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20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

06. - 08.10.2021, digital

Antragstellung auf medizinische Rehabilitation bei Rückenschmerzen – Ereignisanalyse von Einflussfaktoren bei subjektiv gefährdeter Erwerbsfähigkeit

Meeting Abstract

  • Julia-Marie Zimmer - Institut für Rehabilitationsmedizin, Profilzentrum Gesundheitswissenschaft, Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale), Deutschland
  • David Peter Fauser - Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • André Golla - Institut für Rehabilitationsmedizin, Profilzentrum Gesundheitswissenschaft, Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale), Deutschland
  • Nadine Schmitt - Institut für Rehabilitationsmedizin, Profilzentrum Gesundheitswissenschaft, Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale), Deutschland
  • Matthias Bethge - Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • Wilfried Mau - Institut für Rehabilitationsmedizin, Profilzentrum Gesundheitswissenschaft, Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale), Deutschland

20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 06.-08.10.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. Doc21dkvf452

doi: 10.3205/21dkvf452, urn:nbn:de:0183-21dkvf4527

Veröffentlicht: 27. September 2021

© 2021 Zimmer et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Chronische Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten funktionseinschränkenden Gesundheitsproblemen in Deutschland, was sich u.a. in den hohen Anteilen dafür erbrachter Rehabilitationsleistungen äußert. Gleichwohl wird auch eine Unterinanspruchnahme medizinischer Rehabilitation diskutiert. Bisher gibt es wenige Studien, die Prädiktoren der Antragstellung bei Personen mit Rückenschmerzen im Längsschnitt abbilden.

Fragestellung und Zielsetzung: Welche Prädiktoren beeinflussen die Beantragung einer medizinischen Rehabilitation bei Personen mit ausgeprägten Rückenschmerzen und gefährdeter beruflicher Teilhabe?

Methode oder Hypothese: Analysiert wurden Daten einer prospektive DFG-geförderten Kohortenstudie (DRKS 00011554), in der 10.365 erwerbstätige Versicherte (45–59 Jahre) der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Anfang 2017 schriftlich befragt (T1) und in Verbindung mit Routinedaten der DRV bis Ende 2018 nachverfolgt wurden. Die Analyse umfasste 690 Personen mit mittlerer bis hoher rückenschmerzbedingter Funktionseinschränkung und negativer subjektiver Erwerbsprognose. Mittels multivariater Cox-Regression wurde der Einfluss theoretisch vorselektierter Variablen auf eine Antragsstellung im Nachbeobachtungszeitraum untersucht.

Ergebnisse: Von den 690 Personen (Alter = 53 ± 4 Jahre; 57% weiblich) stellten 81 einen Rehabilitationsantrag, im Mittel 261 Tage (± 174) nach T1. Angebotene familiäre und ärztliche Antragsunterstützung, eine höhere Anzahl einschränkender Gesundheitsprobleme, mehr Tage schmerzbedingter Beeinträchtigung sowie die Angst vor Arbeitslosigkeit zu T1 führten zu einem höheren Risiko der Antragstellung. Eine höhere Beanspruchung durch Hausarbeit sowie eine bessere subjektive Arbeitsfähigkeit verringerten das Risiko für eine Antragsstellung. Depressivität und Alter zeigten keinen Einfluss.

Diskussion: Die geringe Anzahl der Rehabilitationsanträge trotz ausgeprägter Rückenschmerzen ist ein Hinweis auf Unterinanspruchnahme und bestehende Zugangsbarrieren zur medizinischen Rehabilitation. Angebotene Unterstützung vor der Antragstellung hatte den größten Einfluss auf die Beantragung. Die Angst vor Arbeitslosigkeit begünstigte eine Antragstellung, evtl. aus Sorge vor krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Als belastend erlebte Hausarbeit ist in der untersuchten Altersgruppe ein Hindernis, womöglich im Sinne einer Unabkömmlichkeit zu Hause.

Praktische Implikationen: Da nur etwa jede zehnte Person mit potentiellem Rehabilitationsbedarf durch ausgeprägte Rückenschmerzen kurz- bis mittelfristig Leistungen zur medizinischen Rehabilitation beantragt, sind Maßnahmen gegen eine Unterinanspruchnahme zu intensivieren. Die Ergebnisse zur Bedeutung des ärztlichen und familiären Umfelds verdeutlichen die Notwendigkeit der Einbindung relevanter Prozessakteure für den Rehabilitationszugang.

Appell für die Praxis (Wissenschaft und/oder Versorgung) in einem Satz: Es bedarf hoher Aufmerksamkeit zur Identifizierung von teilhabebeeinträchtigten Personen, um den Zugang zur medizinischen Rehabilitation effektiv einzuleiten und Barrieren frühzeitig entgegenzuwirken.