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20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

06. - 08.10.2021, digital

Geschlechtergerechte Versorgung – Einfluss von Geschlecht(-errollen) auf die Diagnose von psychischen Störungen

Meeting Abstract

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  • Annabell Duda - Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Umwelt und Gesundheit, Bielefeld, Deutschland
  • Annette K. F. Malsch - Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Umwelt und Gesundheit, Bielefeld, Deutschland

20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 06.-08.10.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. Doc21dkvf059

doi: 10.3205/21dkvf059, urn:nbn:de:0183-21dkvf0598

Veröffentlicht: 27. September 2021

© 2021 Duda et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Frauen und Männer unterscheiden sich im Umgang mit Gesundheit, Prävention und Krankheit. Dies spiegelt sich in der Krankheitshäufigkeit, Wahrnehmung und Bewertung von Symptomen bzw. Beeinträchtigungen, gesundheitsrelevantem Verhalten sowie der Inanspruchnahme von Versorgungsangeboten wider. Gesellschaftliche Geschlechterrollen und -stereotype beeinflussen zum einen den wahrgenommenen Gesundheitszustand von Patient*innen und zum anderen die Fremdbeurteilung durch Ärzt*innen. Stereotype Sichtweisen können während der Diagnosefindung z.B. eine Zuschreibung geschlechterspezifischer Gesundheitsprofile verursachen oder die Wahrnehmung von Symptombeschreibungen beeinflussen, wodurch Frauen häufiger und Männer seltener eine psychische Störung diagnostiziert bekommen.

Fragestellung und Zielsetzung: Ziel der Arbeit war herauszufinden, ob in der hausärztlichen Versorgung geschlechtergerechte Diagnosen von psychischen Störungen gestellt werden. Es wurde daher gefragt, inwiefern ein Measurement Bias bzw. Clinician Bias bzw. Gender Bias hinsichtlich der Diagnose von psychischen Störungen in NRW vorliegt.

Methode oder Hypothese: Von 26 angefragten Hausärzt*innen mit der Zusatzqualifikation Psychotherapie, wurden mit N=6 (je drei m/w) leitfadengestützte Expert*inneninterviews zu angewandten Diagnoseinstrumenten, möglicher geschlechterbezogener Voreingenommenheit bzw. Verzerrungen geführt.

Ergebnisse: Die Patient*innen werden überwiegend (n=5) nach biologischen Merkmalen beurteilt, was mit stereotypen Zuschreibungen von Eigenschaften und Verhaltensweisen der Frauen und Männer einherging (Clinician Bias). Psychische Diagnosen werden von den Hausärzt*innen erfahrungsbasiert und nicht mit standardisierten Diagnoseinstrumenten gestellt (n=6), wodurch ein Measurement Bias nicht untersucht werden konnte. Geschlechterspezifische Unterschiede werden überwiegend nicht erkannt (n=5) und zeigen eine Geschlechterinsensibilität (Gender Bias) auf.

Diskussion: Die Ergebnisse weisen auf ein binäres, biologisch orientiertes Geschlechtsverständnis hin, das als ursächlich für den ermittelten Clinician und Gender Bias angesehen werden kann. Insofern scheint auf Gender- und Diversitätsaspekte nicht ausreichend eingegangen zu werden. Da im Weiteren keine standardisierten Diagnoseinstrumente eingesetzt wurden, wird angenommen, dass es auch nicht zu geschlechtergerechten Diagnosen von psychischen Störungen kam.

Praktische Implikationen: Es bedarf der aktiven Sensibilisierung für das Thema Gender und Diversität durch Integration des aktuellen Wissens in die medizinische Versorgung (z.B. Publikationen, Aus- und Fortbildungen, Anamnesestandards etc.).

Appell für die Praxis: Für eine qualitativ hochwertige Versorgung im Sinne einer individualisierten Medizin, ist das Aufbrechen des binären Geschlechterverständnisses und die Förderung von Gender- und Diversitätsgerechtigkeit Voraussetzung.