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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Anwendung des Mixed-Methods-Ansatzes für die Untersuchung der Wahrnehmung von Umweltbelastungen und Gesundheit

Meeting Abstract

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  • Anja Zscheppang - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Forschungsverbund Public Health Sachsen / ZEGV, Dresden, Germany
  • Jasmin Kadel - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Forschungsverbund Public Health Sachsen / ZEGV, Dresden, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf403

doi: 10.3205/19dkvf403, urn:nbn:de:0183-19dkvf4031

Veröffentlicht: 2. Oktober 2019

© 2019 Zscheppang et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Seit Jahrzehnten beklagen sich die Menschen im Erzgebirge und Vogtland (Sachsen) über großflächig auftretende Geruchsereignisse und eine schlechte Luftqualität. Obgleich sich seit den 90-er Jahren die Luftqualität im sächsisch-tschechischen Grenzgebiet erheblich verbessert hat, treten immer wieder großräumige Geruchsbelastungen vor allem im Winter bei südöstlicher Windrichtung auf. Die Geruchsereignisse und die subjektiv wahrgenommene Luftverschmutzung werden von einem Teil der Bevölkerung als belästigend oder auch belastend für die Gesundheit und das Wohlempfinden empfunden.

Zu diesem Zweck untersuchte ein sächsisch-tschechisches Forschungsprojekt die Wahrnehmung der Luftqualität, des Geruches sowie der Gesundheit im sächsisch-tschechischen Grenzgebiet. Qualitativ und quantitativ wurden das Belästigungs- und Belastungspotential der Luftqualität, der gesundheitliche Zustand sowie die subjektive gesundheits- und umweltbezogene Lebensqualität erfasst.

Fragestellung:

1.
Wie bewertet die Bevölkerung die Luftqualität im Untersuchungsgebiet?
2.
In welchem Ausmaß empfindet die Bevölkerung die Geruchsereignisse als belästigend?
3.
Wie nimmt die Bevölkerung den Einfluss von Luftbelastungen im Untersuchungsgebiet auf die eigene Gesundheit und die der Angehörigen wahr?

Methode: Durch die Anwendung eines Mixed-Methods Ansatzes wurden qualitative und quantitative Daten sequentiell erhoben. Der Ansatz diente dazu, das Phänomen a) aus verschiedenen Perspektiven und b) über mehrere Untersuchungsphasen hinweg zu untersuchen.

Um die Fragestellung des Projektes beantworten zu können, wurde ein partizipativer Ansatz gewählt. Folgende Methoden zur Datenerhebung waren Teil des Projektes:

1.
Durchführen einer Fokusgruppe mit der Bevölkerung
2.
Durchführen einer repräsentativen quantitativen Befragung der Bevölkerung (Computer Assisted Telephone Interview)
3.
Durchführen einer Fokusgruppe mit Experten aus den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Verwaltung und Politik.

Die Fokusgruppe mit der Bevölkerung diente als Vorstudie und stellte Informationen für das Erstellen des Fragebogens für die telefonische Befragung bereit. Nach Auswertung der telefonischen Befragung diente die Fokusgruppe mit den Experten der Verwertung der Ergebnisse.

Ergebnisse: Das Untersuchungsgebiet der telefonischen Befragung umfasste 24 Gemeinden in Sachsen zwischen dem Kurort Oberwiesenthal und Neuhausen. Auf Basis der Daten des Geruchstelefons (Registrierung täglicher Geruchsbeschwerden) wurde das Gebiet in ein Kerngebiet (sechs Gemeinden mit den meisten Geruchsmeldungen seit 2011) und ein Randgebiet (Gemeinden mit vereinzelten Geruchsmeldungen) unterteilt. Insgesamt wurden in der Feldphase 9.572 Anrufe in der Zeit vom 25. Januar 2018 bis zum 12. März 2018 getätigt, um 500 Interviews erfolgreich und vollständig abzuschließen, wovon 200 Fälle im Kerngebiet und 300 Fälle im Randgebiet liegen.

Im Mittel sind die Teilnehmer der telefonischen Befragung 59 (SD= 14) Jahre alt und circa die Hälfte sind Rentner. Circa zwei Drittel der Befragten verfügen über einen Haupt- und Realschulabschluss. Frauen sind im Sample mit 55% (Grundgesamtheit: 51%) leicht überrepräsentiert.

Die Teilnehmer wurden unter anderem zur Umweltbesorgnis, die sich auf ihren gesundheitlichen Zustand auswirken kann, befragt. Sie sollten sagen, welcher Aussage (welcher Person) sie eher zustimmen:

1.
Person A: Durch die Industrieanlagen in Tschechien ist die Luft im Erzgebirge belastet. Ich sorge mich auf Grund der Luft um meine Gesundheit und die Gesundheit unserer Kinder.
2.
Person B: Das Erzgebirge ist ein dünn besiedeltes Gebiet mit guter Luft. Ich sorge mich nicht um meine Gesundheit und die meiner Kinder, wenn ich an die Luft denke.

In den sechs Gemeinden des Kerngebietes stimmen 87,6% der Aussage von Person A und nur 12,4% der Aussage von Person B zu. Im Randgebiet stimmen 64,5% der Befragten der Aussage von Person A, 35,5% der Person B zu. Die Umweltbesorgnis, inklusive der Besorgnis um die Gesundheit, ist dementsprechend im Gebiet mit den meisten Geruchsereignissen am Höchsten.

Diskussion: Die Bevölkerung im Erzgebirge und Vogtland wurde in den gesamten Forschungsprozess eingebunden. Durch das CATI Design konnten Patient-Reported-Outcomes erhoben und ausgewertet werden. Mit Experten wurde in einer Fokusgruppe die Relevanz des Themas im Hinblick auf real existierende Ängste vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowie die Möglichkeiten einer sachlichen Aufklärung der Bevölkerung besprochen.

Praktische Implikationen: Sollten die Bewohner des sächsischen Grenzgebietes in Zukunft vermehrt Krankheitssymptome berichten und ärztliche Hilfe benötigen, könnte sich dies auf die Inanspruchnahme gesundheits- und krankheitsbezogener Leistungen im ländlichen Raum des Erzgebirges und Vogtlandes auswirken.