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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Empirische Entwicklung einer Typologie von Wohnbereichen in Pflegeeinrichtungen in Deutschland – Ergebnisse einer explorativen multivariaten Datenanalyse

Meeting Abstract

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  • Johannes Bergmann - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V., Standort Witten, AG Forschungsstrategie und Methoden, Witten, Germany
  • Armin Ströbel - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Witten, Statistik, Witten, Germany
  • Bernhard Holle - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Arbeitsgruppe Versorgungsstrukturen, Witten, Germany
  • Rebecca Palm - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Standort Witten, Arbeitsgruppe Versorgungsstrukturen, Witten, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf478

doi: 10.3205/19dkvf478, urn:nbn:de:0183-19dkvf4780

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Bergmann et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Ein Ziel der organisationsbezogenen Versorgungsforschung ist es, Strukturen und Prozesse in den Organisationen zu beschreiben und deren Auswirkungen auf die Qualität der Gesundheitsversorgung zu untersuchen. Im Setting der stationären Langzeitpflege setzt dieses Anliegen voraus, strukturelle Unterschiede zwischen den Organisationen (Pflegeeinrichtungen) und ihrer Organisationseinheiten (Wohnbereiche) zu untersuchen und zu beschreiben. Aus diesem Grund verfolgen wir das Ziel, eine Typologie von Wohnbereichen zu entwickeln, mit deren Hilfe sich diese Unterschiede systematisch abbilden lassen, um anschließend Rückschlüsse auf die Prozess- und Ergebnisqualität von Intervention bei bestimmten Wohnbereichstypen ziehen zu können. Auf der Grundlage empirisch entwickelter Typologien und dem theoretischen Erkenntnisgewinn ist die Bildung einer Definition möglich.

Fragestellung: Das Ziel der Analyse ist es, eine empirische Typologie von Wohnbereichen in Einrichtungen der Langzeitpflege zu entwickeln, die sich hinsichtlich ihrer strukturellen Merkmale unterscheidet. Die Typen werden anschließend hinsichtlich der Bewohnerstruktur untersucht.

Methode: Für die Untersuchung wurden Daten einer Beobachtungsstudie in 103 Wohnbereichen aus dem Jahr 2013 genutzt. Gegeben sind verschiedene Merkmale von Wohnbereichen (Personalausstattung und -organisation, bauliche Merkmale, Organisation der Mahlzeitenversorgung usw.). Gesucht ist eine Gruppierung der Wohnbereiche anhand dieser Merkmale, sodass ähnliche Wohnbereiche zur gleichen Gruppe gehören. Dies ist eine explorative Fragestellung, weil die Forschenden vorher nicht wissen, welche Merkmale relevant sind und wie viele verschiedene Gruppen in den Daten enthalten sind. Zudem handelt es sich um eine multivariate Fragestellung, da mehr als 30 Merkmale vorliegen. Die hier gewählte Lösung des Problems erfolgt in zwei Schritten: Erstens eine Multiple Korrespondenzanalyse (MCA); dies ist ein dimensionreduzierendes Verfahren, das aus den vielen Merkmalen ein paar wenige Merkmalskombinationen heraussucht, sodass immer noch möglichst viel Information des Datensatzes erhalten bleibt. Zweitens wird eine agglomerative hierarchische Clusteranalyse (AHC) mit den dimensionreduzierten Daten durchgeführt. Dieses Verfahren gruppiert die Daten so, dass die Ähnlichkeiten der Wohnbereiche innerhalb einer Gruppe möglichst groß sind. Unterschiede zwischen den Bewohnermerkmalen Demenzdiagnose und –schwere werden abschließend deskriptiv beschrieben.

Ergebnisse: Insgesamt wurden die Daten von 103 Wohnbereichen ausgewertet, die sich auf 11 Bundesländer verteilen. Durch die MCA konnte Unterschiede zwischen den Wohnbereichen aufgedeckt werden, die sich insbesondere durch die Wohnbereichsgröße (Bettenanzahl), Zusatzqualifikation der Wohnbereichsleitung im Bereich der Gerontopsychiatrie, das Wohnkonzept und die zusätzliche Finanzierung durch eine gesonderte Leistungsvereinbarung definieren. Dabei konnten drei Cluster identifiziert werden, die signifikant mit einer bestimmten Kombination von Merkmalen auftreten. Inhaltlich können die drei Cluster als „Hausgemeinschaft“, „Demenzspezifische Wohnbereiche“ und „Konventionelle Wohnbereiche“ definiert werden. Durch die Bildung dieser 3 Cluster konnten 38 Prozent der Gesamtvarianz erklärt werden. Die Unterschiede zwischen den Clustern spiegeln sich zudem in der Bewohnerstruktur wider. Die demenzspezifischen Wohnbereiche und die Hausgemeinschaften weisen höhere Anteile von Bewohnern mit einer Demenzdiagnose auf.

Diskussion: Die Untersuchung hat gezeigt, dass anhand der Daten eine empirische Bildung von Clustern möglich ist, die sich in ihren Organisationsmerkmalen deutlich voneinander unterscheiden. Da sich zudem auch die Bewohner der identifizierten Wohnbereichstypen in ihren Merkmalen unterscheiden, ist davon auszugehen, dass auch Versorgungsprozesse unterschiedlich erfolgen und sich die Versorgungsqualität eventuell unterscheidet. Die vorliegende Untersuchung basiert auf einer Gelegenheitsstichprobe, die nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit von Pflegeeinrichtungen in Deutschland ist. Damit die entwickelte Typologie verallgemeinerbar ist, sollte sie in einer Folgeuntersuchung auf der Grundlage einer Zufallsstichprobe erfolgen. Die induktive explorative Vorgehensweise ermöglichte es, Variablen zu identifizieren, über deren Beitrag zu einer Clusterbildung bislang theoretisch nichts bekannt ist. Das Verfahren trägt zur Theoriebildung bei, auf deren Grundlage eine Definition verschiedener Wohnbereichstypen erfolgen kann.

Praktische Implikationen: Die Typologie von Wohnbereichen bildet eine wichtige Ausgangslage, die es ermöglicht passendere Outcomes zu identifizieren und passgenauere Interventionen zu entwickeln. Die angestrebte Theoriebildung zum Gegenstand unterschiedlicher Wohnbereichstypen und anschließende Definition dieser ermöglicht es langfristig, den Einfluss dieser in Studien der Versorgungsforschung zu bestimmen.