gms | German Medical Science

50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie (dae)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie

12. bis 15.09.2005, Freiburg im Breisgau

Zum Einsatz prozess- und simulationsbasierter Methoden im Rahmen der gesundheitsökonomischen Evaluation telemedizinischer Systeme am Beispiel des INCA-Projekts

Meeting Abstract

  • Oliver Johannes Bott - Technische Universität Braunschweig, Braunschweig
  • Sandra Glaub - Technische Universität Braunschweig, Braunschweig
  • Ina Hoffmann - Technische Universität Braunschweig, Braunschweig
  • Joachim Bermann - Technische Universität Braunschweig, Braunschweig
  • Dietrich Peter Pretschner - Technische Universität Braunschweig, Braunschweig

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. 50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. Freiburg im Breisgau, 12.-15.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05gmds480

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2005/05gmds450.shtml

Veröffentlicht: 8. September 2005

© 2005 Bott et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

Die Entscheidung zur Kostenübernahme telemedizinisch erbrachter Gesundheitsdienstleistungen und damit zur Einführung telemedizinischer Systeme in die Routineversorgung basiert letztendlich auf einer positiven Kosten/Nutzen-Relation aus Sicht der Kostenträger. Im Vergleich zur aktuellen konventionellen Behandlungsform ist jeweils zu zeigen, ob die durch Technologieeinsatz häufig mit hohen Investitionen und laufenden Kosten belasteten telemedizinischen Ansätze ein ausreichend hohes Nutzenpotenzial aufweisen.

Das Telemedizin-Projekt INCA [1] reflektiert diese Zusammenhänge durch Integration einer gesundheitsökonomischen Evaluation des Systemkonzepts in den Projektphasenplan. INCA (Intelligent Control Assistant for Diabetes) ist ein EU-gefördertes Projekt, das die Verbesserung der Therapie von Diabetes Typ I zum Ziel hat. Hierzu wird durch Verknüpfung kontinuierlicher Blutzuckermessung mit einer Insulinpumpe mittels eines intelligenten Persönlichen Digitalen Assistenten ein geschlossener Regelkreis (Closed Loop) entwickelt. Dieser Regelkreis ist eingebettet in eine telemedizinische Überwachung durch Mediziner (i. d. R. Diabetologen). Neben der Analyse des klinischen Nutzens des Systems, der durch klinische Studien erfolgt, stellt sich die Frage einer geeigneten Vorgehensweise zur gesundheitsökonomischen Evaluation derartiger Telemedizin-Ansätze.

Material und Methoden

Für die Kostenanalyse wird ein prozesskostenorientierter Ansatz verfolgt. Basierend auf simulationsfähigen Modellen der konventionellen Behandlung von Diabetes-Patienten der Zielgruppe und der telemedizinischen Behandlung mit dem INCA-System werden die Kosten der Behandlung aus Sicht des Kostenträgers auf Grundlage von Simulationsläufen der Behandlungsprozesse ermittelt. Für die Erstellung dieser Modelle wird MOSAIK-M (Modellierung, Simulation und Animation von Informations- und Kommunikationssystemen in der Medizin) verwendet. MOSAIK-M [2] umfasst eine Werkzeugumgebung und ein evolutionäres Vorgehensmodell zur Erstellung von Informationssystemmodellen (IS-Modelle). MOSAIK-M IS-Modelle beschreiben Informationssysteme ganzheitlich, d.h. unter Einbeziehung der beteiligten Organisationen und Handlungsträger, der relevanten Prozesse und Objektstrukturen und der verwendeten konventionellen oder rechnerbasierten Werkzeuge der Informationsverarbeitung.

Gemäß dem Vorgehensmodell wurde mit MOSAIK-M zunächst ein simulationsfähiges Ist-Modell der derzeitigen Versorgung von Diabetes-Patienten der Zielgruppe erstellt und von Experten des Anwendungsfeldes (insb. Diabetologen und Patienten) verifiziert. Das Ist-Modell ist Basis der Modellierung des Zielsystems (Soll-Modell), das zur simulationsgestützten Prüfung der Konzepte durch zukünftige Benutzer und im Sinne einer Systemspezifikation als Vorstufe der eigentlichen Entwicklung verwendet wird [2]. Beide Modelle beschreiben Prozesse mit Petri-Netzen und Objektstrukturen mit UML [1]. Die Simulation der Modelle bedient sich Animationskomponenten zur Visualisierung der transinstitutionellen Abläufe.

Die simulationsbasierte Analyse der Behandlungskosten erforderte eine Erweiterung des Metamodells von MOSAIK-M um Beschreibungsmittel zur Modellierung prozessbezogener Kostenelemente. Die Werkzeugumgebung von MOSAIK-M erfuhr eine entsprechende Erweiterung um Werkzeuge zur Parametrierung der Prozesse, Aktivitäten und Objekte mit Kostendaten. Mittels der neuen Beschreibungsmittel und Modellierungswerkzeuge konnten sowohl das Ist-, als auch das Soll-Modell mit prozessorientierten Kostenstrukturen versehen werden. Die Parametrierung beider Modelle mit aktuellen Kostensätzen zu Konsultationskosten, Gerätekosten, Verbrauchsmaterialen etc. folgte. Durch Simulationsläufe über den Zeitraum eines Jahres konventioneller bzw. telemedizinischer Behandlung ausgewählter Referenzpatienten wurden die Kosten dann summativ ermittelt [3].

Diabetes-Patienten entwickeln bei schlechter Glukosestoffwechseleinstellung (GSE) mir hoher Wahrscheinlichkeit schwerwiegende Folgeerkrankungen z.B. der Nieren, des Herzens, oder der Augen. Der Nutzen neuer Ansätze zur Behandlung von Diabetes spiegelt sich daher in einem möglichst normnahen Blutzuckerspiegel des Patienten und aus Sicht der Kostenträger in reduzierten Behandlungskosten insbesondere für Folgeerkrankungen wider. Als Momentaufnahme ist die GSE messbar über den aktuellen Blutzuckerspiegel des Patienten, über die Güte der GSE eines Patienten über einen längern Zeitraum (ca. 4-6 Wochen) gibt das glykierte Hämoglobin (HbA1c) Auskunft. Der HbA1c-Wert ist damit ein sinnvoller klinischer Parameter für eine Kosten-Effektivitätsanalyse [4]. Simulationswerkzeuge wie Archimedes [5] erlauben eine simulationsgestützte Berechnung der Wahrscheinlichkeit von Folgeerkrankungen auf Grundlage patientenspezifischer Parameter. In Kombination mit den Resultaten der klinischen Studien des INCA-Projekts in Bezug auf eine Veränderung des HbA1c-Wertes sollen so geldbewertete Nutzenpotenziale für eine Kosten/Nutzen-Analyse [4] abgeleitet werden.

Ergebnisse

Ergebnisse sind das erweiterte Metamodell von MOSAIK-M mit den dazu gehörigen Modellierungswerkzeugen zur Einbringung prozessorientierter Kostenstrukturen in IS-Modelle. Weiterhin ist ein Ist-Modell der konventionellen Behandlung von Diabetikern mit Insulinpumpentherapie und ein Soll-Modell der alternativen telemedizinischen Behandlung gemäß INCA-Systemkonzept um prozessorientierte Kostenstrukturen ergänzt und unter Bezugnahme auf deutsche Versorgungsverhältnisse mit Kostenparametern versehen worden. Für zwei Patientenprofile mit unterschiedlicher Inanspruchnahme fachärztlicher Betreuung wurden Simulationsläufe des Ist- und des Soll-Modells durchgeführt, wobei sich mittlere Mehrkosten für die telemedizinische Betreuung von 7043,77 € pro Jahr ergaben bei mittleren Kosten für die konventionelle Behandlung in Höhe von 6.198,59 €. Da die klinischen Studien im INCA-Projekt derzeit noch laufen, sind Angaben zur Nutzenseite erst später möglich.

Schlussfolgerung, Diskussion und Ausblick

MOSAIK-M eignet sich nach Erweiterung des Metamodells sowie der Werkzeugumgebung zur prozessorientierten Modellierung von Kostenstrukturen und simulationsbasierten Summation von Aktivitätskosten zu Prozesskosten. Die Integration von Kostenstrukturen in bestehende IS-Modelle erfordert in der Regel einen geringen Aufwand, wodurch sich die Wiederverwendung der primär für die Entwicklung des telemedizinischen Systems erstellten Modelle zur Unterstützung einer Kosten/Nutzen-Betrachtung empfiehlt. Die Ermittlung der Kostenparameter wie Gerätekosten, Konsultationskosten und Kosten von Verbrauchsmaterial ist allerdings aufwändig und im Falle der Modellierung von Kostenstrukturen für telemedizinische Behandlungsalternativen naturgemäß zumindest teilweise auf qualifizierte Schätzungen angewiesen. Die Qualität der aus den Simulationsläufen resultierenden Prozesskosten hängt dementsprechend stark von der Qualität der Datenerhebung und Schätzung ab. Die derzeit zum INCA-Projekt vorliegenden Kostenschätzungen sind zunächst als Anhaltspunkte für weiterführende Untersuchungen zu verwenden. Die Kostenanalyse erfolgte aus Sicht der Kostenträger bzw. der Krankenversicherung. Indirekte Kosten z.B. aus volkswirtschaftlicher Sicht durch Arbeitsausfall des Patienten, sowie intangible Kosten, wie die Verringerung der Lebensqualität, wurden nicht berücksichtigt. Sie sind aber von nicht zu vernachlässigender Bedeutung. Die Ermittlung der Nutzenpotenziale auf Grundlage validierter Simulationssysteme wie Archimedes erscheint als ein effizienter Weg, um auf der Basis der Patientenprofile, die auch bei der Kostenabschätzung verwendet werden, Aussagen über zu erwartende, verringerte Behandlungskosten bei verbesserter Blutzuckereinstellung zu erhalten.

Danksagung

Das Projekt wird gefördert durch die Europäische Gemeinschaft (5th EC Framework Programme; IST–Information Society Technologies). Wir danken unseren Partnern: der Bioengineering and Telemedicine Group der Universidad Politécnica de Madrid (Spanien), dem Fraunhofer Institut für Siliziumtechnologie (Itzehoe), den Firmen Disetronic (Schweiz), CardGuard (Israel) und Telefonica (Spanien) und unseren klinischen Partnern vom Institut für Diabetesforschung (München) und von der Fundacio Diabem (Spanien).


Literatur

1.
Bott OJ, Bergmann J, Hoffmann I, Schnell O‚ Pretschner DP: Das INCA-Projekt: Zur Entwicklung eines Systems zur telemedizinischen Betreuung von Diabetikern bei Closed-Loop-Therapie. In: Steyer G (Hrsg): Tagungsband Telemed 2005, Berlin: Aka-Verlag, 2005, 198-211
2.
Hoffmann I, Bergmann J, Bott OJ, Pretschner DP: Einsatz einer rechnergestützten Modellierungs- und Simulationsumgebung für den Entwurf telemedizinischer Systeme am Beispiel von MOSAIK-M. In: Steyer G (Hrsg): Tagungsband Telemed 2005, Berlin: Aka-Verlag, 2005, 309-20
3.
Glaub, S.: Prozessorientierte Analyse und Modellierung von Behandlungskosten am Beispiel ausgewählter Diabetes Typ-1 Fälle. Diplomarbeit, TU Braunschweig; 2004.
4.
v.d. Schulenburg JM et al.: Praktisches Lexikon der Gesundheitsökonomie. Sankt Augustin : Asgard, 1998
5.
Eddy DM, Schlesinger L: Validation of the archimedes diabetes model. In: Diabetes Care 26(11), 2003: 3102-10.