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20. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin e. V.

Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V.

21. - 23.03.2019, Berlin

Wirksamkeit von Neuroleptika auf psychische und Verhaltenssymptome dementer Menschen

Meeting Abstract

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  • Stefanie Butz - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin, Hamburg, Deutschland
  • Hans-Hermann Dubben - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin, Hamburg, Deutschland
  • Dagmar Lühmann - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin, Hamburg, Deutschland

EbM und Digitale Transformation in der Medizin. 20. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Berlin, 21.-23.03.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19ebmP-OG06-07

doi: 10.3205/19ebm091, urn:nbn:de:0183-19ebm0917

Veröffentlicht: 20. März 2019

© 2019 Butz et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund/Fragestellung: In Deutschland leben ca. 1.650.000 Demenz-Erkrankte. Eine Verdopplung bis 2050 wird prognostiziert. Neben den kognitiven Einschränkungen zeigen fast 80% der Dementen mindestens einmal im Krankheitsverlauf psychische- oder Verhaltenssymptome wie Unruhe, Reizbarkeit, Aggressivität, Wahnvorstellungen, Depression, Apathie. Die leitliniengerechte Therapie besteht aus einer Vielzahl nicht-medikamentöser Maßnahmen. Bei Eigen- oder Fremdgefährdung wird ein Therapieversuch mit Neuroleptika empfohlen. Verordnungsdaten zeigen, dass fast jeder dritte Demente Neuroleptika erhält; oft als Dauermedikation [1]. Langfristig sind Neuroleptika jedoch mit erhöhter Mortalität und Morbidität assoziiert [2].

Im Auftrag der Stiftung Gesundheitswissen wurde ein systematischer Review zur Wirksamkeit von Neuroleptika auf psychische- und Verhaltenssymptomen bei Dementen erstellt.

Methoden: Die Suche zielte auf die in Deutschland für die genannte Indikation zugelassenen Medikamente, Risperidon, Haloperidol, Melperon und Zuclopenthixol, ab. In 5 Datenbanken wurde systematisch gesucht nach randomisierten kontrollierten Studien (RCTs), in denen an Patienten mit Demenz die Wirksamkeit der 4 Medikamente auf psychische- und Verhaltenssymptome im Vergleich zu einem Placebo oder untereinander untersucht wurden. Die Datenextraktion und Einschätzung des Risk-of-Bias wurden von zwei voneinander unabhängigen Personen durchgeführt.

Ergebnisse: Es wurden 17 Publikationen zu 12 Studien eingeschlossen. Zu Melperon und Zuclopenthixol fanden sich keine, den Suchkriterien entsprechenden, RCTs. Die Publikationen erschienen zwischen 1997 und 2008. Das Verzerrungspotential in den RCTs ist hoch wegen mangelhafter Methodik und/oder deren mangelhafter Beschreibung. Neun Studien wurden weitgehend durch Pharma-Firmen finanziert. Eine gepoolte Darstellung der Ergebnisse war aufgrund der Heterogenität nicht sinnvoll. Weder für Risperidon noch für Haloperidol wurde ein patientenrelevanter Nutzen bei der Behandlung von psychischen- und Verhaltenssymptomen bei (Alzheimer-)Demenz-Erkrankten belegt. Unerwünschte Nebenwirkungen traten bei beiden Medikamenten auf; Langzeitfolgen waren nicht beurteilbar.

Schlussfolgerungen: Die hohe Verschreibungsrate von Neuroleptika zur Behandlung von Verhaltenssymptomen bei Demenz-Erkrankten zeugt von einem entsprechenden Bedarf. Die erhöhte Mortalität und Morbidität, anderslautende S3-Leitlinienempfehlungen und fehlende Wirksamkeitsnachweise – u.a. kein RCT für das am häufigsten verschriebene Melperon1 – zeugen von Forschungsbedarf.


Literatur

1.
Glaeske G, Ludwig WD, Hrsg. Innovationsreport 2018 - Auswertungsergebnisse von Routinedaten der Techniker Krankenkasse aus den Jahren 2015 bis 2017.
2.
Schulze J, van den Bussche H, Glaeske G, Kaduszkiewicz H, Wiese B, Hoffmann F. Impact of safety warnings on antipsychotic prescriptions in dementia: Nothing has changed but the years and the substances. Eur Neuropsychopharmacol. 2013;23:1034‐42.