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Unsicherheitstoleranz und Anforderung unnötiger Bildgebung von Medizinstudierenden während der Simulation eines ersten Arbeitstages im Krankenhaus
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Veröffentlicht: | 11. September 2023 |
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Hintergrund: Die diagnostische Arbeit fordert Mediziner*innen täglich eine professionelle Unsicherheitstoleranz (UT) ab. Um Unsicherheit zu reduzieren, wird, auch von Medizinstudierenden, im diagnostischen Prozess häufig vermehrt unnötige Bildgebung angefordert. Dies spiegelt eine Reaktion auf Unsicherheit auf behavioraler Ebene der UT wider. Das Bedürfnis nach kognitiver Geschlossenheit (kG) kann seinerseits auf kognitiver Ebene der UT auch als Reaktion auf Unsicherheit verstanden werden. Je höher die KG ist, desto geringer ist die UT. Die Entwicklung des Diagnostikverhaltens von Medizinstudierenden und deren KG ist daher von großer Bedeutung. In unserer Studie haben wir diese beiden Aspekte bei Medizinstudierenden im Rahmen ihrer wiederholten Teilnahme an einem simulierten ersten Arbeitstag im Krankenhaus untersucht.
Methoden: Am simulierten ersten Arbeitstag, konzipiert als telemedizinisches Format, nahmen 37 Medizinstudierende (davon 64,9% weiblich) ab dem 7. Semester innerhalb der Jahre 2021 bis 2022 zweimal teil. Die Simulation bestand aus drei Phasen: Sprechstunde, Fallbearbeitung und Fallpräsentation. Neben soziodemographischen Angaben wurden Daten zur kG mit einer 6-Punkte Likert-Skala (16-Need for Cognitive Closure Scale – kurz: NCCS) und die Mengen angeforderter nicht notwendiger Bildgebung erhoben. Die Ausprägungen der KG bzw. die Anzahl unnötiger Anforderungen wurden zwischen t1 und t2 mit Hilfe eines t- bzw. Wilcoxon Tests verglichen. Als Effektstärkemaße wurde Cohen’s d bzw. Pearson’s r berechnet. Die Zusammenhänge der UT-Ebenen wurden mittels Korrelationsanalyse für t1 und t2 untersucht.
Ergebnisse: Zwischen t1 und t2 stiegen bei den Medizinstudierenden der NCCS-Wert im Mittel um 0,14 Punkte (p=0,02; Cohen’s d=0,34) und die Menge angeforderter unnötiger Bildgebungen (t1: M=0,67; t2: M=0,87) um z=2,17 (p=0,03; r=0,36). Es zeigte sich ein signifikanter negativer Zusammenhang zwischen dem NCCS-Wert und der Anforderung unnötiger Bildgebung (r=-0,34; p=0,04) zu t1, nicht aber zu t2.
Diskussion: Der Anstieg der KG bei den Medizinstudierenden deutet auf kognitiver Ebene eine Abnahme der UT an. Die steigende Zahl unnötiger Bildgebung zeigt einen Trend, der zu Schädigungen von Patient*innen führen kann. Für t1 steht eine hohe kG mit geringerer unnötiger Bildgebung im Zusammenhang. Um dieses Ergebnis interpretieren und der Komplexität der UT gerecht werden zu können, sollten weitere mögliche Zusammenhänge und Einflussfaktoren auf das Diagnostikverhalten einbezogen werden. Die bisherigen Ergebnisse zeigen die Notwendigkeit, Studierenden solche Trends und Zusammenhänge zu verdeutlichen, um so Lern- und Verbesserungschancen anzubieten.
Take Home Message: Die sinkende Unsicherheitstoleranz auf kognitiver Ebene und die steigende Zahl unnötiger Bildgebung auf behavioraler Ebene deuten auf eine patient*innengefährdende Entwicklung hin, die weiter beforscht werden sollte.