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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Welche individuellen und organisationalen Faktoren stehen in Zusammenhang mit „Psychological Safety“ von Pflegekräften auf Intensivstationen? – Ergebnisse einer Mehrebenenanalyse

Meeting Abstract

  • Hendrik Hillen - Universität zu Köln, Seminar für Allg. BWL und Management im Gesundheitswesen, Köln, Germany
  • Ludwig Kuntz - Universität zu Köln, Seminar für Allg. BWL und Management im Gesundheitswesen, Köln, Germany
  • Holger Pfaff - Universität zu Köln, Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR), Köln, Germany
  • Nadine Scholten - Universität zu Köln, Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR), Köln, Germany
  • Melissa Seibert - Universität zu Köln, Seminar für Allg. BWL und Management im Gesundheitswesen, Köln, Germany
  • Michael Wittland - Hochschule Hannover, Fakultät V – Diakonie, Gesundheit und Soziales, Hannover, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf508

doi: 10.3205/19dkvf508, urn:nbn:de:0183-19dkvf5082

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Hillen et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Patientensicherheit ist unter anderem auf das Verhalten und die Einstellungen der Mitarbeitenden im Krankenhaus zurückzuführen. Häufig müssen Mitarbeitende spontan entscheiden, ob sie ihre Bedenken im Klinikalltag (z.B. hinsichtlich einer bestimmten Behandlung) offen äußern und damit tradierte Handlungsweisen oder Vorgesetzte in Frage stellen. Wenn Mitarbeitende fürchten, dass ihre Äußerungen für sie selbst negative Konsequenzen haben können und daher potenzielle Mängel in der Versorgung nicht ansprechen, gefährdet dies die Patientensicherheit. Für Krankenhäuser ist es daher zunehmend wichtiger „psychologische Sicherheit“ (Psychological Safety) unter Mitarbeitenden zu fördern und diese zu nutzen, um Mängel in der Patientensicherheit frühzeitig zu erkennen und auszuräumen. Dies gilt insbesondere auf der Intensivstation, in der die Schwere der Konsequenzen von Fehlern durch komplexe medizinische Prozesse und vulnerable Patienten besonders hoch sein kann.

Das Ziel dieser Studie ist es, Faktoren auf der Ebene des Individuums sowie der Intensivstation zu identifizieren, die die Wahrnehmung von psychologischer Sicherheit unter Pflegekräften beeinflussen.

Fragestellung: Welche individuellen und organisatorischen Faktoren hängen mit der Wahrnehmung von Psychological Safety unter Pflegekräften zusammen?

Methode: Auf 86 deutschen neonatalen Intensivstationen wurde zwischen September 2015 und August 2016 eine Fragebogenbefragung unter Pflegepersonal und ärztlichem Personal sowie unter den pflegerischen und ärztlichen Leitern/innen durchgeführt. Insgesamt wurden Daten von 1.211 Pflegekräften auf 76 neonatologischen Intensivstationen analysiert. Aufgrund der hierarchischen Struktur der Daten wurde eine Mehrebenenanalyse angewendet.

Ergebnisse: Das Nullmodell zeigte, dass 18.8% der individuell wahrgenommenen psychologischen Sicherheit durch die Zugehörigkeit einer Organisation erklärt werden können. Auf individueller Ebene sind ein junges Alter (< 25 Jahre), die Weiterbildung zur Stationsleitung sowie ein laufendes oder bereits abgeschlossenes Studium positiv mit der wahrgenommenen psychologischen Sicherheit einer Pflegekraft verbunden. Pflegekräfte, die eine Ausbildung in pädiatrischer Intensivpflege absolviert hatten, gaben jedoch signifikant niedrigere Werte auf der Skala an. Als organisationaler Faktor wurden formalisierte Handlungsanweisungen (SOPs) als positive Prädiktoren identifiziert, die die Wahrnehmung der psychologischen Sicherheit einer Pflegekraft positiv beeinflussen können.

Diskussion: Unsere Ergebnisse zeigen, dass auf individueller Ebene Pflegeaus- und Weiterbildungen eine essentielle Rolle in Bezug auf die individuell wahrgenommene psychologische Sicherheit spielen. Der positive Effekt eines Studiums bzw. auch einer Weiterbildung zur Stationsleitung kann möglicherweise durch den Abbau sozialer Hierarchien erklärt werden. Auf der anderen Seite sind auch negative Effekte von Weiterbildungen auf die psychologische Sicherheit möglich. Vor allem Pflegekräfte mit einer Ausbildung zur pädiatrischen Intensivpflege berichteten eine geringere psychologische Sicherheit. Dieses Ergebnis ist möglicherweise durch ein vertieftes Wissen über mögliche Konsequenzen eines Fehlers zu erklären.

Praktische Implikation: Nebst der Erkenntnis, dass SOPs vermehrt etabliert werden sollten, unterstützen unsere Ergebnisse die formalisierte Professionalisierung der Pflegekräfte. Sie deuten aber gleichzeitig darauf hin, dass nicht jede Weiterbildung sich positiv auf die psychologische Sicherheit auswirkt. Ausbildende sollten sich bewusst sein, dass neben fachlichem Wissen auch der professionelle Umgang mit Bedenken und Fehlern gelehrt werden sollte. In zukünftigen Studien sollte untersucht werden, wie das Fachwissen und die Berufserfahrung der Pflegekräfte ihre psychologische Sicherheit beeinträchtigen können. Darauf aufbauend können Maßnahmen entwickelt werden, die die Kontrolle über diese unbeabsichtigten Auswirkungen übernehmen.