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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Gesundheitsverträglichkeitsprüfungen in Berlin – Status Quo

Meeting Abstract

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  • Oliver Quer - Syddansk Universitet, Forskningsenheden for Sundhedsfremme, Esbjerg, Denmark

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf409

doi: 10.3205/19dkvf409, urn:nbn:de:0183-19dkvf4099

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Quer.
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Gliederung

Text

Fragestellung: Gesundheit ist durch verschiedene Aspekte in der Politik und im alltäglichen Leben beeinflusst. Dabei spielt WHOs Konzept ‚Health in All Policies‘ (HiAP) eine essentielle Rolle. Die Sozialdeterminanten der Gesundheit beschreiben die Verzahnung einzelner Themen außerhalb der klassischen Definition von Gesundheit, z.B. Wohn- und Arbeitsbedingungen und Ökologie. HiAP erzeugt Synergien zwischen Gesundheit und Politik und hebt die Konsequenzen von Entscheidungen auf die Gesundheit hervor. Eine anerkannte Methodik sind die Verträglichkeitsprüfungen in den Bereichen Gesundheit (HIA), Sozioökonomie und Umwelt (EIA). Die meisten HIA sind in Deutschland in EIA wiederzufinden. Beachtung finden HIA/EIA in Deutschland aufgrund der EU Direktiven 2014/52/EU. Unter anderen, orientiert sie sich an der stärkeren Einbindung der Öffentlichkeit, an der Transparenz und an die Konkretisierung der Voraussetzungen für eine Verträglichkeitsprüfung. In Deutschland wurde dies durch das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG), das Baugesetzbuch (BauGB) und deren lokalen Äquivalenten (z.B. UVPG-Bln) umgesetzt. Das BauGB unterscheidet verschiedene Bauprojekte anhand der Größe und dem Umfang und bestimmt die Notwendigkeit einer EIA.

Methodik: Datenbasis war eine Dokumentenanalyse von Umweltberichten (gemäß EU Direktive 2014/52/EU).

Datenerhebung: Mit den folgenden Schlüsselwörtern wurde eine iterative Suchmethode angewendet: Health Impact Assessment, HIA, Berlin, Germany, Deutschland, Environmental impact assessment, EIA, Umweltverträglichkeitsprüfung, UVP, Gesundheitsverträglichkeitsprüfung, GVP, strategische Umweltprüfung, SEA, Umweltprüfung, Umweltbericht, Gesundheitsfolgenabschätzung

Durchsucht wurden PubMed, Google Scholar und die Webseiten Berlins Gesundheits- und Umweltbehörden. Diese Behörden inklusive Ansprechpartner wurden adressiert und gebeten, Projektunterlagen und zusätzliche Informationen zuzusenden. Einschlusskriterium war der Abschluss des Projektes in den Jahren 2009 bis 2017. Dokumente mussten frei und öffentlich zugänglich sein. Eingeschlossene Sprachen waren Deutsch und Englisch. Von Dokumenten, in dessen Abschlussjahr mehr als ein Dokument vorlag, wurde eines per Zufall ausgewählt.

Datenanalyse: Die gefundenen Dokumente wurden vollständig gelesen und zusammengefasst. Anschließend wurden die Fragen von Fischer et al. (EIA Review 2010; 30) zur Analyse des Einschlusses von Gesundheit in den Verträglichkeitsprüfungen verwendet.

Ergebnisse: 39 Dokumente wurden identifiziert. Eines der Projekte bestand aus 20 Einzelberichten (von denen 7 eine EIA beinhalteten). 3 Projekte wurden aufgrund der fehlenden öffentlichen Verfügbarkeit, 20 aufgrund Randomisierung nach Abschlussjahr und ein aufgrund fehlender EIA ausgeschlossen. Insgesamt 15 Dokumente wurden eingeschlossen. Anhand der Fragen von Fischer et al. lassen sich folgende Aussagen über die Projekte treffen: 14/15 Projekten schlossen Gesundheit in ihre Prüfungen ein, 9 Projekte nutzten eine Kombination von quantitativer und qualitativer Methodik, 12 bezifferten Gesundheitseinflüsse, 14 schlossen Gesundheitsexperten bei ihrer Entscheidung ein und bei 3/14 Projekte nahm die Gesundheitsexpertise einen Einfluss auf das Ergebnis. Ein Gesundheits-Monitoring-System besaßen 9/11 Projekten1. Alle Projekte beschäftigten sich mit dem Aspekt Grünflächen (Erholungsflächen) sowie mit biophysikalischen Aspekten (u.a. Lärm und Staub). Ausschließlich marginal wurden die Aspekte ‚Gesundheit und Sicherheit‘ (1 Projekt), Gesundheit von Minderheiten (1 Projekt), Müll (2 Projekte) und Zugang zu Gesundheitseinrichtungen (1 Projekt) betrachtet. Soziale Ungerechtigkeit wurden von keinem Projekt adressiert.

Diskussion: Die Implementierung von HIA in EIA ist wissenschaftlich anerkannt, jedoch könnte die Etablierung von dedizierten HIA einen Fokuswechsel auf Gesundheit initiieren. Unter dieser Annahme lässt sich feststellen, dass HIA im großen Maß in Berlin durchführt (14/15 Projekte schlossen das Thema Gesundheit und deren Expertise ein) werden, sie jedoch ausbaufähig sind. Bei der Einflussnahme von Gesundheit auf Entscheidungen und beim Monitoring von Gesundheitseinflüssen herrscht Verbesserungspotential. Gesundheit in ihrer Komplexität wurde in den Berichten nicht ausgeschöpft. Punkte, die nicht eindeutig in den Ergebnissen definierbar waren, waren meist durch eine fehlende Transparenz verursacht. Insbesondere in Betrachtung der EU-Direktiven 2017/52/EU ist dies zu verbessern.

Praktische Implikationen: Abschließend lässt sich feststellen, dass Berlins HIA-Praxis ausreichend ist, jedoch das geforderte Maß nicht übersteigt. Die Öffentlichkeit ist aufgefordert, mehr in den Prozessen der Politik Einfluss zu nehmen und die Möglichkeiten (z.B. im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung) auszuschöpfen. Die Öffnung der Gesundheitsdefinition zu einer umfänglichen Betrachtung von Gesundheit könnte ebenfalls einen positiven Einfluss auf die HIA haben.