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Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

09.09. - 12.09.2020, Zürich, Schweiz

Sind empathische Arzt-Patienten-Gespräche mittels Telemedizin möglich? Welche Qualifikationsmaßnahmen sind hierfür erforderlich? Erprobung von telemedizinischer Versorgung in belastenden Gesprächssituationen

Meeting Abstract

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  • Stefanie Merse - Universitätsklinikum Essen (AöR), Abteilung für Empathische Interkulturelle Medizinische Kommunikation, Essen, Deutschland
  • Caner Kamisli - Universitätsklinikum Essen (AöR), Abteilung für Empathische Interkulturelle Medizinische Kommunikation, Essen, Deutschland

Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA). Zürich, 09.-12.09.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. DocV-018

doi: 10.3205/20gma022, urn:nbn:de:0183-20gma0220

Veröffentlicht: 18. November 2020

© 2020 Merse et al.
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Gliederung

Text

Fragestellung/Zielsetzung: Durch die Förderung der Telemedizin sind Erstgespräche ohne direkten Arzt-Patienten-Kontakt möglich (MBO-Ä 1997, in der Fassung von 2018). Im Rahmen der Anamnese lassen sich emotional belastende Situationen nicht immer vermeiden. Solche Situationen stellen für alle Ärzt*innen eine besondere Herausforderung an die Sprach- und Kommunikationskompetenz dar. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, das Erleben sowie die Emotionalität bezogen auf das empathische Handeln der Ärzt*innen zu betrachten. Folgende Fragen sollen dabei beantwortet werden:

  • Worin unterscheiden sich solche telemedizinische Gespräche im Vergleich zu Gesprächen mit physischer Präsenz?
  • Inwiefern wirkt sich die telemedizinische Behandlung von Patient*innen auf das Gespräch aus, wenn emotional belastende Themen im Fokus stehen?
  • Welche Qualifizierungsmaßnahmen werden für das ärztliche Personal erforderlich?

Methoden: In einem qualitativen Zugang wurden vier audio-visuelle Arzt-Patienten-Gespräche transkribiert und analysiert. Es handelt sich dabei um Anamnesegespräche unter realitätsnahen Bedingungen mit einer Simulationspatientin (SP). Die SP stellte sich dem Erstgespräch in einem Zustand nach Vergewaltigung. Das Gespräch wurde von Ärzt*innen mit unterschiedlichem Sprachniveau (B2, C1 und C2 nach GER) und divergenter Kommunikationskompetenz geführt. Die Transkriptionen umfassen die verbale, nonverbale, paraverbale sowie prosodische (Stimmmelodie) Ebenen der Gespräche.

Durch die empirische Analyse der Anamnesetechnik, der ärztlichen Fragen, der Gesprächsorganisation sowie der Interaktionen wurden die Herausforderungen und Grenzen der Empathie im telemedizinischen Arzt-Patienten-Gespräch herausgearbeitet.

Ergebnisse: Erste Ergebnisse zeigen, dass in telemedizinischen Gesprächen der emotionale Zugang erschwert ist. Die Ärzt*in versucht eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung aufzubauen und somit einen sicheren Raum anzubieten, damit sich die Patientin mit ihren belastenden Erlebnissen anvertrauen kann. Wird der Vertrauensaufbau durch räumliche, sprachliche und kommunikative Nähe gestärkt, können Informationen effektiver ausgetauscht werden. Das Übermitteln und Wahrnehmen komplexer Informationen wird begünstigt, potentielle Fehlerquellen vermindert und somit die Patientensicherheit gestärkt.

Diskussion: Die telemedizinische Herausforderung besteht darin, einen sicheren Gesprächsraum am Ort der Patientin zu eröffnen, ohne selbst physisch präsent zu sein.

Die hier untersuchte Bilokation ist die Fähigkeit, an zwei Orten gleichzeitig mittels der Telemedizin präsent zu sein und in beiden Handlungsräumen sicher zu interagieren. Anamnesegespräche und informelle Videogespräche sind unabhängig voneinander einzeln als Handlungsmuster vertraut. In der Kombination entsteht jedoch ein neuer Gesprächstyp mit anderen Bedingungen und Herausforderungen. Um dieses neue Handlungsmuster sicher zu nutzen, sind klinisch-praktische Qualifizierungsmaßnahmen erforderlich.


Literatur

1.
Ehlich K. Sprachliche Prozeduren in der Arzt-Patienten-Kommunikation. In: Ehlich K, editor. Sprache und sprachliches Handeln: Bd. 3: Diskurs - Narration - Text - Schrift. Berlin: de Gruyter; 2007. p.255-279.
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Fiehler R. Erleben und Emotionalität im Arzt-Patienten-Gespräch. In: Neises M, Becker H, editors. Psychosomatische Gesprächsführung in der Frauenheilkunde: Ein interdisziplinärer Ansatz zur verbalen Intervention ; mit 15 Tabellen. Stuttgart: Wiss. Verl.-Ges; 2005. p.120-136.
3.
Rehbein J, Schmidt T, Meyer B, Watzke F, Herkenrath A. Handbuch für das computergestützte Transkribieren nach HIAT. Hamburg: Universität Hamburg; 2004. Zugänglich unter/available from: https://ids-pub.bsz-bw.de/files/2368/Schmidt_Handbuch für das computergestützte Transkribieren_2004.pdf Externer Link