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Brücken bauen – von der Evidenz zum Patientenwohl: 19. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin e. V.

Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V.

08.03. - 10.03.2018, Graz

Reduktion von Antipsychotika als chemische freiheitseinschränkende Maßnahmen für Menschen in Alten- und Pflegeheimen – Entwicklung und Pilotierung eines Verfahrens für das Betreuungsgericht

Meeting Abstract

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  • author presenting/speaker Julia Lühnen - Universität Hamburg, Gesundheitswissenschaften
  • Tanja Richter - Universität Hamburg, Gesundheitswissenschaften

Brücken bauen – von der Evidenz zum Patientenwohl. 19. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Graz, Österreich, 08.-10.03.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18ebmP5-11

doi: 10.3205/18ebm115, urn:nbn:de:0183-18ebm1153

Veröffentlicht: 6. März 2018

© 2018 Lühnen et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund und Fragestellung: 30% der Bewohner deutscher Pflegeheime erhalten Antipsychotika (AP), häufig in den Abend-/Nachtstunden, als Verschreibungsgründe werden zu 44% allgemeine Unruhe oder Schlafstörung genannt. Es scheint weniger die antipsychotische, als vielmehr die sedierende Wirkung im Vordergrund zu stehen. Ohne Aufklärung und Einwilligung stellt die medikamentöse Ruhigstellung eine chemische Freiheitseinschränkende Maßnahme (cFEM) dar. Wird bei fehlender Einwilligungsfähigkeit ein gesetzlicher Betreuer eingesetzt, darf dieser ohne eine betreuungsgerichtliche Genehmigung nach §1906 BGB nicht stellvertretend in die Verschreibung von AP als cFEM einwilligen. Tatsächlich werden so gut wie keine Genehmigungsanträge gestellt und so eine wichtige Kontrollinstanz umgangen. Es gibt Hinweise, dass die Modifikation eines gerichtlichen Verfahrens zu FEM die Versorgungssituation beeinflussen kann (http://werdenfelser-weg-original.de/).

Ziel ist die Entwicklung und Pilotierung eines betreuungsgerichtlichen Verfahrens, welches zur besseren Identifikation von Verschreibungen von AP als cFEM führt und damit zu einer besseren Umsetzung der Rechtsgrundlage §1906 BGB.

Materialien und Methoden: In einer qualitativen Studie wird eine komplexe Intervention entwickelt und pilotiert. Das geplante Verfahren zielt auf eine Verhaltensänderung der Akteure ab, der Entwicklung wird das Modell „The Behaviour Change Wheel“ zu Grunde gelegt.

Die Intervention richtet sich an Rechtspfleger und Betreuungsrichter und besteht aus zwei Komponenten:

1.
einer Verfahrensanweisung zum Umgang mit potentiellen cFEM bei betreuten Pflegeheimbewohnern. Anlässlich der jährlichen Berichtserstattung der Betreuer werden Medikamentenpläne bei Gericht eingereicht. Bei Verschreibungen von AP werden Rückfragen an den behandelnden Arzt über den Betreuer initiiert, die Indikation bzw. weitere Notwendigkeit der Verschreibung wird überprüft und ggf. ein Genehmigungsverfahren für cFEM eingeleitet.
2.
einer Präsenzschulung (2-3h) zur Anwendung der Verfahrensanweisung und zu Antipsychotika in Pflegeheimen.

Die Pilotierung erfolgt in 2-3 Gerichten mit jeweils 2 Tandems aus Betreuungsrichtern und Rechtspflegern sowie mit beteiligten Ärzten und Betreuern. Es werden qualitative Daten in Einzelinterviews (Verständlichkeit, Anwendbarkeit, Akzeptanz, Barrieren) und quantitative Daten (Anzahl von AP und Genehmigungsverfahren) erhoben. Die Analyse erfolgt mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring bzw. deskriptiv.