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20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

06. - 08.10.2021, digital

Das Problem der unsichtbaren Behinderung – wie können Versorgungslücken bei hörgeschädigten, mehrfachbehinderten Kindern geschlossen werden?

Meeting Abstract

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  • Karolin Schäfer - Universität zu Köln, Audiopädagogik, Köln, Deutschland

20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 06.-08.10.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. Doc21dkvf182

doi: 10.3205/21dkvf182, urn:nbn:de:0183-21dkvf1828

Veröffentlicht: 27. September 2021

© 2021 Schäfer.
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Gliederung

Text

Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Periphere Hörstörungen treten bei Menschen mit Mehrfachbehinderung oft auf, bleiben aber häufiger unbehandelt oder technisch unzureichend versorgt als bei Menschen ohne Zusatzbeeinträchtigungen (Neumann et al. [1]). Die Auswirkungen von Hörverlusten werden in der Personengruppe oft unterschätzt.

Fragestellung und Zielsetzung: Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, eine vorsichtige Prävalenzschätzung hörgeschädigter, mehrfachbehinderter Kinder vorzunehmen, indem an allen Förderschulen in NRW die Anzahl der Kinder, die eine bekannte Hörstörung und komplexe Zusatzbeeinträchtigung haben, erfragt wurde. Außerdem sollte die aktuelle Versorgungssituation der Personengruppe erfasst werden (Hörhilfen, technisches Zubehör).

Methode oder Hypothese: Die zuständigen Lehrkräfte füllten Fragebögen für jedes einzelne bekannte Kind aus. Die Fragebögen enthalten Informationen über die Zusatzdiagnose, das Alter der Kinder, den Grad des Hörverlusts, die Versorgungssituation (Vorhandensein von Hörhilfen, Trageakzeptanz und Einsatz von technischem Zubehör). Über einen Zeitraum von ca. 3 Monaten für jeden Förderschwerpunkt konnten insgesamt n=357 Fragebögen erhoben werden.

Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen geringere Prävalenzen als in der Literatur angegeben (1,5-2,8% in der Untersuchung vs. bis zu 10% in der Literatur, u.a. Cans et al. [2]: 10%, Hansen [3]: 9,3%). Dies lässt auf eine gewisse Dunkelziffer an Kindern schließen, deren Hörstörung womöglich unbekannt ist. Etwa 8–9% der gemeldeten hörgeschädigten, mehrfachbehinderten Kinder sind nicht mit Hörhilfen versorgt, der Einsatz von Übertragungsanlagen variiert je nach Förderschwerpunkt zwischen 11–61%.

Diskussion: Die Versorgungssituation von hörgeschädigten, mehrfachbehinderten Kindern ist in NRW sehr unterschiedlich, auch bei gleicher Diagnose und damit vermeintlich gleichen Voraussetzungen der Kinder. Der Beschulungsort scheint die Versorgungssituation der Kinder zu beeinflussen.

Praktische Implikationen: Es bedarf förderschwerpunktübergreifender Beratungsangebote, sobald die Doppeldiagnose Hören und Zusatzbeeinträchtigung auftritt. Auch Auffälligkeiten in der Sehfähigkeit sollten in diesem Zusammenhang nicht unbeachtet bleiben.

Appell für die Praxis (Wissenschaft und/oder Versorgung) in einem Satz: Hörstörungen sind unsichtbar und rücken bei einem komplexen Behinderungsbild häufig in den Hintergrund – um die Versorgungssituation zu verbessern, ist zunächst ein fortlaufendes Monitoring notwendig.


Literatur

1.
Neumann K, Dettmer G, Euler HA, Giebel A, Gross M, Hoth S, Lattermann C, Montgomery J. Auditory status of persons with intellectual disability at the German Special Olympic games. Int J Audiol. 2006 Feb; 45(2):83-90.
2.
Cans C, Guillem P, Fauconnier J, Rambaud P, Jouk PS. Disabilities and trends over time in a French county, 1980-91. Arch Dis Child. 2003 Feb;88(2):114-7. DOI: 10.1136/adc.88.2.114 Externer Link
3.
Hansen G. Aktuelle Daten zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung in Nordrhein-Westfalen. Vierteljahrsschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 2/2012. München: Reinhardt; 2010. p. 124-35.