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Stresserleben und arbeitsbezogene Verhaltensmuster von Medizinstudierenden und Ärzt*innen in Weiterbildung: Ergebnisse einer Online-Befragung in Niedersachsen
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Veröffentlicht: | 18. November 2020 |
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Fragestellung/Zielsetzung: Wie stellen sich Stresserleben und arbeits- bzw. studiumsbezogene Verhaltensmuster von Medizinstudierenden und Ärzt*innen in Weiterbildung dar?
Methoden: Alle Medizinstudierenden der Medizinischen Hochschule Hannover (Studienjahre 1–6) sowie die von der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen geförderten Ärzt*innen in Weiterbildung (Weiterbildungsjahre 1-6) wurden zur Teilnahme an einer Online-Querschnittsbefragung eingeladen. Eingesetzt wurde die Kurzversion des Instruments „Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM)“, der Bewältigungs- („Gesundheit“, „Schonung“) und Risikomuster („Anstrengung“, „Burnout“) ermittelt. Zudem wurde die deutschsprachige Version des „Perceived Medical School Stress (PMSS-D)“-Instruments integriert. Ergänzt wurde die Selbsteinschätzung des aktuellen Stressniveaus auf einer Skala von 0 (= derzeit empfinde ich keinen Stress) bis 100 (= ich fühle mich maximal gestresst). Die statistische Auswertung erfolgte deskriptiv sowie gruppenvergleichend.
Ergebnisse: Insgesamt 591 Studierende (Rücklauf: 32,8%; weiblich 75,8%) und 129 Ärzt*innen in Weiterbildung (Rücklauf: 19,8%, weiblich 77,5%) haben an der Erhebung teilgenommen. Das durchschnittliche Stressniveau lag bei den Studierenden deutlich höher als bei den Ärzt*innen in Weiterbildung (61,7 vs. 51,8; p<0.001 Mann-Whitney-Test). Der Summenscore des PMSS-D als Maß der Stresswahrnehmung unterschied sich nicht zwischen beiden Gruppen. Die sichere Musterzuordnung im AVEM zeigte bei den Studierenden vornehmlich das Risikomuster „Anstrengung“ (38,9%), während bei den Ärzt*innen in Weiterbildung das Muster „Schonung“ (65,9%) überwog und das Muster „Gesundheit“ nicht vorkam.
Diskussion: Im Medizinstudium zeigen sich ein hohes Stresserleben sowie eine überhöhte Anstrengung mit verminderter Widerstandsfähigkeit, wohingegen in der Weiterbildung vornehmlich Schonungsverhalten gegenüber beruflicher Belastungen vorzuliegen zu scheint. Es ist denkbar, dass im Übergang von der Aus- in die Weiterbildung ein Wandel der arbeits- bzw. studiumsbezogenen Erlebensmuster vollzogen wird. Dem familiären und Freizeitbereich könnte eine stärkere Bedeutung beigemessen werden als dem Erleben beruflichen Erfolgs. Longitudinale Erhebungen können im nächsten Schritt Aufschluss über diesen Wandel geben.
Take home messages: Gefährdungsmuster im Umgang mit Stress zeigen sich bereits im Medizinstudium und können sich in der ärztlichen Weiterbildung in eine Schutzhaltung gegenüber beruflicher Anforderungen verändern. Auch unter Berücksichtigung der aktuellen Fassung des Genfer Gelöbnisses, in der die eigene Gesundheit und das Wohlergehen explizit hervorgehoben werden, ist es geboten, frühzeitig den Blick auf die eigene Gesundheitsfürsorge von Medizinstudierenden und Ärzt*innen in Weiterbildung zu lenken.