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19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

30.09. - 01.10.2020, digital

Chancen und Herausforderungen der Ethikbegutachtung qualitativer Versorgungsforschung – eine Befragung qualitativ Forschender

Meeting Abstract

  • Kerstin Kremeike - Zentrum für Palliativmedizin, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland
  • Christine Preiser - Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät, Universität Augsburg, Augsburg, Deutschland
  • Charlotte Ullrich - Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Medizinische Fakultät, Universität Heidelberg, Heidelberg, Deutschland
  • Margret Xyländer - Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld, Bielefeld, Deutschland
  • Saskia Jünger - cologne center for ethics, rights, economics, and social sciences of health (ceres), Universität zu Köln, Köln, Deutschland

19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 30.09.-01.10.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc20dkvf339

doi: 10.3205/20dkvf339, urn:nbn:de:0183-20dkvf3395

Veröffentlicht: 25. September 2020

© 2020 Kremeike et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Qualitative Methoden haben in den letzten Jahren vermehrt Einzug in die Versorgungsforschung gehalten. Die Reflexion ethischer Fragestellungen ist ein elementarer Bestandteil qualitativer Verfahren über den gesamten Forschungsprozesses; dabei zugrunde liegende Gütekriterien unterscheiden sich deutlich von denen klinischer Studien. Ethikkommissionen spielen – wie in allen Bereichen der Gesundheitsforschung – auch bei qualitativen Studien eine zentrale Rolle im Forschungsprozess.

Fragestellung: Welche Chancen und Herausforderungen sehen qualitativ Forschende in der Ethikbegutachtung qualitativer Versorgungsforschung?

Methode: Im Juli 2019 fand ein Online-Survey unter qualitativ Forschenden statt, für den im Schneeballverfahren über einschlägige Institutionen rekrutiert wurde. Anhand offener Fragen wurden Erfahrungen bezüglich ethisch relevanter Aspekte sowie zur Ethikbegutachtung qualitativer Forschungsvorhaben erhoben. Die Datenauswertung erfolgte inhaltsanalytisch.

Ergebnisse: Der Großteil der (n=73) Teilnehmenden gab an, überwiegend qualitativ (52%) oder in gleichen Teilen qualitativ und quantitativ (44%) zu forschen; der fachliche Hintergrund war divers mit einem hohen Anteil aus den Pflege- (37%), Sozial- (27%) und Gesundheitswissenschaften/Public Health (20%). Die Erfahrung in der Versorgungsforschung lag im Schnitt bei sieben Jahren (Range: 1-25).

Als wünschenswert und hilfreich bei der Ethikbegutachtung qualitativer Forschungsvorhaben nannten die Befragten neben dem Vorhandensein entsprechender methodischer Kompetenz in den begutachtenden Kommissionen u.a. den kooperativen und wertschätzenden Austausch mit den Begutachtenden, die Transparenz der Vorgaben und die Relevanz der adressierten ethischen Fragestellungen für den qualitativen Forschungsprozess. Diese Bedingungen wurden jedoch häufig nicht vorgefunden, vor allem aufgrund der Setzung quantitativer Forschungsstandards. Letzteres begünstigte die Wahrnehmung des Begutachtungsprozesses „als bürokratisches Übel“ ohne Mehrwert für die Auseinandersetzung mit forschungsethisch relevanten Fragestellungen. Als gewinnbringend wurde die Ethikbegutachtung besonders für die Einhaltung von (rechtlichen) Regularien genannt. Unter entsprechenden Bedingungen beurteilten die Befragten die Begutachtung als anregend für die kritische Reflexion des qualitativen Forschungsvorhabens, z.B. hinsichtlich Studiendesign und dessen Umsetzung.

Diskussion und praktische Implikationen: Qualitative Methoden leisten einen relevanten Beitrag zur Wissensgenerierung in der angewandten Gesundheitsforschung. Die vorgestellten Ergebnisse weisen auf das Potential von Ethikbegutachtungen hin, die – auch für qualitative Forschungsvorhaben – wichtige Reflexion ethischer Fragen zu fördern. Um eine fundierte Einschätzung der wissenschaftlichen Studienqualität treffen zu können, ist die fachliche und methodische Expertise der begutachtenden Kommissionen ebenso essentiell wie eine generelle Offenheit für das gesamte Methodenspektrum der Versorgungsforschung. Daher sollten Ethikkommissionen über ein Verständnis der Relevanz und Gütekriterien qualitativer Forschung verfügen.