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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Kann eine komplexe Intervention den Verbrauch an Schlaf- und Beruhigungsmittel im Krankenhaus reduzieren? Ergebnisse eines Chart Reviews

Meeting Abstract

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  • Stephanie Heinemann - Universitätsmedizin Göttingen, Institut für Allgemeinmedizin, Göttingen, Germany
  • Jonas Klemperer - Universitätsmedizin Göttingen, Institut für Allgemeinmedizin, Göttingen, Germany
  • Wolfgang Himmel - Universitätsmedizin Göttingen, Institut für Allgemeinmedizin, Göttingen, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf434

doi: 10.3205/19dkvf434, urn:nbn:de:0183-19dkvf4348

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Heinemann et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Im Krankenhaus haben besonders ältere Patient/innen Probleme ein- und/oder durchzuschlafen. Nicht selten werden dann Schlaf- und Beruhigungsmittel verabreicht, die zur Gruppe der Hypnotika/Sedativa (z.B. Benzodiazepine) gehören und z. T. als potentiell inadäquat gelten.

Fragestellung: Kann eine komplexe Intervention den Verbrauch an Schlaf- und Beruhigungsmitteln im Allgemeinen sowie die Menge an potentiell inadäquate Medikamente während eines Krankenhausaufenthaltes reduzieren?

Methode: Die Studie fand in einem Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung statt, mit ca. 600 Betten und Stationen der Innere Medizin, Allgemein-, Unfall- und Plastische Chirurgie, Urologie sowie einem geriatrischen Schwerpunkt. Wir haben die verabreichten Schlaf- und Beruhigungsmittel in Krankenhausakten von Patient/innen (≥ 65 Jahre) vom 1. Juli bis zum 12. August in 2013 (= vor Intervention) und im Vergleichszeitraum 2017 (= nach Intervention) erhoben. Die Intervention umfasste Fortbildungen, praktische Handlungsstrategien und Verordnungshilfen (z. B. in Form von „Kitteltaschenkarten“) sowie Poster und weitere Informationen für Patienten (siehe www.schlaffreundliches-krankenhaus.de). Primäre Endpunkte waren (1) der Anteil von Patient/innen, die während ihres Aufenthaltes ein oder mehrere Schlaf- oder Beruhigungsmittel erhalten haben, sowie (2) der Anteil von Patienten mit mindestens einem potentiell inadäquaten Schlaf- oder Beruhigungsmittel – jeweils vor und nach Intervention. Unterschiede wurden mittels Chi2-Test auf Signifikanz überprüft.

Ergebnisse: Wir haben konsekutiv 1.033 Akten (2013) bzw. 1.059 Akten (2017) von Patienten (58% Frauen) ausgewertet. In 2013 erhielten 39,7% (410/1.033) aller älteren Patient/innen mindestens einmal während ihres Krankenhausaufenthaltes ein Schlaf- oder Beruhigungsmittel. In 2017 waren dies nur noch 27,3% (289/1.059; p < 0,0001). Vergleichbar reduzierte sich der Anteil von älteren Patient/innen, die ein potentiell inadäquates Schlaf- und Beruhigungsmittel erhielten, von 21,2% (219/1.033) auf 8,3% (88/1.059; p < 0,0001). Diese Trends zeigten sich auf allen Stationen. Soweit bisher ausgewertet, können wir ein Ausweichen auf andere, ebenfalls potentiell inadäquate Medikamente oder Strategien ausschließen.

Diskussion: Aus verschiedenen Studien wissen wir, dass das Thema Schlaf und medikamentöse Therapie im Krankenhaus häufig ist, aber keine hohe Priorität – im Vergleich zum Einweisungsgrund – hat. Durch eine komplexe Intervention konnte den Verbrauch an Schlaf- und Beruhigungsmitteln im Krankenhaus bei älteren Patient/innen signifikant reduziert werden. Dies bezieht sich insbesondere auch auf potentiell inadäquate Medikamente. Die Intervention leistet somit einen Beitrag zur Steigerung von Patientensicherheit im Krankenhaus, insbesondere durch die potentielle Vermeidung von Stürzen, Verwirrung und Medikamentenabhängigkeit.

Praktische Implikationen: Fortbildungsmaßnahmen allein zur Änderung des Verbrauchs an Schlaf- oder Beruhigungsmitteln erwiesen sich oft als wirkungslos. Daher haben wir zunächst Patienten, Pflegekräfte und Ärzt/innen über adäquate Maßnahmen bei Schlafproblemen im Krankenhaus informiert, dann aber diese Informationen – gemeinsam mit den beteiligten Berufsgruppen, Qualitätsmanagement und Krankenhausleitung – zu einer Standard Operating Procedure (SOP) für Pflegekräfte und Ärzt/innen weiterentwickelt und verbindlich implementiert. Diese SOP umfasste Schlafanamnese, nicht-pharmakologischer Alternativen und Verordnungshilfen im Falle erforderlicher pharmakologischer Interventionen und wurde in Form von laminierten Kitteltaschenkarten an alle Mitarbeiter verteilt. In einem Vorher-Nachher-Vergleich konnten wir zeigen, dass eine solche komplexe Intervention sowohl die Gesamtmenge an Schlaf- und Beruhigungsmitteln als auch die potenziell inadäquaten Verordnungen reduzieren kann.