Artikel
Medizinischer Fortschritt und demografischer Wandel bei den Arzneimittelausgaben im Vertragsärztlichen Bereich
Suche in Medline nach
Autoren
Veröffentlicht: | 20. September 2011 |
---|
Gliederung
Text
Einleitung/Hintergrund: Die Arzneimittelkosten bilden den zweitgrößten Kostenblock im GKV-System. Um unter Modellannahmen Prognosen zu Alters- und Kostenstruktur im Gesundheitswesen zu erstellen, werden in der Literatur die Kompressions- und die Medikalisierungsthese diskutiert. Wir wollen auf Grund von Arzneimittel-Bruttoausgaben eine Prognose ohne Einflüsse derartiger Modellierungsthesen erstellen. Weiterhin soll neben der Veränderung altersspezifischer Durchschnittskosten auch die unterschiedliche Kostenverteilung in den Altersgruppen betrachtet werden. Im Gegensatz zu vielen Angaben in der Literatur erfolgt die Auflösung in einzelnen Jahresschritten, um eine ausreichende Sensibilität des Berechnungsmodells zu erhalten.
Material und Methoden: Für einen regional repräsentativen Anteil an GKV-Versicherten wurden die altersspezifischen Ausgaben der Jahre 2006 bis 2010 analysiert, und damit eine Prognose bis 2014 erstellt. Für die Altersgruppe jeweils eines Geburtsjahres wurden jährliche Übergangskoeffizienten für die Anzahl der Arzneimittelpatienten und für die Durchschnittskosten ermittelt. Auf dieser Basis wurde eine altersspezifische lineare Regression ermittelt. Zusammen mit den vorliegenden Kohortenzahlen der Geburtsjahrgänge kann eine Prognose erstellt werden. Dieses Markov-Modell unterstellt für den relativ kleinen Zeitraum einen im Wesentlichen stabilen Trend im altersspezifischen Gesundheitszustand. Zur Untersuchung der Ungleichmäßigkeit der Kosten in den Geburtsjahrgängen und um deren zeitliche Entwicklung zu erfassen, wurden Lorenzkurven und Ginikoeffizienten berechnet. Weiterhin wurden altersspezifische Ausgabensteigerungen betrachtet.
Ergebnisse: Um die Auswirkung demografischer Veränderungen zu bewerten, wurden die Anteile der verschiedenen Jahrgänge an den Rezeptpatienten als auch an den Kosten betrachtet. Sowohl in den vorliegenden Daten als auch im Prognosemodell nahm der Patientenanteil der ab 65-jährigen moderat zu, der Kostenanteil dagegen ab. Die größte Kostensteigerung liegt bei den 40 bis 50jährigen und nimmt in der Gruppe der über 50jährigen ab. Aus dieser Sicht liegt ausgabenseitig kein demografisches Problem vor. Die Kostensteigerungen durch medizinisch-technischen Fortschritt haben einen Gipfel in den mittleren Jahren. Die höchsten Ginikoeffizienten liegen in den Altersgruppen der 25 bis 35jährigen, dort gibt es also die größten Kostenunterschiede, die im zunehmenden Alter abnehmen. Auch innerhalb der Geburtsjahrgänge nehmen die Ginikoeffizienten im Beobachtungszeitraum zu, während die Medianwerte der Kosten relativ konstant bleiben.
Diskussion/Schlussfolgerungen: Wir haben mit datenbasierten Übergangskoeffizienten und einem Markov-Modell die Dynamik der Alters- und Kostenstruktur analysiert. Dazu mussten wir keine Annahmen wie in der Kompressions- oder Medikalisierungsthese machen. Die Ergebnisse liegen näher an denen im Rahmen der Kompressionsthese diskutierten Veränderungen. Die Kostensteigerung geht einher mit einer höheren Ungleichmäßigkeit der Kostenverteilung innerhalb der Jahrgänge, eine indikationsspezifische Betrachtung im Rahmen der ATC-Klassifikation der Arzneimittel wäre daher hinsichtlich der Analyse medizinisch-technischer Innovationen, kostensteigernder Pseudoinnovationen oder Reserven durch Prozessinovationen von Interesse.
Literatur
- 1.
- Borgmann C, Raffelhüschen B. Zur Entwicklung der Nachhaltigkeit der Schweizerischen Fiskal- und Sozialpolitik: Generationenbilanzen 1995-2001. seco, Strukturberichterstattung. 2004:25. Bern.
- 2.
- Breyer F, Felder S. Life Expectancy and Health Care Expenditures: A New Calculation for Germany Using the Costs of Dying. DIW Discussion Paper. 2004;452. Berlin.
- 3.
- Breyer F, Ulrich V. Gesundheitsausgaben, Alter und medizinischer Fortschritt: Eine Regressionsanalyse. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik. 2000;220:1-17.
- 4.
- Fetzer S. Determinanten der zukünftigen Finanzierbarkeit der GKV: Doppelter Alterungsprozess, Medikalisierungs- vs. Kompressionsthese und medizinisch-technischer Fortschritt. Diskussionsbeiträge des Institutes für Finanzwissenschaft der Albrecht-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau. 2005.
- 5.
- Fries JF. Aging, Natural Death, and the Compression of Morbidity. The New England Journal of Medicine. 1980;303(3):130-135.
- 6.
- Hof B. Auswirkungen und Konsequenzen der demographischen Entwicklung für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung. Gutachten im Auftrag des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. und des Verbandes der privaten Krankenversicherung e.V. Köln: 2001.
- 7.
- Statistisches Bundesamt. Bevölkerung Deutschlands bis 2050 – 10. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, CD-ROM. Wiesbaden: 2003.
- 8.
- Stearns SC, Norton Ec. Time to include time to death? The future of health care expenditure predictions. Health Economics. 2004;13:315-327.
- 9.
- Verbrugge LM. Longer life but worsening health? Trends in health and mortality of middle-aged and older persons. Milbank Mem Fund Q Health Soc. 1984;62(3):475-519.