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19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

30.09. - 01.10.2020, digital

COVID-19: Vom Umgang mit Falschnachrichten in den Medien

Meeting Abstract

  • C. Schaefer - Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin, Berlin, Deutschland
  • Günter Ollenschläger - Evimed Institut, Bergisch Gladbach
  • Orkan Okan - Universität Bielefeld, Zentrum für Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter (ZPI), Bielefeld
  • Eva Maria Bitzer - Pädagogische Hochschule Freiburg, Public Health & Health Education, Freiburg

19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 30.09.-01.10.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc20dkvf257

doi: 10.3205/20dkvf257, urn:nbn:de:0183-20dkvf2576

Veröffentlicht: 25. September 2020

© 2020 Schaefer et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Der WHO-Generalsekretär hat im Kontext mit COVID-19 den Begriff „Infodemic“ geprägt und meint damit sich rasant ausbreitende Informationen und insbesondere die schädlichen Effekte vielfach verbreiteter Falschnachrichten. Falschnachrichten sind falsche oder verzerrte Aussagen zu COVID-19, die keine satirische oder parodistische Absicht verfolgen. Sie lassen sich erst sicher so bezeichnen, nachdem sie geprüft wurden.

Fragestellung: Der Beitrag beschreibt Ausmaß, Inhalt und Folgen von Falschnachrichten zu COVID-19 sowie ggf. wirksame Lösungsansätze.

Methode: Rapid systematic Review zur Häufigkeit von COVID-19-Falschnachrichten und zur Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen. Zu Nutzung von und Vertrauen in Informationen zu COVID-19 erfolgte zusätzlich eine Internetsuche zu Studien aus Deutschland.

Ergebnisse: Falsche oder verzerrte Nachrichten zur COVID-19-Krise werden in allen Medien verbreitet. Viele beanstandete Posts blieben weiterhin verfügbar (Twitter 59%, Youtube 29%, Facebook 24%). In ca. 2/3 der untersuchten Fälle lagen keine frei erfundenen Nachrichten vor, verzerrte, in einen anderen Kontext gestellte und falsch verkürzte Inhalte. Am häufigsten waren falsche oder verzerrte Behauptungen über Pläne und Maßnahmen von Regierungs- oder internationalen Behörden wie UN und WHO (39% der untersuchten Fälle). Falschnachrichten von Prominenten zu COVID-19 haben zahlenmäßig einen geringen Anteil, besitzen aber viel Einfluss, weil sie häufig geteilt werden. Zur Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen konnte zu COVID-19 keine Evidenz gefunden werden. Randomisierte Experimente in anderen Public Health-Kontexten zeigen, dass Falschnachrichten die Einstellung zu präventiven und solidarischen Verhaltensweisen negativ beeinflussen und Richtigstellungen diesen Einfluss teils rückgängig machen können. Sie können als inhaltliche Gegenrede (Direktantwort oder Faktencheck) erfolgen oder als Analyse von Argumentationsmustern. Vermutlich werden nicht alle Zielgruppen davon erreicht. Negative Effekte (Backfire-Effekt) wurden nicht beobachtet. Experimente deuten an, dass die Gegenrede einer vertrauenswürdigen wissenschaftlichen Organisation mehr Effekt hat. Menschen in Deutschland vertrauen im Zusammenhang mit COVID-19 am ehesten wissenschaftlichen und wissenschaftsjournalistischen Einrichtungen.

Diskussion: Bislang gibt es in Deutschland keine zentrale Plattform, über die alle Faktenchecks abrufbar sind, kein einheitliches methodisches Vorgehen und keine einheitlichen Transparenzkriterien. Bei der Richtigstellung von Falschnachrichten sollen wissenschaftliche und wissenschaftsjournalistische Organisationen, die eher als unabhängig wahrgenommen werden, eine zentrale Rolle spielen. Ihre Arbeit soll unterstützt und ausgebaut werden.