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„Am Ende ist vieles keine rationale Entscheidung“ – Einfluss wissenschaftlicher Expertisen auf politische Entscheidungen im Gesundheitswesen – eine qualitative Pilotstudie
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Veröffentlicht: | 27. September 2021 |
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Hintergrund: Die Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in politischen Entscheidungen wird durch verschiedene komplexe Kontextvariablen und Akteure bestimmt (Brede [1], Kruse [2]). Inmitten der verschiedenen Modelle zur Politikberatung dominiert in Deutschland ein dezisionistisches Verständnis, das von einer Trennung von Sachverständigen und Politikern ausgeht; die Entscheidungsmacht über die Auswahl von Forschungsergebnissen liegt auf der politischen Ebene, wohingegen Wissenschaft im Sinne Max Webers werturteilsfrei zu sein hat (Maelzer [3], Kurth [4]). Dieser Ansatz liegt auch der Leitlinie EuSANH zugrunde (European Science Advisory Network for Health) die einen normativen Rahmen für eine angemessene wissenschaftliche Beratung liefert (Sarría-Santamera et al. [5]).
Fragestellung und Zielsetzung: Auf der Grundlage dieses Modells soll für die Gesundheitspolitik in Deutschland geprüft werden, wie die beiden Parteien Wissenschaft und Politik interagieren. Konkret wird der Frage nachgegangen, was den politischen Entscheidungsfindungsprozess in der Gesundheitspolitik und die Auswahl von wissenschaftlichen Empfehlungen bestimmt.
Methode: Es wurden fünf leitfadengestützte Experteninterviews mit Politikerinnen/Politikern auf kommunaler, Bundesland- und Bundesebene geführt. Die im Durchschnitt 21-minütigen Interviews wurden transkribiert und mittels qualitativer Inhaltsanalyse unter Nutzung von MAXQDA ausgewertet.
Ergebnisse: Anhand der Interviews konnten Einflussfaktoren sowie deren Bewertungen erschlossen und zu folgenden drei Hauptkategorien verdichtet werden: „Einbezogene Disziplinen“, „Faktoren guter wissenschaftlicher Beratung“ und „Empfehlungen für die Wissenschaft“.
Die Entscheidung zur Hinzunahme von wissenschaftlichen Meinungen wird heterogen beurteilt. Am Ende ist es oft eine Kompromissfindung zwischen verschiedenen Interessen und Meinungen.
Die Befragten nennen konkrete Hinweise wie wissenschaftliche Expertisen beachtet werden, z.B. ein offenes und proaktives Agieren und die Vorwegnahme des „politischen Logikprozesses“ durch die Wissenschaft.
Diskussion: Die genannten Aspekte für gute wissenschaftliche Politikberatung in der Sichtweise der befragten Politikerinnen/Politiker decken sich weitgehend mit den Richtlinien der EuSANH (Sarría-Santamera et al. [5]). Es werden auch Hemmfaktoren für eine angemessene Vernetzung von Wissenschaft und Politik deutlich, z.B. das Fehlen von Ansprechpersonen, der Zugang zu neuen Erkenntnissen und eine als eher passiv wahrgenommene Rolle der Wissenschaft.
Praktische Implikationen: Forschende sollten frühzeitig im Forschungsprozess berücksichtigen, dass der Einbezug ihrer Expertise in die Politik von ihrer Einstellung, politischen Bedürfnissen sowie der Darstellung und Verbreitung der Ergebnisse abhängig sind. Die Pilotstudie gibt konkrete Handlungsanweisungen für den Wissenschaftsbetrieb wie Forschung wahrgenommen werden kann.
Literatur
- 1.
- Brede F. Politikberatung in der Gesundheitspolitik. In: Falk S, Glaab M, Römmele A, Schober H, Thunert M, editors. Handbuch Politikberatung. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer; 2019. p. 317-28.
- 2.
- Kruse A. Wissenschaftliche Politikberatung. In: Wahl HW, Hoben M, Bär M, editors. Implementierungswissenschaft für Pflege und Gerontologie. Grundlagen, Forschung und Anwendung – Ein Handbuch. Stuttgart: Kohlhammer; 2016. p. 351-68.
- 3.
- Maelzer D. Politik gut beraten? Lernprozesse in deutschen Gesundheitsreformen. Baden-Baden: Nomos; 2014.
- 4.
- Kurth BM. Epidemiologie und Gesundheitspolitik. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz. 2006;49:637-47. DOI: 10.1007/s00103-006-1291-y
- 5.
- Sarría-Santamera A, Schoten EJ, Coenen TM, Gunning-Schepers LJ, Pauwels A, Allander SV, Wysocki MJ, Ciutan M, Segovia C. A framework for scientific advice on health: EuSANH's principles and guidelines. Health Res Policy Syst. 2013 Feb 22;11(1):6. DOI: 10.1186/1478-4505-11-6