gms | German Medical Science

50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie (dae)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie

12. bis 15.09.2005, Freiburg im Breisgau

Rahmenbedingungen für klinisch integrierte Tumordokumentation am Beispiel des Universitätsklinikums Gießen

Meeting Abstract

  • Udo Altmann - Justus-Liebig-Universität Gießen, Gießen
  • Gerson Lüdecke - Universitätsklinikum Gießen, Gießen
  • Frank Katz - Justus-Liebig-Universität Gießen, Gießen
  • Johannes Müller - Universitätsklinikum Gießen, Gießen
  • Ernst Burkhardt - Universitätsklinikum Gießen, Gießen

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. 50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. Freiburg im Breisgau, 12.-15.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05gmds237

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2005/05gmds351.shtml

Veröffentlicht: 8. September 2005

© 2005 Altmann et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

Moderne Konzepte für Tumordokumentation streben an, die Dokumentationsprozesse in die klinische Routine zu integrieren und somit Daten und Funktionen unmittelbar für die klinische Versorgung nutzbar zu machen. Aus organisatorischen Gründen – fehlende zeitnahe Dokumentation während des Aufenthalts des Patienten in der Klinik – wurden in der Vergangenheit solche Ansätze vor allem im Rahmen der Unterstützung der Tumornachsorge mittels Reminder-Systemen verfolgt. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von klinischen Arbeitsplatzsystemen sind weitergehende Funktionen möglich geworden.

Das Gießener Tumordokumentationssystem ist über das Gießener Universitätsklinikum hinaus an etwa 45 klinischen Krebsregistern von einzelnen Abteilungen, Kliniken und (regionalen) Tumorzentren installiert. Bereits bei der Konzeption im Jahr 1991 wurde es als klinisch integrierbares System konzipiert und bot sehr früh Funktionen an, die nur im integrierten Kontext sinnvoll sind, wie Chemotherapieplanung und Arztbriefschreibung. Dennoch wurden aus verschiedenen Gründen diese Funktionen nur vereinzelt genutzt.

Dieser Beitrag stellt die Maßnahmen vor, mit denen eine erfolgreiche Integration in die klinische Routine, insbesondere eine onkologische Tagesklinik, erzielt wurde.

Material und Methoden

Die Rahmenbedingungen wurden in einem nicht formalisierten Interaktionsprozess zwischen Entwicklern des GTDS und des Klinikinformationssystems auf der einen Seite und Nutzern des Systems auf der anderen Seite schrittweise aufgebaut. Sie betreffen die Aspekte Datenintegration (über Kommunikationsschnittstellen) und funktionelle Integration, d.h. die Einbindung der Tumordokumentation in die klinischen Abläufe. Die Darstellung der Rahmenbedingungen erfolgt deskriptiv. Die zunehmende Routinenutzung wird anhand einiger Auswertungen belegt.

Ergebnisse

Um unökonomische und fehlerbehaftete, nicht akzeptable Mehrfacheingaben zu vermeiden, wurde zunächst eine weitgehende Datenintegration über Schnittstellen eingerichtet. Sie basiert auf dem Kommunikationsprotokoll HL7 und umfaßt folgende Daten:

  • Stamm und Bewegungsdaten
  • Diagnosen und Prozeduren
  • Labordaten
  • Pathologiedaten

Allen Schnittstellen gemeinsam ist, daß die Datenübernahme nicht direkt in das GTDS erfolgt, sondern in Zwischentabellen, aus denen benutzerkontrolliert Daten übernommen werden. Der Grund hierfür liegt zum einen in den unterschiedlichen Zielrichtungen von Klinikinformationssystemen und Registersystemen – Patienten-/Zeit-/Aufenthalts-bezogene Dokumentation versus Krankheits-/Verlaufs-bezogene Aufbereitung von Daten. Zum anderen erfolgt zum Beispiel die Entlaßcodierung teilweise unter ökonomischen Aspekten, so daß aus Sicht der Tumordokumentation Fehlcodierungen entstehen können. Erst eine qualifizierte Einordnung und Aufbereitung von Daten aus Schnittstellen führen zu einer onkologisch verwertbaren Krankenakte im Register.

Bei den Schnittstellen handelt es sich teilweise um Datenanforderungen bzw. gezieltes Anstoßen von Datenübermittlungen aus dem klinischen Arbeitsplatzsystem heraus und teilweise um unaufgeforderte Nachrichten. Bei den gezielten Übermittlungen ist der Nachbereitungsprozeß weniger aufwendig, da bei unaufgeforderten Nachrichten (z.B. Entlaßcodierungen) zunächst gefiltert werden muß, welche Information überhaupt übernommen werden soll.

An diesen Prozessen sind unterschiedliche Personengruppen beteiligt. Ärzte können zum Beispiel bei der Entlaßcodierung im Falle einer onkologischen Codierung in einen Dialog treten, in dem sie angeben, welche der Diagnosen und Prozeduren an das Tumordokumentationssystem gemeldet werden sollen. Eine Dokumentarin bereitet in einem zweiten Schritt diese Meldungen auf. Nicht alle am Register angeschlossenen Abteilungen nutzen diese Möglichkeit, aber auch ohne diesen aktiven Schritt profitieren Dokumentare vom Zugriff auf KIS-Daten einschließlich der Histologiebefunde aus dem Pathologiesystem.

Die Ärzte wiederum profitieren von den im GTDS vorhandenen Daten bei der Betreuung onkologischer Patienten. Hier kommt die funktionelle Integration zum tragen, die in der interdisziplinären chirugisch-onkologischen Tagesklinik am weitesten fortgeschritten ist. Hier werden die Protokollplanungsmöglichkeiten des GTDS genutzt, um Chemotherapien zu berechnen und zu bestellen. Die Dokumentation der verabreichten Dosen kann dann in der Regel per Knopfdruck quittiert und um Nebenwirkungen ergänzt werden. An diesem Prozeß ist auch onkologisches Pflegepersonal beteiligt. Ergänzt um die über Schnittstelle übernommenen Befunde und epikritische Bemerkungen werden vollwertige Arztbriefe gedruckt, die demnächst auch wiederum im klinischen Arbeitsplatzsystem bereit stehen werden. Von ärztlicher Seite wird zudem die über die automatisierten Planungsfunktionen für Chemotherapie und Nachsorge erreichbare Standardisierung der Behandlungsprozesse geschätzt.

Ein weiteres Beispiel für die Integration ist die Verfügbarkeit der Daten über das Web-Interface des GTDS, mit dem – eine entsprechende Berechtigung vorausgesetzt - von jedem Rechner des Klinikums sowohl der bestehende Datenbestand zu einem Patienten im Register eingesehen werden kann, sowie Patienten in die wöchentliche interdisziplinäre Fallbesprechung eingebracht werden können.

Die Nutzungsfrequenz der klinischen Funktionen ist seit 2000 kontinuierlich gestiegen. Im Jahre 2004 wurden 159 Patienten mit urologischen Tumoren in die Nachsorge in 15 verschiedenen Nachorgeschemata aufgenommen. Entsprechendes gilt für die systemische Therapien (Chemotherapien etc.). Hier wurden im Jahr 2004 für 31 unterschiedliche Protokolle insgesamt 297 Behandkungszyklen begonnen, wobei die Planungstage und somit die Patientenkontakte in der Tagesklinik um ein vielfaches (3-4 faches) höher liegen.

Diskussion

Mit Einrichtung von Schnittstellen und minimalen Eingriffen in das klinische Arbeitsplatzsystem sowie dem Anbieten klinisch verwertbarer Funktionen konnte die klinische Tumordokumentation in den Behandlungsprozeß integriert werden. Naturgemäß ist dort die Integration am besten, wo es sich um rein onkologische Patienten wie in einer onkologischen Tagesklinik handelt.

Im gemischten Betreuungskontext sind solche Ansätze im allgemeinen nicht so erfolgversprechend, da aufgrund ihrer Heterogenität die Benutzerinterfaces unterschiedlicher Systeme meist nicht akzeptiert werden und die für die Routine nötige Benutzungsfrequenz nicht erreicht werden kann. Dennoch kann z.B. durch das einfache Anbieten der Möglichkeit innerhalb des klinischen Arbeitsplatzsystems, Diagnosen und Prozeduren an das klinische Register zu schicken, eine höhere Vollzähligkeit und eine bessere Wahrnehmung des Registers erreicht werden.

Es gibt eine Reihe meist unveröffentlichter Mitteilungen über Ansätze zur Integration von Tumordokumentation in klinische Arbeitsplatzsysteme oder Klinikinformationssysteme. Dabei handelt es sich häufig um Umgebungen, bei denen vereinfachte Annahmen gemacht werden können oder Abstriche an gewissen Aspekten der Dokumentationstiefe gemacht werden. Vereinfachte Annahmen sind z.B. die Voraussetzung, daß für einen Patienten nur eine Tumorerkrankung unterschieden werden kann, so daß spätestens bei Auswertungen Probleme auftreten, wenn Therapie- oder Verlaufsinformationen zu unterschiedlichen Erkrankungen zugeordnet werden müssen. Abstriche an der Dokumentationstiefe liegen in der Regel vor, wenn die gesamte Tumorgeschichte auf einen Datensatz reduziert wird, da dieser komplexe Abläufe mit wiederholten Therapieverfahren in der Regel nicht mehr exakt wiedergeben kann. Dennoch können solche Ansätze als Ergänzung zu einem bestehenden Register sinnvoll sein, wenn sie im Sinne eines elektronischen Meldebogens verstanden werden, der die Information im eigentlichen Register ergänzt.


Literatur

1.
Altmann, U., F. R. Katz, A. Tafazzoli, V. Haeberlin, J. Dudeck. GTDS - a Tool for Tumor Registries to Support Shared Patient Care.Proc AMIA Annu Fall Symp: 512-516 (1996)
2.
Altmann U, Katz F, Tafazzoli A, Haeberlin V, Dudeck J. Aspects of Integrating a Disease Specific System into a Hospital Information System. J. Brender et al. (Eds.) Medical Informatics Europe '96, IOS Press, 1996