gms | German Medical Science

50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie (dae)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie

12. bis 15.09.2005, Freiburg im Breisgau

Surveillance und Epidemiologie von Verletzungen an Tageseinrichtungen und Schulen in Deutschland

Meeting Abstract

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  • Kurt Scherer - Bundesverband der Unfallkassen, München

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. 50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. Freiburg im Breisgau, 12.-15.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05gmds507

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2005/05gmds020.shtml

Veröffentlicht: 8. September 2005

© 2005 Scherer.
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Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

Die gesundheitlichen Belastungen infolge von Unfällen werden als Public Health Problem häufig vernachlässigt [1], [2]. Die führenden Ursachen für Mortalität und Morbidität im frühen und mittleren Lebensalter sind Verletzungen [3]. Der Verlust an Lebenszeit durch vorzeitigen Tod und die Einbußen an Lebensqualität durch Behinderung sind besonders hoch. Geeignete Surveillance Systeme stellen die essentielle Basis für Verletzungsprävention und Sicherheitsförderung dar [4], [5], [6], [7], [8], [9]. Für das Setting „Tageseinrichtung und Schule“ als Lebensmittelpunkt von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen gibt es in Deutschland seit über drei Jahrzehnten ein kontinuierliches, systematisches, vollständiges Monitoring der Morbidität und Mortalität von Unfällen und Verletzungen. Infrastruktur sowie zentrale unfall- und verletzungsepidemiologische Ergebnisse dieser nationalen Schüler-Unfall-Surveillance, kurz SISS-G (School Injury Surveillance System - Germany), werden im Folgenden vorgestellt.

Material und Methoden

Die Population unter Risiko beträgt in SISS-G gegenwärtig 17,5 Mio Kinder in Tageseinrichtungen, Schüler und Studierende beim Besuch einrichtungsbezogener Veranstaltungen sowie auf den Wegen zwischen Zuhause und der jeweiligen Einrichtung. Dies entspricht 21,2 Prozent der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Als Falldefinition gilt jedes akute externe gesundheitsschädigende Ereignis, infolgedessen eine ärztliche Behandlung notwendig wurde. Die SISS-G-Datenelemente zur Beschreibung der Unfälle und Verletzungen sind Soziodemografie, Diagnostik, Unfallhergang, Unfallort, Unfalldatum und Unfallzeit sowie Art der Einrichtung, Veranstaltung und Aktivität. Die Datenmeldung steht auf zwei gesetzlich verankerten Säulen. Neben der Bildungseinrichtung ist auch der behandelnde Arzt verpflichtet, die Verletzung dem zuständigen regionalen Unfallversicherungsträger anhand strukturierter Meldebögen sofort anzuzeigen. Die tödlichen und hospitalisierten Unfällen werden voll erfasst und in allen SISS-G-Merkmalen kodiert. Aufgrund der großen Anzahl von Unfällen mit ärztlicher Inanspruchnahme wird bei den Fällen mit lediglich ambulanter Behandlung nach der vollständigen Grunderfassung für die aufwändige Merkmalskodierung (insbes. die multidimensionale hierarchische Hergangsbeschreibung) eine Stichprobe erhoben. Über ein Pseudozufallsverfahren (Geburtstagsmethode) wird eine repräsentative 3-Prozentstichprobe für die umfassende Kodierung der SISS-G-Datenelemente gezogen. Die regelmäßig geschulten Mitarbeiter der 23 regional gegliederten Unfallversicherungsträger erfassen und prüfen die von Schulen und Ärzten gemeldeten Daten. Konzept und Softwareprogramm werden zentral vorgegeben. Der nationale Spitzenverband erstellt einen jährlichen Gesamtdatensatz. Prüfung, Analyse, Berichterstellung und Dissemination der Ergebnisse an die verschiedensten Institutionen folgen.

Ergebnisse

Ausmaß: Im Jahr 2003 ist an jedem dritten Tag ein Schüler tödlich verletzt worden (Mort.-Rate: 7 je 1 Mio.). Die absolute Anzahl der schweren Unfälle (mind. halbjährliche MdE von 20% und mehr) liegt bei 1.776 (Morb.-Rate: 10,2 je 100.000). Ca 40.000 Schüler (Morb.-Rate: 2,3 je 1.000) sind stationär aufgenommen worden und die Zahl der Verletzten mit ärztlicher Inanspruchnahme beträgt rund 1,5 Mio. (Morb.-Rate: 8,6 je 1.000).

Trends: Die Entwicklung der Inzidenzraten in den letzten 30 Jahren verläuft für die verschiedenen Schweregrad-Indikatoren unterschiedlich. Die tödliche Unfallrate ist bis 1990 deutlich zurückgegangen. Seither stagniert die Mortalitätsrate. Die Inzidenzrate der schweren Verletzungen (MdE >= 20) ist zu Beginn und Ende der 90er Jahre stark gesunken. Seit dem Jahr 2000 ist diese Morbiditätsrate relativ stabil. Im Gegensatz dazu zeigt die Gesamtinzidenzrate (Unfälle mit Arztkontakt) einen jahrzehntelangen kontinuierlichen Anstieg. Erst seit 2000 ist hier ein abnehmender Trend zu beobachten.

Determinanten:

Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt das Risiko-Profil (Injury Rate Ratios mit 95%-CI nach dem Complementary Set Reference Group Approach [10] ausgewählter zentraler Determinanten von Verletzungen mit ärztlicher Inanspruchnahme.

Diskussion

Die nationale Schüler-Unfall-Surveillance liefert seit mehr als 30 Jahren viele epidemiologische Ergebnisse. Zentral sind beispielsweise die festgestellten großen epidemiologischen Übergange. Nach einem früheren Rückgang der schweren und tödlichen Verletzungen ist in der jüngeren Vergangenheit die Entwicklung stagnierend. Im letzten Jahr der Beobachtung musste sogar eine Zunahme der schweren und tödlichen Unfälle verzeichnet werden. Darüberhinaus wird durch die geplante bundesweite Einführung von Ganztagsschulen und der damit einhergehenden Änderung der Expositionsstruktur der Surveillance und Epidemiologie des Schüler-Unfall- und Verletzungsgeschehens höhere Bedeutung zukommen.


Literatur

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van Beeck EF. Priorities in injury epidemiology. European Journal of Epidemiology 2004; 19: 401-3.
2.
Pless IB, Hagel BE. Injury Prevention: a glossary of terms. Journal of Epidemiology and Community Health 2005, 59: 182-5
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Peden M, McGee K, Krug E, Hrsg. Injury: a leading cause of the global burden of disease, 2000. Geneva World Health Organisation, 2002
4.
Krug E. Injury surveillance is key to preventing injuries. Lancet 2004, 364: 1563-6.
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Lett R, Kobusingye O, Sethi D. A unified framework for injury control: The public health approach and Haddon's Matrix combined. Injury Control Safety Promotion 2002, 9: 199-205.
6.
Holder Y, Peden M, Krug E. et al. Hrsg. Injury Surveillance Guidelines. Geneva, World Health Organisation, 2001
7.
Centers for Disease Control and Prevention. Updated guidelines for evaluating public health surveillance systems: recommendations from the guidelines working group. MMWR 2001;50 (No. RR-13)
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Laflamme L; Menckel E. School injuries in an occupational health perspective: what do we learn from community based epidemiological studies? Injury Prevention 1997, 3: 50-6.
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Langley J. Challenges for surveillance for injury prevention. Injury Control And Safety Promotion 2004, 11: 3-8.
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Frome EL, Strader CH, Stockwell HG, Dupree EA. Relative risk estimation for occupational groups in epidemiologic surveillance. Proceedings of the Statistics in Epidemiology Section of the American Statistical Association, 1999: 1-6