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Die Rolle und Funktion Zugehöriger im Versorgungsprozess der ambulanten medizinischen Regelversorgung von Erwachsenen mit geistiger und schwerer Mehrfachbeeinträchtigung
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Veröffentlicht: | 27. September 2021 |
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Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Die medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung verläuft trotz der 2009 in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention nicht bedarfsgerecht [1]. Je nach Schwere der Behinderung ist es beeinträchtigten Patient*innen nicht immer möglich, Symptome zu erkennen, Beschwerden zu äußern bzw. Auskunft zu ihrer Krankengeschichte zu geben. Den Begleitern kommt in diesem Fall eine besondere Rolle zu [2].
Fragestellung und Zielsetzung: Der Beitrag fokussiert Versorgungserfahrungen von Zugehörigen, die einen wesentlichen Anteil an der ambulanten medizinischen Versorgung dieser Gruppe haben. Ziel ist die Darstellung von Rollen und Funktionen, die Zugehörige im Versorgungsprozess einnehmen, um Empfehlungen für ihre adäquate Beteiligung zu entwickeln.
Methode oder Hypothese: Es wurden Leitfadeninterviews zu Versorgungserfahrungen mit 17 Zugehörigen von schwer beeinträchtigten Patient*innen geführt. Diese wurden fallorientiert inhaltsanalytisch aufbereitet, thematisch kodiert und in Fallvignetten zusammengefasst.
Ergebnisse: Eine entscheidende Rolle bei der Inanspruchnahme ambulanter medizinischer Versorgung von Menschen mit schweren Beeinträchtigungen spielen Zugehörige. Sie sind diejenigen, die die Nutzung der Versorgung (mit) planen, Patient*innen beim Arztbesuch begleiten und unterstützen, sowie in verschiedenen Phasen der Behandlung behilflich sind. Die Interviewten berichten von zahlreichen Herausforderungen, die sich ihnen im Rahmen dieser Funktion stellen. Sie fungieren als Begleiter*in, Dolmetscher*in, Fürsprecher*in und Entscheider*in. Damit tragen sie wesentlich zu einer gelingenden Versorgung bei. Die Begleitung durch Zugehörige ist jedoch auch eine Herausforderung, da sie als Eingriff in die Intimsphäre erlebt werden kann. Darüber hinaus werden begleitete Betroffene von den Versorgern häufig nur bedingt als Ansprechpartner wahrgenommen.
Diskussion: Zugehörige unterstützen bei der ambulanten medizinischen Versorgung von schwer beeinträchtigten Patient*innen. Die identifizierten Rollen geben Hinweise auf die besonderen Herausforderungen bei der ambulanten medizinischen Versorgung von schwer beeinträchtigten Patient*innen und zeigen Unterstützungsbedarfe.
Praktische Implikationen: Die Beteiligung von Patient*innen und ihren Zugehörigen stellen für die an der Versorgung Beteiligten sowohl eine Ressource als auch eine Herausforderung dar. Im Interesse der Nutzer*innen müssen Wege gefunden werden, dieses Dreieck zu balancieren.
Appell für die Praxis (Wissenschaft und/oder Versorgung) in einem Satz: Die adäquate Berücksichtigung der Rolle und Funktion der beteiligten Zugehörigen birgt Potentiale zur Weiterentwicklung der anspruchsvollen Versorgung bei komplexen Bedarfen.
Literatur
- 1.
- Hasseler M. Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen als vulnerable Bevölkerungsgruppe in der gesundheitlichen Versorgung. Rehabilitation. 2015;54(6):369–74. DOI: 10.1055/s-0041-108468
- 2.
- Steffen P, Blum K. Menschen mit geistiger Behinderung: Defizite in der Versorgung. Dtsch Arztebl. 2012;109(17):860–2.