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19. Jahrestagung der Gesellschaft für Arzneimittelanwendungsforschung und Arzneimittelepidemiologie (GAA)

Gesellschaft für Arzneimittelforschung und Arzneimittelepidemiologie

22.11. - 23.11.2012, Jena

Lipidsenker: Evidenz versus Verordnungsrealität

Meeting Abstract

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Gesellschaft für Arzneimittelanwendungsforschung und Arzneimittelepidemiologie e.V. (GAA). 19. Jahrestagung der Gesellschaft für Arzneimittelanwendungsforschung und Arzneimittelepidemiologie. Jena, 22.-23.11.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12gaa12

doi: 10.3205/12gaa12, urn:nbn:de:0183-12gaa124

Veröffentlicht: 14. November 2012

© 2012 Dicheva et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: In Deutschland sind diverse lipidsenkende Arzneimittel verfügbar. Die meisten davon vermögen die Cholesterinspiegel im Blut potent zu senken. Nur für wenige ist aber belegt, dass sie auch kardiovaskuläre Ereignisse zuverlässig verhindern und die Gesamtmortalität verringern. Weiterhin erschweren uneinheitliche, nicht evidenzbasierte Leitlinien und unterschiedliche empfohlene Therapiestrategien die Auswahl des Lipidsenkers. Auffällig sind dabei v. a. Verordnungen von Arzneimitteln, deren Nutzen nicht eindeutig belegt ist (Omacor®, Zodin®), und/oder deren Risikoprofil weitgehend unklar ist (Inegy®, Ezetrol®).

Material und Methoden: Im ersten Schritt wurde eine Literaturrecherche in gängigen Datenbanken durchgeführt. Die verfügbaren Studiendaten wurden hinsichtlich ihrer Relevanz und Aussagekraft der Ergebnisse evaluiert, um evidenzbasierte Therapieempfehlungen zu erarbeiten. Diese wurden dann mit aktuellen Leitlinien verglichen.

Im zweiten Schritt wurde anhand der Arzneimittelverordnungsdaten der BARMER GEK aus dem Jahr 2011 die Verordnungsprävalenz der verfügbaren Lipidsenker analysiert. Dazu wurden die Bruttokosten und die Verordnungsvolumina der unterschiedlichen lipidsenkenden Arzneimittel anteilig dargestellt. Im Besonderen wurden Verordnungen von ezetimib-haltigen Präparaten (Inegy®, Ezetrol®) ausgewertet. Hinsichtlich ihrer Verordnung wurden alters- und geschlechtsspezifische Verordnungstendenzen aufgezeigt. Weiterhin wurden die Verordnungen bezüglich der Facharztzugehörigkeit der Verordner analysiert und regionale Unterschiede hinsichtlich des DDD-Anteils ezetimib-haltiger Medikamenten an dem Gesamtvolumen (DDD) aller Lipidsenker nach 2-stelliger Postleitzahl der Versicherten dargestellt.

Ergebnisse: Insgesamt bekamen 9,6% der Versicherten der BARMER GEK lipidsenkende Arzneimittel verordnet. Erwartungsgemäß bekamen mehr Männer als Frauen solche Verordnungen (10,54% vs. 8,98%). Ausgehend von der Lebenszeitprävalenz für einen Herzinfarkt in Deutschland (2,45%) ließ sich aufzeigen, dass mit Lipidsenkern vor allem eine Primärprävention betrieben wird. Obwohl für die neueren Statine (Atorvastatin und Rosuvastatin) keine Belege für einen höheren Nutzen als Simvastatin vorliegen, werden diese Me-too-Präparate weiterhin verordnet. Verschreibungspflichtige Omega-3-Fettsäuren, denen ein vergleichbarer Nutzen von zwei Fischmahlzeiten in der Woche beigemessen wird, verursachen diese jährliche Ausgaben von 1,8 Mio. Euro (im Vergleich ca. 90 Mio. für alle Lipidsenker). Auf Inegy® und Ezetrol® fallen 26% bzw. 9% der Ausgaben an, diese Arzneimittel machen aber nur 5% bzw. 2% des Verordnungsvolumens aus.

Die meisten Verordnungen für Lipidsenker erfolgen bei einem Hausarzt bzw. Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin. Dabei liegt der prozentuale Anteil der verordneten DDD ezetimib-haltiger Medikamente am DDD-Volumen aller Lipidsenker in der hausärztlichen Versorgung bei lediglich 6,7%, während er bei den Fachärzten 12% beträgt.

Lipidsenker werden in allen Altersgruppen verordnet. Der Hauptanteil der Verordnungen (in DDD) entfällt auf die 70- bis 79-Jährigen (37,4%) und auf die 60- bis 69-Jährigen (27,8%). Ezetimib-haltige Präparate bekommen aber v. a. jüngere Menschen (Anteil bei 20–29-Jährigen 10,5%, bei den über 70-Jährigen lediglich 3,2%). Wenn Lipidsenker verordnet werden, bekommen Männer häufiger als Frauen ezetimib-haltige Arzneimittel (4,2% vs. 3,2%). Bestimmte Regionen weisen eine auffällig hohe Verordnungsprävalenz ezetimib-haltiger Medikamente: dazu zählen östliche Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, und die Grenzregionen in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz. Hier lässt sich ein Anteil ezetimib-haltiger Präparate von bis zu 13% errechnen, während z. B. in Niedersachsen und Nordrhein-Westfallen dieser unter 6% liegt.

Schlussfolgerung: Auch zehn Jahre nach der Markteinführung ezetimib-haltiger Präparate ist deren Nutzen nicht ausreichend belegt. Auch ihr Sicherheitsprofil ist nicht abschließend beurteilt, vielmehr mehren sich die Hinweise auf kardiovaskuläre und onkologische Risiken. Trotzdem werden diese vergleichsweise teueren Medikamente weiterhin massiv verordnet. Sie gehören jedes Jahr zu den umsatzstärksten Arzneimitteln und bescheren dem Hersteller Milliardengewinne. Im Vergleich zu Simvastatin verursachen ezetimib-haltige Medikamente bis zu 75% höhere Kosten in der GKV, ohne einen klaren Vorteil für die Patienten gezeigt zu haben.

Daher sollten die Leitlinien zu Therapie von Hypercholesterinämien und KHK daher überarbeitet werden, ihre Empfehlungen müssen dem aktuellen Stand der medizinischen Evidenz angepasst werden. Die Ärzteschaft sollte eine sinnvolle, evidenzbasierte, wirtschaftliche und sichere medikamentöse lipidsenkende Therapie gewährleisten.

Volltext der Studie und Literatur in: [1]


Literatur

1.
Glaeske G, Schicktanz Ch. BARMER GEK Arzneimittelreport 2012. Siegburg: Asgard; 2012. Available from: http://www.barmer-gek.de/barmer/web/Portale/Presseportal/Subportal/Presseinformationen/Archiv/2012/120626-Arzneimittelreport-2012/Arzneimittelreport-2012-lang,property=Data.pdf Externer Link