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19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

30.09. - 01.10.2020, digital

Umgang mit Todeswünschen in der Palliativversorgung – Evaluation einer Gesprächsintervention

Meeting Abstract

  • Kerstin Kremeike - Zentrum für Palliativmedizin, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland
  • Kathleen Boström - Zentrum für Palliativmedizin, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland
  • Carolin Rosendahl - Zentrum für Palliativmedizin, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland
  • Leonie Gehrke - Zentrum für Palliativmedizin, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland
  • Thomas Dojan - Zentrum für Palliativmedizin, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland
  • Raymond Voltz - Zentrum für Palliativmedizin, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland; Zentrum für Integrierte Onkologie Aachen Bonn Köln Düsseldorf, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland; Zentrum für Klinische Studien, Universität zu Köln, Köln, Deutschland; Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft, Universität zu Köln, Köln, Deutschland

19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 30.09.-01.10.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc20dkvf176

doi: 10.3205/20dkvf176, urn:nbn:de:0183-20dkvf1761

Veröffentlicht: 25. September 2020

© 2020 Kremeike et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Etwa die Hälfte aller Palliativpatient*innen entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung zumindest gelegentliche Todeswünsche, die mit psychosozialen Belastungen wie Depressivität einhergehen können. Obwohl Versorgende regelmäßig mit solchen Todeswünschen konfrontiert werden, herrscht oft Unsicherheit im Umgang damit. Um dem zu begegnen, wurden in einem früheren Projekt ein Schulungskonzept und ein teil-strukturierter Gesprächsleitfaden entworfen. In einer dreiphasigen Mixed Methods-Studie wurde dieser Leitfaden nun weiterentwickelt (Phase 1) und Versorgende unter Einsatz des Leitfadens im Umgang mit Todeswünschen geschult (Phase 2). Anschließend wurden die Versorgenden gebeten, Gespräche über möglicherweise vorhandene Todeswünsche mit ihren Patient*innen zu führen und es fand eine Evaluation dieser Gespräche statt (Phase 3).

Fragestellung und Zielsetzung: Welche Auswirkungen haben Gespräche über Todeswünsche auf Palliativpatient*innen?

Methode: Im Rahmen eines sequenziellen Mixed-Methods-Designs wurden standardisierte Befragungen von Palliativpatient*innen anhand validierter Fragebögen zu Depressivität, Todeswunsch, Angst vor dem Tod, Versorgendenbeziehung und Hoffnungslosigkeit durchgeführt. Nach der ersten Fragebogenerhebung (t0) durch Forschende führten geschulte Versorgende ein Gespräch über mögliche Todeswünsche mit ihren Patient*innen. 2 (t1) und 6 Wochen (t2) später wurde die Fragebogenerhebung wiederholt. Die Auswertung erfolgte mittels statistischer Methoden. Anschließend fanden mit einem Teil der Palliativpatient*innen qualitative Interviews statt, die inhaltsanalytisch ausgewertet wurden.

Ergebnisse: Von 4/2018 bis 3/2020 schlugen 43 Versorgende 172 Palliativpatient*innen für die Studie vor; mit 85 davon fand t0 statt. Bei 47 der Patient*innen konnte eine vollständige Datenerhebung (t0, Versorgendengespräch, t1, t2) durchgeführt werden, 13 davon nahmen an qualitativen Interviews teil. Die Palliativpatient*innen waren zu 57% weiblich, im Mittel 69 Jahre alt und hatten heterogene Grunderkrankungen (59% onkologisch, 13% neurologisch, 28% andere). Die Ausprägung der Depressivität verringerte sich zwischen t0 und t1 signifikant (p=.001; Effektstärke d=.44), dieser Unterschied war zu t2 nicht mehr signifikant. Die anderen Outcomes zeigten positive Trends. Die qualitativen Daten deuten positive Effekte der Gespräche an: „Dann ist mir (…) klar geworden, dass ich im Nachhinein ganz anders über den Tod denke. (…) Ich fühle mich versorgt, ummantelt sozusagen und wenn ich neue Ideen habe, darf ich die ansprechen.“

Diskussion: Gespräche über Todeswünsche führten bei Palliativpatient*innen bei keinem Outcome zu Verschlechterungen, kurzzeitig kam es zu signifikanten Verbesserungen von Depressivität. Die qualitativen Daten legen nahe, dass Patient*innen Gespräche über Todeswünsche eher als Teil eines (kommunikativen) Prozesses denn als spezifische Intervention wahrnehmen.

Praktische Implikationen: Offene Gespräche über Todeswünsche zwischen Versorgenden und Palliativpatient*innen führen nicht zu einer stärkeren Belastung der Patient*innen, sondern haben das Potenzial, diese zu entlasten.