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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Altersbestimmung durch Beurteilung von Epiphysenfugen in Knie-MRT Bilddaten

Meeting Abstract

  • Ben Stanczus - Insitut für Computational Neuroscience, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland
  • Markus Auf der Mauer - Insitut für Computational Neuroscience, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland
  • Eilin Jopp-van Well - Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland
  • Dennis Säring - Insitut für Computational Neuroscience, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 077

doi: 10.3205/15gmds008, urn:nbn:de:0183-15gmds0089

Veröffentlicht: 27. August 2015

© 2015 Stanczus et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Die Altersbestimmung von Lebenden ist ein kontrovers diskutiertes Thema. Die zunehmende Nachfrage durch eine vermehrte Einwanderung und eine erhöhte Jugendkriminalität stellen die Altersbestimmung in der Forensik vor eine große Aufgabe. Nach aktuellem Stand wird neben der körperlichen sowie odontologischen Untersuchung der Verschluss von Wachstumsfugen (Epiphysenfugen), wie bei der Handradiographie, zur Altersbestimmung verwendet. Verschiedene Einwände gegen diese Methoden begründen sich auf der Referenzpopulation aus dem Jahr 1959 [1]. Die Veränderung der Gesellschaft durch eine erhöhte Migration sowie die beschleunigte Entwicklung in den Nachkriegsjahren durch veränderte sozioökonomische Faktoren lässt bezweifeln, inwieweit und mit welcher Genauigkeit das Alter mit diesen Methoden bestimmt werden kann. Im Jahr 1999 begann die Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik, einheitliche Methoden und Richtlinien vorzugeben [2]. Seitdem wird an der Problematik geforscht und es wird nach strahlenfreien Methoden zur Altersbestimmung gesucht.

Eine Analyse von MRT-Daten zum Verschluss der Wachstumsfugen bietet daher eine interessante Alternative. Hierbei werden die Epiphysenfugen der Knochen des Knies untersucht [3], [4]. Erste Analysen zeigen, dass der Verschluss dieser Knochen mit 15-18 Jahren für die Tibia und Fibula, sowie 16-24 Jahren für das Femur genau in das Interessengebiet der forensischen Altersbestimmung fällt: Im Asylrecht sind besonders das Alter 16 und 18 von Bedeutung, zum einen bei der Frage nach der Handlungsfähigkeit und zum anderen bei der Unterbringung von „unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ (UMF).

Ziel dieser Arbeit ist nun zunächst eine Evaluation von zwei aus der Literatur bekannten Methoden [3], [4] anhand eines homogenen Datenkollektivs. Darüber hinaus soll erstmals untersucht werden, ob durch eine kombinierte Auswertung der drei Knochen eine genaue Aussage zum Probandenalter getroffenwerden kann. Dies erfolgt zunächst durch eine visuelle Einschätzung des Verschlussgrades der Tibia, Fibula und des Femurs welche den Ausgangspunkt für eine Klassifizierung zur Differenzierung des Kollektivs an der Altersgrenze von 18 Jahren darstellt. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen die Grundlage für die Bildverarbeitung sein. Hier existieren erste Ansätze zur Automatisierung der Analyse der Epiphysenfuge [5].

Material und Methoden: Zur vergleichenden Analyse der beiden Methoden [3], [4] wurde ein homogenes Datenkollektiv bestehend aus Knie-MRT Datensätzen von 50 männlichen Probanden zwischen 14 und 21 Jahren aus Norddeutschland verwendet.

Die Einteilung in Jopp et al. wird auf der Grundlage von T1-gewichteten MRT-Daten ausgewertet und teilt sich in drei Stadien (1: offen; 2: zentral geschlossen; 3: geschlossen). Dedouit et al. benutzen fünf Stadien und verwendet T2-gewichtetete MRT-Daten (1 bis 3: offenen Wachstumsfuge – von weit offen bis zu einer schmalen offenen Fuge; 4: diskontinuierliche Wachstumsfuge; 5: geschlossene Wachstumsfuge).

Die Visualisierung der MRT Daten erfolgte in einem DICOM-Viewer mit standardisierter Fensterung, um für die Beurteilung der Epiphysenfuge eine vergleichbare Darstellung zu gewährleisten.

Analog zu den bisherigen Veröffentlichungen wurde dann auf einer 2D-MRT Schicht der Verschlussgrad von Tibia, Fibula und Femur visuell bestimmt. Auf der Grundlage der erhobenen Stadien wurde nachfolgend eine Klassifizierung des Kollektivs an der Altersgrenze 18 Jahren mithilfe einer Support Vektor Maschine (SVM) durchgeführt.

Ergebnisse: Die visuelle Auswertung der Stadien zeigt bei beiden Methoden einen graduellen Verschluss der Wachstumsfuge zwischen dem Alter 14 und 20 Jahren, der bei allen Knochen spätestens zum 20. Lebensjahr komplett abgeschlossen ist. Die größte Variabilität der Stadien liegt zwischen 16 und 18 Jahren. Die Ergebnisse zeigen, dass sich der Verschluss der Epiphysenfuge des Femurs im Vergleich zu Tibia und Fibula zeitlich später vollzieht. Bezogen auf die entscheidenden Altersgrenzen zeigt sich bei der Einteilung nach Jopp die Epiphysenfuge der Tibia frühestens ab 16 Jahren vollständig geschlossen und spätestens ab 18 Jahren nicht mehr offen. Bei der Einteilung nach Dedouit sind die Wachstumsfugen von Tibia und Fibula ab 15 Jahren, die des Femurs ab 18 Jahren nicht mehr weit offen. Diese Aussagen sind auch in den Ergebnissen aus der Literatur wiederzufinden [3], [4].

Die Volljährigkeit wurde mittels SVM unter Einbeziehung der Stadien (Jopp) von Femur, Tibia und Fibula bei 82,5% der Probanden richtig klassifiziert. Die Sensitivität liegt bei 81,25%, die Spezifität bei 83,3%. Für die Methode nach Dedouit ist die Genauigkeit mit 80% in einem ähnlichen Bereich. Es ist hier eine höhere Sensitivität von 86,6% zu erkennen, wobei die Spezifität von 76% niedriger ist als nach der Methode von Jopp.

Diskussion: Durch die Auswertung anhand eines einheitlichen Kollektivs kann die Altersbestimmung der beiden Methoden in Jopp und Dedouit evaluiert und verglichen werden.

Die Ergebnisse zeigen, dass es uns erstens möglich ist aufgrund der visuellen Begutachtung unter Benutzung extremer Stadien entsprechende rechtlich relevante Altersstufen zu unterscheiden. Zweitens ermöglicht uns die Benutzung einer SVM mit den Merkmalen der Stadien der drei Knochen erstmals eine Klassifizierung der Altersgrenze 18 Jahre.

Aufgrund der visuellen Begutachtung kann geschlussfolgert werden, dass Probanden mit einer vollständig offenen Wachstumsfuge der Tibia bei der Auswertung bei Jopp nicht älter als 17 Jahre sein können und damit zum Beispiel als UMF gelten. Ist diese Wachstumsfuge vollständig geschlossen, kann geschlussfolgert werden, dass der Proband mindestens 16 Jahre alt ist. Auch für die Auswertung nach Dedouit ist diese Herangehensweise möglich. Hier können die letzten weit offenen Wachstumsfugen des Femurs mit 17 Jahren erkannt werden (UMF).

Bei der Klassifizierung per SVM zur Unterscheidung der Altersgrenze von 18 Jahren zeigt sich eine recht hohe Genauigkeit mit 82,5% bzw. 80%. Zwei volljährige fehlklassifizierte Probanden zeichnen sich durch eine große Körperhöhe aus (>1,95m), sodass auch noch in höherem Alter eine nicht komplett geschlossene Wachstumsfuge zu erwarten ist. Dies führt zu einer fehlerhaften Einstufung in die Kategorie der unter 18-jährigen. Mit der Einteilung nach Dedouit können volljährige Probanden besser erkannt werden (höhere Sensitivität). Die höhere Spezifität bei der Einteilung nach Jopp zeigt eine verbesserte Einteilung in die Klasse unter 18 Jahren. Für die Altersbestimmung gilt in dubio pro reo, weswegen eine höhere Spezifität als wichtiger angesehen wird.

Aktuell wird an der Identifikation von weiteren Parametern zur Ergänzung des Merkmalsraums der SVM gearbeitet, um den Bereich der unter 18-Jährigen genauer klassifizieren zu können.

Parallel sollen die Erkenntnisse bezüglich einer geeigneten Einteilung der Stadien algorithmisch umgesetzt und somit eine computergestützte Bestimmung des Verschlussgrades zur Evaluation der Altersbestimmung an größeren Datenkollektiven ermöglicht werden.


Literatur

1.
Greulich W, Pyle S. Radiographic atlas of skeletal development of the hand and wrist. 2nd Edition. Stanford, California: Stanford University Press; 1959.
2.
Schmeling A, Grundmann C, Fuhrmann A, Kaatsch HJ, Knell B, Ramsthaler F, et al. Aktualisierte Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik für Altersschätzungen bei lebenden im strafverfahren. Rechtsmedizin. 2008;18:451–3.
3.
Jopp E, Schröder I, Maas R, Adam G, Püschel K. Proximale Tibiaepiphyse im Magnetresonanztomogramm: Neue Möglichkeit zur Altersbestimmung bei Lebenden? Rechtsmedizin. 2010;20:464–8.
4.
Dedouit F, Auriol J, Rousseau H, Rougé D, Crubézy E, Telmon N. Age assessment by magnetic resonance imaging of the knee: A preliminary study. Forensic Sci Int [Internet]. 2012;217(1-3):232.
5.
Säring D, Auf der Mauer M, Jopp E. Klassifikation des Verschlussgrades der Epiphyse der proximalen Tibia zur Altersbestimmung. Informatik aktuell. 2014;Bildverarb: 60-6.