gms | German Medical Science

50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie (dae)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie

12. bis 15.09.2005, Freiburg im Breisgau

Ändert sich die Reliabilität der Selbstangaben mit steigendem Rekrutierungsaufwand?

Meeting Abstract

  • Astrid Feuersenger - Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen
  • A. Stang - Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Universität Halle-Wittenberg
  • S. Moebus - Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen
  • A. Schmermund - Abteilung für Kardiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen
  • R. Erbel - Abteilung für Kardiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen
  • K.H. Jöckel - Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. 50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. Freiburg im Breisgau, 12.-15.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05gmds024

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2005/05gmds030.shtml

Veröffentlicht: 8. September 2005

© 2005 Feuersenger et al.
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Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

Einerseits ist bekannt, dass Teilnehmer, die nach einem hohen Rekrutierungsaufwand an einer epidemiologischen Studie teilnehmen, sich in ihren Eigenschaften von denen, die sofort zusagen, unterscheiden können [1]. Andererseits basieren viele epidemiologische Studien auf Probandenangaben, wobei sich die Frage ergibt, wie stark die Eigenangaben von den tatsächlichen Werten abweichen. Die folgende Analyse beschäftigt sich mit der Kombination dieser beiden Situationen: Liefern Probanden, die erst nach einem hohem Rekrutierungsaufwand teilnehmen, unzuverlässigere Angaben als Probanden, die sofort zusagen? Solche Untersuchungen liefern einen Beitrag zu den z.B. von Korkeila et al. [2] angestoßenen Überlegungen, ob man ab einem gewissen Rekrutierungsaufwand so verzerrte Schätzer erhält, dass sich der Aufwand und die Kosten für eine weitere Rekrutierung nicht mehr rentieren. Anhand der Heinz Nixdorf Recall Studie [3] untersuchen wir für die Variablen Körpergewicht, Körpergröße und Body Mass Index (BMI), ob die Variablen vom Rekrutierungsaufwand abhängen, ob sich die Differenz zwischen den Selbstangaben und den gemessenen Werten (Missklassifikation) mit dem Rekrutierungsaufwand ändert und wie groß die Missklassifikationen sind.

Material und Methoden

Zur Quantifizierung des Rekrutierungsaufwandes werden die Teilnehmer entsprechend ihres bis zur Teilnahme benötigten Rekrutierungsaufwands in vier Gruppen (=Wellen) eingeteilt. Die Welle stellt ein Maß für die Intensität der Rekrutierungsaufwandes (1. Welle = niedrigster Aufwand, 4. Welle = höchster Aufwand) dar. Die relevanten Größen bei der Welleneinteilung sind die Anzahl der Probandentelefongespräche, Anschreiben, Proxi-Telefongespräche sowie Anrufbeantwortermitteilungen.

Da das Gewicht und die Größe mittels standardisierter Verfahren gemessen wurden, wird für die weiteren Analysen angenommen, dass die Messungen fehlerfrei sind.

In die folgende Analyse werden Probanden, die ab Januar 2002 teilgenommen haben, eingeschlossen, da die Probanden erst ab diesem Zeitpunkt vor der Messung zusätzlich nach ihrem Gewicht und ihrer Größe befragt wurden (N = 3379). Um vergleichbare Gruppen vorliegen zu haben, wird eine complete case Analyse durchgeführt (N = 3252, 1. Welle: N = 1680, 2. Welle: N = 825, 3. Welle: N = 538, 4. Welle: N = 209).

Für die Untersuchung der Wellenabhängigkeit und der Änderung der Missklassifikation werden generalisierte lineare Modelle (GLMs) berechnet, bei denen die Welle als unabhängige und die Messungen bzw. die Missklassifikation als abhängige Variable gewählt werden (Daten nicht aufgelistet). Die 4. Welle wird immer als Referenz gewählt. Adjustierungen für Alter und Geschlecht werden ebenfalls vorgenommen. Um die Größe der Missklassifikation zu bestimmen, vergleichen wir die berichteten mit den gemessenen Mittelwerten der Wellen. Für alle Fragestellungen werden Geschlechtsstratifizierungen durchgeführt.

Ergebnisse

Im Gegensatz zu Gewicht und BMI wird für Größe eine Wellenabhängigkeit festgestellt. Im Durchschnitt nehmen die kleineren Teilnehmer später teil. Für Größe liegt im Gegensatz zum Gewicht eine Änderung der Missklassifikation mit dem Rekrutierungsaufwand vor. Die Missklassifikation ist in den ersten beiden Wellen kleiner als in der vierten. Betrachtet man aber Tabelle 1 [Tab. 1], sieht man, dass bei einer Rundung der Mittelwertdifferenzen auf Zentimeter keine Unterschiede mehr sichtbar sind. Folglich besitzen die Abweichungen keine epidemiologische Relevanz. Für BMI ist in dem unadjustierten Modell eine Änderung der Missklassifikation zu erkennen. Die Missklassifikation ist in der 2. Welle kleiner als in der vierten. In den für Alter adjustierten Modellen ist allerdings keine Änderung der Missklassifikation zu erkennen. Obige Unterschiede sind folglich auf die Alterszusammensetzung zurückzuführen. Die Unterschätzung des Gewichtes durch die Selbstangaben ist ca. –1kg (bei Frauen ca. –1,2kg, bei Männern ca. -0,7). Die Überschätzung der Größe beträgt – gerundet auf Zentimeter – ca. 0,02m. Für Frauen ist die Überschätzung bei hohem Rekrutierungsaufwand (0,03m) größer als bei den Männern (0,02m). Bei BMI ist die Unterschätzung (1., 2. Welle: -1,0 Einheit; 3. Welle: -1,1; 4. Welle: -1,2) für Frauen (-1,3 Einheiten) größer als für Männer (-0,9 Einheiten).

Diskussion

Bei dem Körpergewicht sind die Selbstangaben der frühen Teilnehmer genauso zuverlässig wie die der späten. Für die Körpergröße ergaben sich keine großen Reliabilitätseinbußen mit steigendem Rekrutierungsaufwand. Für den BMI besteht auf Grund des Alterseffektes kein Zusammenhang zwischen dem Rekrutierungsaufwand und der Reliabilität.

In dem Artikel von Korkeila et al. [2] wird die Aussage getätigt, dass Selbstangaben bei sensiblen Fragen um so unexakter werden, je mehr Rekrutierungsaufwand erforderlich ist. Dahingegen zeigen die Ergebnisse der Heinz Nixdorf Recall Studie, dass keine epidemiologisch relevanten Reliabilitätseinbußen mit steigendem Rekrutierungsaufwand festgestellt werden konnten. Basierend auf dieser Datenlage besteht folglich kein Anlass, zu folgern, dass die Rekrutierung - auf Grund stark zunehmender Abweichungen der Selbstangaben von dem tatsächlichen Wert – früher abgebrochen werden sollte.

Bis dato ist unerforscht, ob bei anderen interessierenden Variablen wie z.B. dem Rauchverhalten ebenfalls keine epidemiologisch relevanten Qualtitätseinbußen der Selbstangaben mit steigendem Rekrutierungsaufwand zu beobachten sind. Ob es Unterschiede zwischen den Themenbereichen der abgefragten Variablen gibt und ob Länder-/Populationsunterschiede vorliegen, ist ungeklärt und bedarf dringend weiterer Forschung.


Literatur

1.
Bakke P, Gulsvik A, Lilleng P, Overa O, Hanoa R, Eide GE. Postal survey on airborne occupational exposure and respiratory disorders in Norway: causes and consequences of non-response. J Epidemiol Community Health 1990;44:316-320
2.
Korkeila K, Suominen S, Ahvenainen J, Ojanlatva A, Rautava P, Helenius H, Koskenvuo M. Non-Response and Related Factors in a Nation-Wide Health Survey. Eur J Epidemiol 2001;17(11):991-9
3.
Schmermund A, Möhlenkamp S, Stang A et al. Assessment of clinically silent atherosclerotic disease and established and novel risk factors for predicting myocardial infarction and cardiac death in healthy middle-aged subjects: rationale and design of the Heinz Nixdorf Recall Study. Am Heart J 2002;144:212-218