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Ergebnisse einer Arbeitgeberbefragung zur Implementierung des betrieblichen Eingliederungsmanagements in Thüringen. Ein Beitrag zur arbeitsmedizinischen Versorgungsforschung in Deutschland
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Veröffentlicht: | 2. Oktober 2019 |
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Hintergrund: Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und der damit zusammenhängenden veränderten Zusammensetzung der Belegschaften gewinnt die Wiedereingliederung chronisch- bzw. langzeitkranker Beschäftigter zunehmend an Bedeutung. Mit dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) hat der Gesetzgeber 2004 ein Instrument geschaffen, die Arbeits- bzw. Beschäftigungsfähigkeit von Erwerbstätigen zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Die gesetzliche Grundlage findet sich in §167 Abs. 2 SGB IX: „Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber […] wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.“ Damit ist das BEM integraler Bestandteil eines umfassenden betrieblichen Gesundheitsmanagements und müsste flächendeckend implementiert sein. Allerdings gibt es hierzu nur sehr wenige Studien. Vor diesem Hintergrund wurden im Herbst 2017 Thüringer Unternehmen u. a. nach der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im Hinblick auf die Implementierung bzw. das Angebot eines BEMs befragt.
Fragestellung: Zielsetzung des Beitrags ist die Analyse der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im Hinblick auf die Implementierung bzw. das Angebot eines BEMs in Thüringer Betrieben. Ferner interessierten die in dem Prozess beteiligten Personengruppen sowie die Gründe bei fehlender bzw. mangelhafter Umsetzung.
Methode: Die Befragung ist Teil eines großangelegten Versorgungsforschungsprojekts in Thüringen. Ziel des Projekts ist die Verbesserung des betrieblichen Gesundheitsmanagements in kleinen und mittleren Betrieben in ländlichen und strukturschwächeren Regionen. Befragt wurden Thüringer Unternehmen aus allen Wirtschaftszweigen und über alle Unternehmensgrößen hinweg. Die Umfrage richtete sich an die Geschäftsleitung bzw. deren Vertretung. Die Erhebung war als Querschnittsstudie konzipiert und wurde überwiegend online durchgeführt. Ergänzend fanden standardisierte Telefonbefragungen statt. Der Fragebogen bestand überwiegend aus quantitativen sowie vereinzelt qualitativen Items. Die Daten wurden mittels deskriptiver Statistik in SPSS bzw. mittels verschiedener Verfahren der qualitativen und quantitativen Sozialforschung ausgewertet. Die Auswertung basiert auf 761 vollständig ausgefüllten Fragebögen.
Ergebnisse: Knapp 40% der befragten Betriebe gaben an, ihren Mitarbeitern ein BEM anzubieten, 33% der Betriebe haben kein BEM implementiert. 12% bzw. 15% der Befragten konnten die Frage nicht beantworten bzw. wollten sich diesbezüglich nicht weiter äußern. Dabei zeigen sich signifikante Unterschiede nach Unternehmensgröße (K*=0,676***): Während nur knapp 18% der Kleinstbetriebe ihren Mitarbeitern ein BEM anbieten, sind es bei den Kleinbetrieben 51%. Bei den mittleren bzw. Großbetrieben gaben 75% respektive 82% an, ihren Mitarbeitern ein BEM anzubieten. Als Grund für die fehlende bzw. mangelhafte Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben wurde am häufigsten angeführt, dass dafür kein Bedarf bestünde. Knapp 10% bzw. 5% der Befragten gaben an, dass ihr Betrieb zu klein für eine derartige Maßnahme sei bzw. dies in ihrer Branche nicht umsetzbar wäre. Vereinzelt fanden sich Nennungen, die darauf hindeuten, dass den Befragten der Begriff nicht klar war bzw. man kein BEM betreibe, da dies nicht erfolgsversprechend sei. Einem Großteil der Befragten (78%) sind die Unterstützungsangebote seitens der verschiedenen Sozialversicherungsträger im Hinblick auf die Implementierung und Durchführung des BEMs nicht oder nur teilweise bekannt. Den Angaben der Befragten zufolge sind üblicherweise der betroffene Mitarbeiter sowie die Geschäftsleitung in den Prozess involviert. Der Betriebsarzt wird hingegen eher selten hinzugezogen.
Diskussion: Die Ergebnisse deuten auf eine unzureichende Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im Rahmen des BEMs sowie ein Wissens- bzw. Informationsdefizit der Geschäftsleitungen hin. Teilweise zeigte sich auch eine gewisse negative Grundhaltung bzw. Skepsis bezüglich der Sinnhaftigkeit des Verfahrens. Die Ergebnisse decken sich dabei größtenteils mit der vorhandenen Literatur. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass das BEM mittlerweile seit 15 Jahren gesetzlich vorgeschrieben ist sowie der demographischen Entwicklung und den damit zusammenhängenden Herausforderungen, zeigen die Ergebnisse einen dringlichen Handlungsbedarf.
Praktische Implikationen: Zum Wohle der Gesundheit der erwerbstätigen Bevölkerung gilt es, unabhängig von der gesetzlichen Verpflichtung, Arbeitgeber für die Thematik zu sensibilisieren und die Sinnhaftigkeit des Verfahrens herauszustellen. Das Modellvorhaben „Gesund arbeiten in Thüringen (GAIT)“ bietet hierzu eine gute Plattform.