mehrheit hat wenig bis keine Erfahrung mit mobilen Endgeräten. Die mobile Applikation muss daher möglichst intuitiv und einfach zu bedienen sein. Die Kommunikation mit den Sensoren und die Erfassung der motorischen Symptome soll automatisch und möglichst ohne Benutzerinteraktion möglich sein, und wurde in der mobilen Applikation durch ein entsprechendes Modul zur Verbindungs- und Messverwaltung realisiert. In einem weiteren Modul steht ein Tagebuch für die Dokumentation von Medikation, besonderen Ereignissen sowie stark auftretenden Symptomen bereit. Die erhobenen Daten sollen später mit den Bewegungsdaten korreliert werden. Wenngleich 43% der Patienten die Erfassung von diesen Informationen als wichtig empfinden, dokumentiert nur ein Fünftel aller Patienten diese Informationen tatsächlich. Um die Compliance bei der Anwendung der App zu erhöhen, wird daher eine Medikamentenbox in das System eingebunden, die die Medikamenteneinnahme automatisch festhält. Außerdem werden wiederkehrende Einträge erkannt und als Vorauswahl bereitgestellt, um den Dokumentationssaufwand zu verringern. Insgesamt soll die Applikation möglichst wenig in den Alltag der Patienten eingreifen und sich dem Nutzer anpassen. Beispielsweise kann die App mit Hilfe der Bewegungssensoren automatisch Ruhephasen im Tagesrhythmus des Patienten erkennen und ihn in dieser Zeit nicht zu Dokumentationstätigkeiten auffordern. Des Weiteren wurde eine personalisierte Erinnerungsfunktion implementiert, die basierend auf den durchschnittlichen Einnahmezeitpunkten an die Medikamenteneinnahme erinnert. In einem weiteren Modul wird dem Patienten Feedback zu seinem aktuellen Gesundheitszustand zur Verfügung gestellt. Die meisten Patienten sehen ihren Neurologen etwa einmal im Quartal für 15 Minuten, wobei 25% Prozent angeben, dass sich der Arzt nicht genug Zeit für sie nimmt. Ein Drittel der Patienten würde sich einen häufigeren Arztkontakt wünschen und steht auch außerhalb der Termine telefonisch mit dem Arzt in Kontakt. Die Anwendung soll dem Patienten durch Rückmeldungen zum aktuellen Gesundheitszustand und durch weiterführende Informationen zur Erkrankung mehr Sicherheit im Alltag geben sowie zum aktiven Selbstmanagement beitragen. Die bereitgestellten Informationen werden spezifisch an den aktuellen Gesundheitszustand des Patienten angepasst, d.h. bei häufiger Dokumentation von Kopfschmerzen werden beispielsweise Informationen über mögliche Nebenwirkung der eingenommenen Medikation bereitgestellt.

Diskussion: Telemonitoring-Systeme, die nicht an die Bedürfnisse und Kenntnisse der Benutzer angepasst sind, führen zu fehlender Benutzerakzeptanz und sind eine der Barrieren, die den erfolgreichen Einsatz von Telemonitoring-Systemen im Alltag verhindern [5]. Durch das frühzeitige Einbeziehen aller Benutzergruppen, ist ein umfassendes Systemkonzept mit innovativen Ideen entstanden, das zu einer hohen Benutzerakzeptanz führen wird. Alle Benutzergruppen äußerten ein großes Interesse an dem Telemonitoring-System. Nach Einschätzung der Neurologen hat die Anwendung das Potential, nachhaltig zu einer besseren Therapie zu führen. Für die Analyse der Bedürfnisse und Wünsche von Patienten wurde die Fragebogenmethode gewählt. Dadurch konnte eine große Probandenpopulation gezielt zu den als relevant eingestuften Themen befragt werden. Nachteil von Fragebögen ist, dass eigene Anregungen der Befragten nicht gut berücksichtigt werden können. Maguire [2] empfiehlt daher, die Anforderungen in Interviews mit den Anwendergruppen zu erfassen. Durch die stete Anwesenheit von Projektmitarbeitern beim Ausfüllen der Fragebögen konnten dennoch auch mündlich mitgeteilte Hinweise der Probanden aufgenommen und in die weitere Analyse einbezogen werden. In der nächsten Phase der Entwicklung soll die mobile Anwendung weiterentwickelt und im Rahmen der Evaluationsphase mit ca. 20 interessierten Teilnehmern aus den Selbsthilfegruppen bezüglich Funktionalität und Benutzerfreundlichkeit geprüft werden.

Danksagung: Diese Forschungsarbeit wurde durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (Az: 33-7533-7-11.6-10/2) unterstützt.


Literatur

1.
Piro NE, Baumann L, Tengler M, Piro L, Blechschmidt-Trapp R. Telemonitoring of patients with Parkinson’s disease using inertia sensors. Applied Clinical Informatics. 2014; 5:503–11.
2.
Maguire M. Methods to support human-centered design. International Journal of Human-Computer Studies. 2001; 55(4):587–634.
3.
ISO 9241 Ergonomics of human-system interaction -- Part 210: Human-centered design for interactive systems: ISO 9241-210:2010. 2010. Available from: http://www.iso.org/iso/catalogue_detail.htm?csnumber=52075. Externer Link
4.
Jia G, Zhou J, Yang P, Lin C, Cao X, Hu H, et al. Integration of user centered design in the development of health monitoring system for elderly. Conference proceedings: Annual International Conference of the IEEE Engineering in Medicine and Biology Society. IEEE Engineering in Medicine and Biology Society. Annual Conference 2013; 2013. p. 1748–51.
5.
Jimenez-Fernandez S, Toledo P de, Del Pozo F. Usability and interoperability in Wireless sensor networks for patient telemonitoring in chronic disease management. IEEE transactions on bio-medical engineering. 2013; 60(12):3331–9.