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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Soziodemographische Besonderheiten bei Gestationsdiabetes-Patientinnen im Längsschnitt: retrospektive Studie

Meeting Abstract

  • Joachim Graf - Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Gesundheitswissenschaften, Abteilung für Hebammenwissenschaft, Tübingen, Germany
  • Harald Abele - Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Gesundheitswissenschaften, Abteilung für Hebammenwissenschaft, Tübingen, Germany
  • Elisabeth Simoes - Universitätsklinikum Tübingen, Department für Frauengesundheit, Forschungsinstitut für Frauengesundheit, Tübingen, Germany
  • Claudia Plappert - Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Gesundheitswissenschaften, Abteilung für Hebammenwissenschaft, Tübingen, Germany
  • Stefani Schönhardt - Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Gesundheitswissenschaften, Abteilung für Hebammenwissenschaft, Tübingen, Germany
  • Tanja Fehm - Universitätsklinikum Düsseldorf, Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Düsseldorf, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf489

doi: 10.3205/19dkvf489, urn:nbn:de:0183-19dkvf4897

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Graf et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Der Gestationsdiabetes (GDM) gehört zu den Schwangerschafts-assoziierten Erkrankungen mit wachsender epidemiologischer Bedeutung [1]. Nach Literaturangaben der letzten 20 Jahre variierten die Prävalenzen des GDM zwischen 0,6% und 22% [2], [3], aktuell wird in Deutschland von einer GDM-Prävalenz von 13,2% ausgegangen [4]. Hohe Schwankungen des DM II-Risikos in GDM-Frauen lassen dabei auf einen nicht zu unterschätzenden Einfluss von soziökonomischen Faktoren schließen: So fand sich bei GDM-Patientinnen im Rahmen eines systematischen Reviews, das 28 Studien miteinschloss, eine Spannweite der kumulativen DM II-Inzidenz von 2,6% bis >70% [2], [5]. Gerade vor dem Hintergrund, dass milieuabhängige Unterschiede bei der Health literacy bezogen auf Diabetes-Prävention bestehen [6], [7], ist von Relevanz, bei welchen Patientinnen-Gruppen die höchsten GDM-Prävalenzen zu erwarten sind. Große Kollektive, die repräsentative Aussagen erlauben, finden sich vor allem an den Versorgungszentren. Obwohl deren Perinataldaten seit Jahren routinemäßig erfasst und vom IQTiG publiziert werden, finden sich bisher keine großangelegten Untersuchungen, in welchen das GDM-Risiko im Kontext des soziodemographischen Profils ausgewertet wird. Auch fehlen bisher Untersuchungen, in welchen entsprechende Zentrumsdaten mit Landes- oder Bundesdaten verglichen werden. Hieraus ergibt sich eine Forschungslücke, welche die Entwicklung von effektiven Nachsorge-Angeboten be-hindert.

Fragestellung: Ziel war es, die Perinataldaten des Zentrums in Tübingen (ca. 3500 Geburten jährlich) über den Zeit-raum von 5 Jahren zu untersuchen, um festzuhalten, welche Besonderheiten sich bei GDM-Patientinnen u.a. hinsichtlich Alter, Anzahl Geburten, Sozialstatus (Bildung und Berufsgruppe) und Geburtsoutcomes zeigen. Die Daten wurden dabei sowohl kumulativ als auch im Jahresvergleich ausgewertet, um festhalten zu können, wie sich das GDM-Kollektiv im Gesamten gestaltet und welche Entwicklungen sich im 5-Jahresvergleich zeigen. Darüber hinaus wurden die Zentrums-Daten mit den Daten des GeQiK (das jährlich die Versorgungsdaten gemäß § 137 SGB V auf Ebene Baden-Württembergs auswertet) sowie den Bundesdaten (IQTiG-Daten) verglichen, um im Kontext der o.g. genannten Daten Risikoprofile generieren zu können.

Methode: Die Studie ist methodisch zweigeteilt: Im ersten Schritt wurden die Perinataldaten des Tübinger Zentrums mittels eines replikativen Surveys (auch als Trendstudie bezeichnet) über den Zeitraum von 5 Jahren statistisch ausgewertet, wobei insgesamt Schwangerschafts- und Geburtsoutcomes von 18.500 in Tübingen versorgten Patientinnen zur Verfügung standen. Im zweiten Schritt wurden die Daten des Tübinger Zentrums mit den Landes- und Bundesdaten verglichen (GeQiK und IQTiG).

Ergebnisse: Die Untersuchung zeigt eine steigende GDM-Prävalenz im Jahresverlauf, was in direkten Zusammenhang mit dem ansteigenden Schwangerschaftsalter der Frauen zu stehen scheint. Es deutet sich an, dass Frauen, die in einer Berufsgruppe beschäftigt sind, die mit einem niedrigen sozioökonomischen Status assoziiert werden kann, häufiger von einer GDM betroffen sind als Frauen, deren Berufsgruppe eher einem hohen sozioökonomischen Status entspricht. Auch bei bestehendem Nikotinabusus (in der Schwangerschaft ebenfalls als Merkmal eines niedrigen Sozialstatus anzusehen) bestand ein erhöhtes GDM-Risiko. Bezogen auf die Geburtsoutcomes zeigten Frauen mit niedrigem sozioökonomischem Status schlechtere Geburtsoutcomes (bezogen auf die Apgar-Werte und die Sectio-Rate), als Frauen mit hohem sozioökonomischem Status, ebenso Frauen mit bestehendem GDM, wobei die höchsten Risiken für schlechtere Geburtsoutcomes bei GDM-Frauen mit niedrigem sozioökonomischem Status ersichtlich waren. Zwischen den Tübinger Daten und den Landes- und Bundesdaten fanden sich hinsichtlich GDM-Prävalenz und Risikoprofil keine statistisch signifikanten Unterschiede.

Diskussion: Bisher wurden Zusammenhänge zwischen der GDM-Prävalenz und soziodemographischen Besonderheiten noch nicht in großen Kollektiven untersucht, weswegen die vorliegende Studie ein Unikum darstellt. Limitierend wirkt, dass keine direkten Daten zum soziökonomischen Status zur Verfügung stehen, sondern selbiger aus den Routinedaten herausgelesen werden mussten. Aufgrund des angedeuteten Zusammenhangs sollten soziökonomische Daten standardmäßig erhoben werden.

Praktische Implikationen: Aufgrund von deutlichen Zusammenhängen zwischen sozioökonomischen Variablen und dem GDM-Risiko müssen Präventionsprogramme in Schwangerschaft und Nachsorge zielgruppenbezogener entwickelt werden und mit Hinblick auf die sozioökonomischen Besonderheiten möglichst niedrigschwellig sein.


Literatur

1.
Sacks DA, Hadden DR, Maresh M, Deerochanawong C, Dyer AR, Metzger BE, Lowe LP, Coustan DR, Hod M, Oats JJ, Persson B, Trimble ER; HAPO Study Cooperative Research Group. Frequency of gestational diabetes mellitus at collaborating centers based on IADPSG consensus panel-recommended criteria: the Hyperglycemia and Adverse Pregnancy Outcome (HAPO) Study. Diabetes Care. 2012 Mar;35(3):526-8. DOI: 10.2337/dc11-1641 Externer Link
2.
King H. Epidemiology of glucose intolerance and gestational diabetes in women of childbearing age. Diabetes Care. 1998 Aug;21 Suppl 2:B9-13.
3.
Murgia C, Berria R, Minerba L, Malloci B, Daniele C, Zedda P, Ciccotto MG, Sulis S, Murenu M, Tiddia F, Manai M, Melis GB. Gestational diabetes mellitus in Sardinia: results from an early, universal screening procedure. Diabetes Care. 2006 Jul;29(7):1713-4. DOI: 10.2337/dc06-0635 Externer Link
4.
Melchior H. In Reply. Dtsch Arztebl Int. 2017 10;114(41):690-691. DOI: 10.3238/arztebl.2017.0690b Externer Link
5.
Kim C, Newton KM, Knopp RH. Gestational diabetes and the incidence of type 2 diabetes: a systematic review. Diabetes Care. 2002 Oct;25(10):1862-8. DOI: 10.2337/diacare.25.10.1862 Externer Link
6.
Eades CE, France EF, Evans JMM. Postnatal experiences, knowledge and perceptions of women with gestational diabetes. Diabet Med. 2018 04;35(4):519-529. DOI: 10.1111/dme.13580 Externer Link
7.
Protheroe J, Rowlands G, Bartlam B, Levin-Zamir D. Health Literacy, Diabetes Prevention, and Self-Management. J Diabetes Res. 2017;2017:1298315. DOI: 10.1155/2017/1298315 Externer Link