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19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

30.09. - 01.10.2020, digital

„Ich bin in einem Alter, wo man sich um die Mutter kümmern müsste und nicht umgekehrt“: Dyadische Eltern-erwachsenes Kind Beziehungen am Lebensende

Meeting Abstract

  • Franziska A. Herbst - Institut für Allgemeinmedizin, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
  • Laura Gawinski - Institut für Allgemeinmedizin, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
  • Nils Schneider - Institut für Allgemeinmedizin, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
  • Stephanie Stiel - Institut für Allgemeinmedizin, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland

19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 30.09.-01.10.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc20dkvf181

doi: 10.3205/20dkvf181, urn:nbn:de:0183-20dkvf1811

Veröffentlicht: 25. September 2020

© 2020 Herbst et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Bisher ist (inter)national wenig über Beziehungen am Lebensende in Dyaden erwachsener Kinder und Eltern bekannt. Ein aktueller Scoping Review konnte keine Studie identifizieren, in der zugleich 1) schwerstkranke erwachsene Kinder und ihre Eltern sowie 2) schwerstkranke Elternteile und ihren erwachsenen Kindern zum Thema befragt wurden.

Zielsetzung: Die prospektive Beobachtungsstudie exploriert als Teil des BMBF-geförderten Projekts Dy@EoL (2017–2020; Förderkennzeichen: 01GY1711) die Besonderheiten und Herausforderungen der Beziehung zwischen hospizlich-palliativ versorgten erwachsenen Kindern und ihren Elternteilen (Dyade 1) sowie schwerstkranken Elternteilen in hospizlich-palliativer Versorgung und ihren erwachsenen Kindern (Dyade 2).

Methode: Von 02/2018 bis einschl. 11/2019 wurden Patient*innen und Angehörige über Einrichtungen der stationären und ambulanten hospizlich-palliativen Versorgung rekrutiert. Das gemischt-methodische Studiendesign kombiniert ein qualitatives, halbstrukturiertes Interview mit quantitativen Fragebögen zur Erhebung soziodemographischer Daten, des Bindungsstils und der wahrgenommenen emotionalen Nähe zur Dyadenpartner*in. Die Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und nach Prinzipien der Grounded Theory analysiert. Quantitative Fragebogendaten wurden deskriptiv analysiert.

Ergebnisse: Für Dyade 1 wurden 32, für Dyade 2 52 qualitative Interviews geführt. Fragebögen wurden von 31 Patient*innen und Angehörigen der Dyade 1 und 74 Teilnehmenden der Dyade 2 ausgefüllt. Aus den Interviewdaten geht hervor, dass sowohl Eltern als auch erwachsene Kinder den Verlust der Patient*in als essentiell erleben. Erkrankungssituation und daraus resultierende Abhängigkeiten werden in beiden Dyaden der „natürlichen Ordnung“ entgegengesetzt empfunden. In Dyade 1 wünschen sich versorgende Elternteile mehr Nähe zum erkrankten erwachsenen Kind, während dieses nach größerer Unabhängigkeit strebt. Erkrankte Elternteile und erwachsene Kinder der Dyade 2 erleben in der aktuellen Erkrankungssituation eine besondere Intensität ihrer Beziehung. Dieses Ergebnis wird bestärkt durch die Fragebogendaten, die zeigen, dass in Dyade 2 eine größere emotionale Nähe in der aktuellen Situation als vor der Erkrankung empfunden wird.

Diskussion: Die Studie zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Dyaden in den Erfahrungen und Erwartungen an die Beziehung und Rollen. Herausforderungen in Beziehungen von schwerstkranken erwachsenen Kindern bzw. Elternteilen zeigen sich in einem divergierenden Nähe-/Autonomiebedürfnis sowie einer neuen, teils als schwierig empfundenen Intimität.

Praktische Implikationen: Dies ist die erste Studie, die systematisch Erfahrungen und Erwartungen beider Eltern-erwachsenes Kind-Dyaden bezogen auf die dyadische Beziehung untersucht und somit zu einem Verständnis unterschiedlicher Bedürfnisse innerhalb und zwischen den Dyaden beiträgt. Es ist wichtig, die Perspektiven beider Dyaden am Lebensende zu untersuchen, da sie die evidenzbasierte Entwicklung nationaler und internationaler Konzepte und Empfehlungen für psychosoziale Unterstützungsmaßnahmen anregen können.

Förderung: BMBF-Projekt Dy@EoL (2017-2020; Förderkennzeichen: 01GY1711).