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Bewertung der Versorgung in Zentren für Seltene Erkrankungen aus Patientensicht im Innovationsfonds-Projekt TRANSLATE-NAMSE
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Veröffentlicht: | 27. September 2021 |
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Hintergrund und Stand der Forschung: In Deutschland leiden ca. 4 Millionen Menschen an einer Seltenen Erkrankung (SE). Diagnose und Therapie der oft komplexen SE stellen Haus- und Fachärzte vor große Herausforderungen, die zusätzlich durch intersektoriale Schnittstellenprobleme erschwert werden. Dies führt für Betroffene zu redundanten diagnostischen Maßnahmen und erheblichen Verzögerungen von Therapieanpassungen. Eine frühzeitige präzise Diagnosestellung als zentrale Voraussetzung für eine adäquate Behandlung, zur Verhinderung schwerer Krankheitsmanifestationen und unnötiger diagnostischer Maßnahmen soll durch Zentren für Seltene Erkrankungen (ZSE) erreicht werden.
Fragestellung und Zielsetzung: Die Sicht der Patient:innen und deren Bedarfe an eine umfassende und adäquate medizinische Versorgung bleiben bislang zu wenig beachtet, werden u.a. im Rahmen der Patientenorientierung im Nationalen Aktionsbündnis für Menschen mit SE gefordert. Untersucht wurde die Übereinstimmung von Erwartungen der Patient:innen und Angehörigen an die Gesundheitsversorgung mit der vorgefundenen Versorgungsrealität in ZSE.
Methode oder Hypothese: Für Patienten, die mit unspezifischen Symptomen in ZSE vorstellig werden, aber bisher keine konkrete Verdachtsdiagnose haben, erfolgt die Koordination und prozessual organisierte Diagnostik durch Lots:innen und ärztliche Koordination ggf. auch unter Einbeziehung standortübergreifender Expertenpanel und im Rahmen von interdisziplinären Fallkonferenzen. Die Zufriedenheit mit der Versorgung in ZSE wurde zum Abschluss des Versorgungsprozesses mittels Evaluationsfragebogen erhoben.
Ergebnisse: Von 1.301 Patient:innen (49% weiblich) wurden Evaluationsbögen ausgewertet. Bevor Patient:innen sich an ein ZSE wandten, hatten sie im Mittel 5,6 ± 7,7 Jahre Symptome. Den Zeitpunkt, zu dem eine Überweisung an ein ZSE erfolgte, fanden 60% „angemessen“, 16% zu spät und 11% „viel zu spät“. 45% der hatten persönlichen Kontakt mit dem ZSE. 86% sind „sehr“ oder „eher“ zufrieden mit der Erreichbarkeit, 92% sind „sehr“ oder „eher“ zufrieden mit dem Ansprechpartner, Bei 24% wurde eine SE, bei 5% eine häufige, aber keine psychosomatische Erkrankung und bei 2% eine psychosomatische Erkrankung diagnostiziert. 69% blieben ohne eine gesicherte Diagnose. Als durchschnittliche Schulnote für die ZSE resultierte 2,5 ± 1,2.
Diskussion: Fast ein Drittel der Patient:innen verlässt das ZSE mit einer gesicherten Diagnose. Die Zuweisung in ein ZSE erfolgt aus Patientensicht teilweise zu spät, hier sollte eine Verbesserung der intersektorialen Zusammenarbeit erfolgen. Die Patienten erwarten oft eine persönliche Vorstellung im ZSE, hier sollte durch verbesserte Informationen eine realistische Erwartungshaltung erreicht werden, auch bezüglich der Zeitdauern und Verfahrensweisen im ZSE.
Praktische Implikationen: Die vorgestellten Ergebnisse sind Teil des Evaluationsberichts des Innovationsfondprojektes TNAMSE und bilden die Grundlage für Entscheidungsprozesse zur Überführung in die Regelversorgung.
Appell für die Praxis: Für eine frühzeitige und präzise Diagnosestellung von SE müssen ZSE, die jeweiligen Spezialisierungen sowie die Zugangsmöglichkeiten bekannter werden.